„Die hohen Erwartungen, an die Neuproduktion dieses Werkes, das an der Mailänder Scala auf eine glanzvolle Aufführungsgeschichte zurückblicken kann, wurden voll erfüllt und in Teilen übertroffen.“
UN BALLLO IN MASCHERA von Giuseppe Verdi. Melodramma in drei Akten. Kritische Ausgabe von Chicago University Press und Casa Ricordi, Mailand. Kuratiert von I. Narici. Teatro alla Scala Neue Produktion
Teatro alla Scala Orchester und Chor; Dirigent: Giampaolo Bisanti; Inszenierung: Marco Arturo Marelli; Riccardo: Francesco Meli; Renato: Ludovic Tézier; Amelia: Sondra Radvanovsky; Ulrica: Okka von der Damerau; Oscar: Federica Guida; Silvano: Liviu Holender; Samuel: Sorin Coliban; Tom: Jongmin Park: Ein Richter: Costantino Finucci; Amelias Dienerin: Paride Cataldo
Besuchte Vorstellung: 19. Mai 2022, Teatro alla Scala, Mailand.
Musik: 4,5*
Inszenierung: 5*
Wer bei der hochsommerlichen Hitze in Milano trotz drückender Temperaturen die Kraft aufbrachte, sich die Nachmittagsvorstellung von Giuseppe Verdis Klassiker Un ballo in maschera anzusehen, wurde durch eine wunderbare Opern-Aufführung belohnt. Die hohen Erwartungen, an die Neuproduktion dieses Werkes, das an der Mailänder Scala auf eine glanzvolle Aufführungsgeschichte zurückblicken kann, wurden voll erfüllt und in Teilen übertroffen.
So war man mit der auf dem Papier illustren Besetzung auch überwiegend sehr zufrieden, obwohl das Engagement von Francesco Meli in der Rolle des Riccardo erneut Fragen aufwirft. Francesco Meli ist derzeit was das italienische Spinto-Fach betrifft international sehr gefragt. Auch an der Scala hat er in den vergangenen Jahren (fast) alle wichtigen Partien dieses Fachs gesungen. Dennoch muss nach dem Besuch der Aufführung konstatiert werden, dass Melis stimmliche Möglichkeiten trotz guter Technik eingeschränkt sind. Das nicht unbedingt charakteristische Timbre des Sängers und die insgesamt recht eindimensional geführte Stimme, lassen immer wieder Verwunderung über die Besetzungspolitik vieler Opernhäuser aufkommen. Dennoch überzeugte Meli – im Rahmen seiner Möglichkeiten- in der besuchten Vorstellung insbesondere in den lyrischen Passagen. Während er sich im « La rivedrà nell’estasi» sich noch warmsingen musste und belegt klang, konnte sich Meli im Verlaufe der Aufführung deutlich steigern, sodass er im Duett mit Amelia bei « Oh qual soave brivido» und der Romanze «Forse la solgia attinese», sowie in der Schlussszene überzeugen konnte.
Ein ganz anderes Kaliber war dagegen Sondra Radvanosky als Amelia. Obwohl das eher herbe Timbre der amerikanischen Star-Sopranistin immer Geschmacksache sein wird, beeindruckte Radvanosky mit fast unerschöpflichen Reserven ihres üppigen, jedoch stets kontrollierten Soprans. Da war es wirklich phänomenal, wie sie in ihrer grossen Arie des zweiten Aktes «Ecco l’orrido campo» Amelias Zerrissenheit vor Augen führte, sowie der Leidenschaft und Verzweiflung, mit der sie in «Morrò, ma prima in grazia» beeindruckte, als sie darum flehte, Abschied von ihrem Kind nehmen zu dürfen. Uneingeschränkt begeistern konnte auch Ludovic Tézier als Renato. Mit weich timbriertem, jedoch kernigem und sicher geführtem Bariton, sowie wunderschönen Piani und Legati stellte er sich mit seiner Gesangsleistung ganz in die Tradition grosser Rollenvorgänger. All die Enttäuschung über den Verrat, sowie die Illoyalität seines engsten Freundes Riccardo und die Untreue seiner Frau Amelia brachte er in einem mitreissend vorgetragenen «Eri tu» zum Ausdruck, dass das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hinriss. Okka von der Damerau beschwor als Wahrsagerin Ulrica mit ausladendem, bronzefarbenen Alt auf ehrfurchtsgebietende Weise den «König des Abgrunds», während Federica Guida mit glockenhellem Sopran als Oscar und der berühmten Ballade «Volta la terrea» begeisterte.
Als Verschwörer Samuel und Tom konnten Sorin Coliban und Jongmin Park mit schwarzen Bässen – nicht zuletzt durch ihr ausgesprochen diabolisches Lachen im zweiten Akt -nachhaltig auf sich aufmerksam machen. Ausgezeichnet rundeten die Comprimari aus Constantino Finucci (Giudice), Paride Cataldo (Servo d’Amelia) und Liviu Holender (Silvano) das Sängerensemble ab.
Der Schweizer Regisseur und Kunstmaler Marco Arturo Marelli, bekannt vor allem für seine Tätigkeiten an der Wiener Staatsoper, hatte neben der Regie, für diese Neuproduktion auch Bühnenbild und Kostüme entworfen. Das Ergebnis war wahres Fest für die Augen! Obwohl an der Scala die sog. Boston-Fassung gespielt wird, die Verdi vor der Uraufführung auf Druck der Zensur erstellte, bei der die Geschichte um den Mord an dem schwedischen König Gustav III. nach Massachusetts ins ferne Amerika verlegt wurde, befinden wir uns dem Bühnenbild nach doch eher an einem Königshof. Dabei erinnerte Riccardo entfernt an den Bayerischen Märchenkönig Ludwig II. Das liebevoll gemalte und äusserst opulente Bühnenbild bestand aus einem sich nach hinten verengenden, farblich klug abgestimmten Raum, dessen Seiten sich öffnen konnten, um so klassischem Kulissenzauber mit seinen gemalten Hintergrundprospekten Raum zu geben. So gelangen eine äusserst atmosphärische Ulrica-Szene, eine geisterhafte, gruselige Friedhofsszene und zum Finale ein prächtiger Theaterball. An den hinreissenden und detaillierten Kostümen, die im Stile des 19. Jahrhunderts gehalten waren, konnte man sich kaum sattsehen, die Ballkleider griffen dagegen das Rokoko und Motive aus dem venezianischen Karneval auf. Marellis Personenregie spiegelte stets genau die Seelenzustände der Protagonisten wider und vertraute ganz auf die Macht von Giuseppe Verdis Musik. Dazu trug auch die Gestalt des Todes bei, der in seinem samtenen, wallend-schwarzen Gewand effektvoll durch die Szenerie geisterte und während des Maskenballs schliesslich auf seiner Violine die Bühnenmusik spielte…
Der von Alberto Malazzi einstudierte Scala-Chor war in dieser letzten Vorstellung der Premierenserie kaum an Klangpracht und Spielfreude zu überbieten, während Giampaolo Bisanti am Pult des hervorragend disponierten Orchesters für eine mitreissende und gefühlvolle Interpretation sorgte. Da waren die Gegensätze aus glutvoller Lebensfreude und Todessehnsucht meisterhaft herausgearbeitet, da stimmte jeder so mitreissende Rhythmus, da erklang von den Blechbläsern beängstigend gespielt, das dumpfe, sich durch die ganze Oper ziehende Todesmotiv, das beim Ziehen der verhängnisvollen Lose durch Amelia im dritten Akt förmlich implodierte.
Am Ende dieses beglückenden Opernnachmittags spendete das Publikum, das sich bereits während der Aufführung äusserst applausfreudig gezeigt hatte, langanhaltende stehenden Ovationen für alle Beteiligten.
Excellent review, unfortunately I missed the Scala, I live in Amsterdam