Aida in Verona

Dirigent: Daniel Oren; Aida: Anna Pirozzi; Radamès: Gregory Kunde; Amneris: Ekaterina Semenchuk; Amonasro: Ludovic Tézier; Ramfis: Alexander Vinogradov; Il Re: Riccardo Fassi; Sacerdotessa: Francesca Maionchi; Un Messaggero: Riccardo Rados; Orchester der Arena di Verona; Chor der Arena di Verona; Inszenierung: Gianfranco de Bosio;  Bühnenbild: Ettore Fagiuoli (basierend auf den Entwürfen von 1913)

Bitte kein Regietheater in der Arena di Verona!

Eine Opernaufführung in der Arena di Verona unterliegt anderen Gesetzen als Vorstellungen in „gewöhnlichen“ Opernhäusern. Die jeden Sommer auf der riesigen Bühne des römischen Amphitheaters unter freiem Himmel dargebotenen Opernaufführungen müssen sich von jeher den Vorwurf eines überwiegend touristisch orientierten Massenspektakels gefallen lassen. Angesichts der einzigartigen Atmosphäre und des Engagements von erstklassigen Starbesetzungen, was sich unter der gegenwärtigen Intendantin Cecilia Gasdia in den letzten Jahren noch verbessert hat, sowie der aufwändigen Inszenierungen haben jedoch auch eingefleischte Opernfans gute Gründe, zum wiederholten Mal in die wunderschöne mittelalterliche Stadt an der Adige zu pilgern – zumal Opernliebhaber hier in der Regel sicher sein können, von modernen Regie-Entgleisungen, wie man sie mittlerweile auch an den großen Opernhäusern Italiens immer häufiger erlebt, verschont zu bleiben.

Das seit der Gründung des Festivals im Jahre 1913 am häufigsten dargebotene Werk ist Giuseppe Verdis Aida – eignen sich doch die Dimensionen der Arena hervorragend für diese Oper mit ihren großen Chorszenen und Aufmärschen. Das Festival befindet sich dabei in der luxuriösen Situation, seinem Stammpublikum in verschiedenen Jahren unterschiedliche Inszenierungen der beliebtesten Opern anbieten zu können. So hatte man sich dieses Jahr glücklicherweise entschieden, neben der modernistischen Neuproduktion der Aida von Stefano Poda auch wieder auf die langjährige historische Produktion zurückzugreifen, die das Publikum bereits über Jahrzehnte begeistert hat.

Aida in Verona

Die historische Inszenierung des 2022 verstorbenen Gianfranco de Bosio gehört zu den erfolgreichsten Arena-Produktionen der letzten drei Jahrzehnte. 2019 wurde sie noch vom Regisseur selbst einstudiert und aufgefrischt. Das Bühnenbild geht auf historische Entwürfe von Ettore Fagiuoli aus dem Jahr 1913, der Geburtsstunde des Festivals, zurück und ist eine wahre Augenweide. Die bunt-verspielten Säulen, Sphinxen, Tempelmauern und Palmen ergänzen in wechselnden Arrangements die Steinstufen-Architektur der Arena auf kongeniale Weise und entführen das Publikum in die Welt des antiken Ägyptens zur Zeit der Pharaonen. Trotz der großen Prachtentfaltung in diesem Ambiente während der Massenszenen drängt sich dieses berühmte Bühnenbild niemals in den Vordergrund. Es stand für eine zeitlose Erhabenheit, die ganz auf die Entfaltung der Musik abzielt. Die Schlussszene, wenn Radames und Aida in den unterirdischen Katakomben des Isis-Tempels eingemauert werden und man den Chor neben der trauernden Amneris aus dem Hintergrund singen hört, erzeugt auch dank des szenischen Aufwands eine Atmosphäre, die ihresgleichen sucht! Dabei lässt der Regisseur den Sängern und der Musik stets den Vorrang und erzählt die grausame Geschichte auf berührende Weise. Das kam der Besetzung zugute, die aus musikalischer Sicht heutzutage schwer zu toppen ist.

Anna Pirozzi in der Titelrolle gehört heute zu den führenden Interpretinnen der äthiopischen Königstochter. Mit ihrem voll tönenden, warmen Sopran gelang es ihr mühelos, das gigantische römische Amphitheater zu füllen. Gleichzeitig begeisterte sie mit strahlenden Höhen, zarten, lyrischen Piani („Numi, pietà del mio soffrir!“) und heftigen dramatischen Ausbrüchen. Dabei bewies sie eindrucksvoll, dass diese schwierige Rolle auch heute noch hervorragend besetzt werden kann. So bot sie mit ihrer anspruchsvollen, äußerst berührend vorgetragenen Nil-Arie „O patria mia“ des dritten Aktes makellose Registerwechsel und Momente, in denen sie ihren farbenreichen Sopran warm strömen ließ und die Arie mit einem makellosen Aufstieg zum hohen C abrundete.

Aida in Verona
Aida. EnneviFoto.

Eine ebenso stimmlich beeindruckende Leistung bot der 70-jährige Gregory Kunde als Radamès. Sein im Belcanto geschulter, weicher Tenor hat deutlich an Fundament gewonnen, ohne seine Flexibilität und Höhe einzubüßen. So gelang es ihm, auch dank seiner hervorragenden Technik, bereits in seiner schwierigen Arie „Celeste Aida“ mit dem abschwellenden Schlusston im morendo, der von nur wenigen Sängern, so umgesetzt wird,  zu überzeugen. Mit strahlenden Höhen, belcantesk gesungenen Phrasen und großangelegten Bögen zeichnete er ein berührendes Rollenportrait der ägyptischen Feldherren, das die Verletzlichkeit dieses zutiefst liebenden und zwischen Liebe und Verrat des Vaterlandes aufgeriebenen Kriegers betonte. In der berührend gestalteten Schlussszene verschmolzen die Stimmen von Anna Pirozzi und Gregory Kunde, begleitet durch die Süße der Violinen, auf wunderbare Weise.

Auch Ekaterina Semenchuk konnte als ägyptische Prinzessin Amneris voll in ihrer Partie aufgehen. Mit ihrem  schlank geführten Mezzo, der leider bei den tiefen Noten zu einer etwas fahlen Farbe neigt, zeichnete sie ein rundum mitreißendes Porträt der unglücklich liebenden Pharaonentochter – eine fantastische Gesangsleistung, die sie im vierten Akt mit einer fulminanten Gerichtsszene auf großartige Weise für sich gefangen nehmen.

Eine große Aufwertung erfuhr die undankbare Rolle des äthiopischen Königs Amonasro durch die Besetzung mit dem Starbariton Ludovic Tézier, der mit weichen Kantilenen ein traumhaftes Bild der äthiopischen Landschaften musikalisch zeichnete, um wenig später seine Drohungen gegen Aida („Dei Faraoni tu sei la schiava“) umso heftiger entgegen zu schleudern. Alexander Vinogradov gestaltete einen bedrohlichen Oberpriester Ramfis mit nachtschwarzem,  jedoch kultiviertem Bass, während Riccardo Fassi als Pharao mit eleganten und feierlichen Kantilenen das ägyptische Volk auf den Krieg einschwor („Su del Nilo“). Francesca Maionchi begeisterte mit den kunstvollen Verzierungen in der kurzen, jedoch schwierigen Partie der Sacerdotessa, Riccardo Rados sang punktgenau den Messaggero.

Aida in Verona
Aida. EnneviFoto.

Mit Bravour und großer Eleganz entledigte sich der Chor der Arena di Verona (Einstudierung: Roberto Gabbiani) seines anspruchsvollen Parts, wobei die Anordnung der Chorsänger in der Triumphszene einen überwältigenden Klangeffekt erzeugte. Unter der Leitung von Daniel Oren bewies das Orchester der Arena di Verona, wie tief es die Partitur der Aida in seiner „DNA“ verinnerlicht hat. Trotz der eher straffen Tempi begannen die  Streicher  das Aida-Motiv im zarten dreifachen Pianissimo, die kunstvollen Exotismen der Partitur waren bestens herausgearbeitet, die Trompeten erklangen feierlich und klangprächtig, und im Nil-Akt beschworen die Pizzicati der Streicher eine Nacht in der Wüste herauf. Es entstand dabei zu keinem Zeitpunkt der Eindruck einer Routine! Auch die Tänzer trugen in den bestens musizierten Ballett-Einlagen zum Gelingen des Abends bei.

Am Ende erhielten alle Beteiligten, allen voran Anna Pirozzi und Gregory Kunde, stehende Ovationen. Ein wunderbarer Abend, der einmal mehr zeigte, wie großartig die Magie des Gesamtkunstwerks Oper funktionieren kann, wenn die Inszenierung für einen stimmigen Rahmen sorgt und genug Raum für Sänger und Musik lässt. Deshalb angesichts der Tatsache, dass nächstes Jahr ausschließlich die moderne Poda-Inszenierung gezeigt werden soll, meine Bitte an die Intendanz des Festivals:

Bitte kein Regietheater in der Arena di Verona!

Noch ein Nachtrag: Natürlich gehört es in der Arena di Verona dazu, zahlreiche Touristen anzulocken, auch solche, die sich nicht für Oper interessieren. Was jedoch an diesem Abend im Publikum vor sich ging, war derart unbeschreiblich störend, sodass der Genuss der Aufführung deutlich beeintraechtigt wurde. Ein ununterbrochenen quasselndes, teilweise umher rennendes Publikum, klingendeln Handys schien an diesem heißen Sommerabend kaum zu bändigen. Hier sollte wirklich wieder etwas mehr Disziplin einkehren!

Marco Aranowicz

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Marco Aranowicz

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MARCO ARANOWICZ IS BASED IN ZURICH. HE IS GOING TO THE OPERA SINCE THE AGE OF TEN, AND HE LIVES FOR THE GREAT ITALIAN OPERA REPERTORY.

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