Götterdämmerung. Grossartige Sänger.

Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner, Text von demselben.

Musikalische Leitung: Jonathan Nott; Inszenierung: Benedikt von Peter; Co-Regie: Caterina Cianfarini; Bühne: Natascha von Steiger; Kostüme: Katrin Lea Tag; Kostümmitarbeit: Karoline Gundermann; Lichtdesign: Roland Edrich; Videodesign: David; Fortmann; Sounddesign: Robert Hermann; Puppencoach: Manuela Linshalm; Sprachcoach: Pia Lux; Chorleitung: Michael Clark; Dramaturgie: Roman Reeger; Siegfried: Rolf Romei; Gunther: Günter Papendell; Alberich: Andrew Murphy; Hagen: Patrick Zielke; Brünnhilde: Trine Møller; Gutrune: Heather Engebretson; Waltraute: Jasmin Etezadzadeh; Erste Norn: Marta; Herman; Zweite Norn: Jasmin Etezadzadeh; Dritte Norn: Sarah Marie Kramer; Woglinde: Harpa Ósk Björnsdóttir; Wellgunde: Valentina Stadler; Flosshilde: Sophie Kidwell; Wotan: Nathan Berg; Erda: Hanna Schwarz; Brünnhilde Double: Clara Rueff; Stumme Walküren: Marta Herman. Sophie Kidwell, Sarah Marie Kramer, Valentina Stadler, Harpa Ósk Björnsdóttir; Chor des Theater Basel; Sinfonieorchester Basel
Besuchte Vorstellung: 10. Oktober 2024, Theater Basel
Musik: 4*
Regie: 3*
Götterdämmerung
Photo Ingo Höhn

Wotan schweigt. Das Pferd wiehert.

Obwohl man nun schon bei der Götterdämmerung des Basler Rings angelangt ist, hat man sich noch immer nicht daran gewöhnt, Brünnhilde aus dem Off zu hören, wie sie melancholisch, resigniert Vergangenes kommentiert. Die Kommentare sind zu kurz und mit wenig Aussage, um eine Richtung oder eine neuartige Sichtweise auf das Geschehene zu geben, und werden nur als Unterbrechung des Flusses der Handlung und der Musik empfunden. Auch die zusätzlichen, nicht auf die Bühne gehörenden Figuren – da in der eigentlichen Handlung nicht vorkommende stumme Erdas, Wotans und Walküren – führen nicht zu einer Erhöhung des Geschehens. In der Schlussszene der Oper, welche hier nicht verraten werden soll, wird zwar klar, wieso in dieser Inszenierung die Anwesenheit beispielsweise eines stummen Wotans auf der Bühne nötig ist. Dennoch lässt uns dies nicht mit der Einsicht zurück, dass die Pointe oder die Auflösung des ganzen Konstrukts, erdacht von Inszenierer Benedikt von Peter, Intendant am Theater Basel, und Co-Regisseurin Caterina Cianfarini, die Abänderung der doch eigentlich nicht schlechten ursprünglichen Handlung Wagners rechtfertigt. Hierdurch wird die Musik nicht schöner, die Handlung nicht prägnanter, die Momente nicht emotionsgeladener und lassen den Zuschauer verwirrt zurück, wobei er durchaus nicht gelangweilt ist. Es war interessant, in der Pause den diskutierenden Zuschauern zuzuhören, was nun mit dieser oder jener Szene hätte gemeint sein können.

Visuell äusserst reizvoll waren die Puppen, welche von bis zu vier Personen gleichzeitig gesteuert wurden, z. B. die Rheintöchter, die Kröte, der Drache, zwei Wölfe etc. Insbesondere die Puppen der Rheintöchter wussten zu begeistern, z. B. in der ersten Szene des dritten Aufzugs, als die drei Rheintöchter Siegfried um den Kopf herumschwirrten, während sie versuchten, ihm den Ring abzuschwatzen. Beeindruckend war auch, dass sich das Theater Basel die Mühe machte, ein echtes Pferd in der Rolle von Grane zu organisieren, welchem die Wagnerschen Klänge zu gefallen schienen, wobei es in der Schlussszene keinen Auftritt mehr hatte.

Götterdämmerung
Photo Ingo Höhn

Staubsauger mit innovativer Zyklon-Technologie

Weniger reizvoll war die nüchtern gestaltete Einheitsbühne (Natascha von Steiger), die links auf der riesigen Bühne ein zweistöckiges Haus zeigte, welches auch auf dem Gelände des Vitra-Design-Museums hätte stehen können, eingerichtet mit Möbeln, die von einem nordischen Grossproduzenten stammen könnten. Ebenfalls befand sich im Haus ein leistungsstarker Staubsauger mit innovativer Zyklon-Technologie, durch dessen Teleskoprohr Hagen hineinblies, um die Hornrufe Siegfrieds zu veräppeln, was einen nicht unerheblichen Teil des Publikums zum Lachen brachte.

Kettensäge

Diese stilistischen Brüche, auf derselben Bühne wie die riesigen Puppen, machten es teilweise sehr schwer, sich in das Werk einzufühlen. Störend war auch, dass an den ersten Aufzug die erste Szene des zweiten Aufzugs angehängt wurde, was möglicherweise eher technische Gründe (Bühnenumbau) als dramatische Gründe hatte, wohl aber zu einem Zusammenbruch des Spannungsbogens führte. Als überflüssig muss die Szene mit dem Umzugswagen bezeichnet werden, als eine Horde von Männern mit Schutzanzügen auf die Bühne stürmte, sowie die Szene am Schluss des zweiten Aufzugs, als ein Forstarbeiter mit einer Motorsäge einen Ast der Weltesche absägte. So hörte man nach dem Ende der Musik noch die Geräusche einer Motorsäge. Äusserst entbehrlich, was zur herzhaft spontanen Aussage einer Zuschauerin führte, das eben Gesehene als „Seich“ zu bezeichnen.

Im Verlauf der Aufführung wurde deutlich, dass es zu früh war, die Inszenierung von Benedikt von Peter und Caterina Cianfarini abzuschreiben, da die Szene mit Brünnhildes Schlussgesang äusserst originell und ergreifend gelöst wurde – wobei hier, wie erwähnt, nicht zu viel verraten werden soll, da es sich insbesondere deswegen lohnt, sich diese Götterdämmerung anzusehen. Die hierbei gezeigte Intensität und Spannung, zusammen mit dem wunderschönen Gesang Brünnhildes (Trine Møller) und der wunderbaren Musik (Musikalische Leitung: Jonathan Nott), bildeten eine ergreifende Einheit, welche den Umzugswagen, die Schutzanzüge und die Motorsäge vergessen liess. Das Publikum war bewegt und begeistert.

Götterdämmerung

Platzraubende Bühnenpräsenz

Die Kostüme von Katrin Lea Tag gefielen nicht immer und erinnerten oft an Alltagskleidung. Am ehesten standen die Ausstattung von Brünnhilde und den Nornen im Einklang mit ihren Rollen. Gutrune (Sopran: Heather Engebretson) hingegen sah in ihrem Prinzessinnenkleid, das an Glinda aus The Wizard of Oz erinnerte, zauberhaft aus. Der Chor war einheitlich in Weiss gekleidet, was einen sektenartigen Eindruck vermittelte. Trine Møller in der Rolle der Brünnhilde begeisterte durch ihre goldene, warme, voluminöse Stimme, ihre entspannte Singweise in allen Lagen und ihre virtuosen Triller, welche man ihrer grossen Stimme gar nicht so zugetraut hätte. Ihre Rollengestaltung hatte etwas Melancholisches, Verletzliches, und ihr Schlussgesang war von erhabener Schönheit. Rolf Romei gestaltete szenisch einen sehr lebhaften Siegfried, und es gelang ihm insbesondere, die Unbekümmertheit und Naivität seiner Rolle herauszuarbeiten. Das „Mime hiess ein mürrischer Zwerg“ gelang sehr gut. In den dramatischen Stellen wirkte seine Stimme teilweise etwas forciert, und gelegentlich liess sich die Tonhöhe nicht ganz klar fassen. Patrick Zielke als Bösewicht Hagen beeindruckte mit seinem mächtigen, sonoren Bass bei seinen ohne Vibrato gesungenen Hoiho-Rufen, welche diese noch beklemmender erscheinen liessen. Auch szenisch wusste er mit seiner fesselnden, düster-bedrohlichen Bühnenpräsenz zu begeistern. Heather Engebretson in der Rolle der Gutrune ist ein Phänomen. Obwohl eher klein von Statur, verfügt sie über eine raumeinnehmende Bühnenpräsenz und eine kräftige, dramatische Stimme mit beeindruckender Tiefe und strahlender Höhe. Ihre Auftritte hinterliessen allesamt einen starken Eindruck, und man würde sie gerne mal als Medea erleben. Günter Papendell sang einen soliden Gunther, wirkte jedoch szenisch neben den stark gezeichneten Figuren der Gutrune und Hagen etwas eindimensional.

Götterdämmerung
Photo Ingo Höhn

Andrew Murphy lieferte als Alberich eine sehr überzeugende Leistung ab, sowohl gesanglich als auch schauspielerisch, und das „Sei treu!“ ging unter die Haut. Besonders gefiel uns Jasmin Etezadzadehs Gestaltung der Waltraute, die mit ihrer kräftigen Mezzosopranstimme den leidenschaftlichen Ausbrüchen, aber auch den subtilen, lyrischen Passagen vollends gerecht wurde. Jasmin Etezadzadeh durfte man ebenfalls als zweite Norn erleben, welche zusammen mit den anderen Nornen, gesungen von Marta Herman und Sarah Marie Kramer, die Szene zu Beginn der Oper musikalisch und szenisch eindringlich gestaltete.

Höhepunkt der Oper

Wie schon erwähnt, war die Szene mit den riesigen Rheintöchter-Puppen visuell ein Höhepunkt der Oper, aber auch musikalisch, da die Stimmen der Rheintöchter wunderschön harmonierten (Harpa Ósk Björnsdóttir, Valentina Stadler, Sophie Kidwell).

Das Symphonieorchester Basel bot ein beglückendes Klangerlebnis mit ihrem mitreissenden Orchesterspiel höchster Güte. Letztes Jahr führte die Platzierung des Orchesters im überdachten Graben noch zu einer klanglichen Unausgewogenheit: Die Musik wirkte oft dumpf, als ob der Klang im Graben gefangen wäre, anstatt sich frei im Raum zu entfalten. Dieses Jahr lässt sich diese Einschränkung nicht mehr feststellen. Uns ist nicht ganz klar, wie genau dieses Problem behoben wurde; das Ergebnis ist jedoch wunderbar, und das Basler Symphonieorchester klingt fantastisch.

Jonathan Nott erwies sich einmal mehr als grossartiger Wagner-Dirigent mit einem aussergewöhnlichen Sinn für das genau richtige Tempo und Timing. Er schuf einen transparenten, wohlstrukturierten, kultivierten Klang, was auch die Sänger unterstützte, hervorragende gesangliche Leistungen zu erbringen.

 

Grossartige Sänger und Schauspieler

Zusammenfassend wäre es wünschenswert gewesen, eine weniger ambitionierte Inszenierung zu erleben, welche sich stilistisch einheitlicher präsentierte. Die musikalische Qualität des Symphonieorchesters Basel, das herausragende Dirigat von Jonathan Nott und die fabelhaften Sänger und Schauspieler überwiegen die szenischen Schwächen bei weitem. Der szenische Aufbau des Schlussgesangs, obwohl nicht dem Textbuch folgend, darf als gelungen bezeichnet werden. Das Publikum spendete begeisterten rhythmischen Applaus. Der Besuch der Götterdämmerung in Basel ist auf jeden Fall lohnenswert.

Christian Jaeger

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Christian Jaeger

REVIEWER

Christian Jaeger has a passion for the operas of 19th-century Italian composers, is always amazed at how innovative Gluck and Cherubini sound, and loves repertoire companies.

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