Götterdämmerung in Bern

Götterdämmerung

30.03.2025 Bern 

Götterdämmerung; Musikdrama in drei Aufzügen; Dichtung und Musik von Richard Wagner (1813–1883)

Inszenierung: 1*
Musik: 5*****

 Götterdämmerung in Bern 

Der Hauptgrund für unseren Besuch der Götterdämmerung in Bern war natürlich, den Ring nach vier Jahren endlich abschliessen zu können – und auch, um die Berner Lokalmatadorin Claude Eichenberger in der Rolle der Brünnhilde live zu erleben. In ihrer Inszenierung (Ewelina Marciniak) wie auch in der szenischen Gestaltung (Mirek Kaczmarek) vermochte die Götterdämmerung leider nicht zu überzeugen. Auf beiden Seiten der Bühne waren Wände zu sehen, die mit schwarzem Plastik ausgekleidet waren; in einer anderen Szene traten Wände zutage, die mit Alufolie bedeckt schienen. Die Bühnenausstattung wirkte stellenweise wie eine Ansammlung von Second-Hand-Möbeln – etwa Lederstühle, wie man sie aus dem Wartezimmer einer Arztpraxis kennt, sowie ein altes Sofa, auf dem sich Brünnhilde, umgeben von alten Büchern, fläzte. Besonders befremdlich fanden wir die Ausstattung zu Beginn des ersten Aufzugs: In einem Aquarium befand sich ein überdimensionaler Oktopus, daneben hingen vier aufgeschnittene Schweine – ein visuell höchst unappetitliches Bild, das in keinerlei Zusammenhang zur Musik stand.

Szenisch am gelungensten empfanden wir den Auftritt des Chores, der in schwarzen Outfits und mit Motorradhelmen bekleidet links und rechts der Bühne Spalier stand, als Hagen die Szene betrat – ein visuell durchaus wirkungsvoller Moment. Auch Brünnhildes Auftritt zur Doppelhochzeit, als sie auf einer Art Gestell hereingefahren wurde, flankiert vom Chor, war optisch überzeugend inszeniert. Die Schlussszene, in der Brünnhilde laut Text in den Scheiterhaufen springen sollte, wurde durch einen grossen, aufblasbaren, transparenten Ballon ersetzt, in den sie sich hineinlegte – während dieser sich zunehmend mit Luft füllte.

BMX-Schutzkleidung

Auch die Kostüme (Julia Kornacka) konnten uns nicht überzeugen. So trugen die Nornen im Vorspiel zwar an sich ästhetische Leinenkimonos, kombinierten diese jedoch mit unvorteilhafter BMX-Schutzkleidung: die erste Norn mit Schulterpanzern, die zweite mit Brustschutz, die dritte mit Hüftprotektoren – als hätten sie sich zu dritt ein einzelnes Set teilen müssen. Brünnhilde trug Jeans und ein schlichtes schwarzes Oberteil, Siegfried erschien in Motorradkluft, Gunther in einem weiten, gemütlich wirkenden Pullover und mit blondierter Igelfrisur. Hagen trug einen dunklen Anzug mit Rollkragenpullover und eine Goldkette über dem Kragen – sein Auftritt erinnerte eher an einen erfolgreichen Zuhälter oder Mafioso. Gutrune erschien in einem elastischen Kleid in Batik-Optik, dazu gelbe Socken, Turnschuhe und ausgebleichtes Haar. Alberich war gekleidet wie ein Gymnasiallehrer: Strickpulli, Cordhose und Ledermappe – die bedrohliche Wirkung der Szene

„Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“ verpuffte damit vollständig. Die Rheinnixen im dritten Aufzug wirkten optisch wie drei beste Freundinnen, die sich für die Street Parade herausgeputzt hatten. Visuell bot all dies weder Reiz noch Relevanz – mit Musik und Handlung stand es in keinem erkennbaren Zusammenhang.

Bern 2025. Götterdämmerung. ©Rob Lewis.jpg
Bern 2025. Götterdämmerung. ©Rob Lewis.jpg

Sehr störend empfanden wir die Tänzer (Choreografie: Mikołaj Karczewski) – etwa im Vorspiel, wo sie mit nervösen, hektischen Bewegungen auftraten, die in keinerlei Einklang mit der ruhigen, sphärischen Musik standen. Auch das Pferd Grane wurde von einem Tänzer dargestellt, der so fahrig und sprunghaft agierte, dass Siegfried mit einem solchen Pferd den ersten Aufzug kaum überlebt hätte. Mitunter fragte man sich, ob da jemand sein Ritalin nicht genommen hatte.

Fly Emirates !

Auch das Strassen-Outfit der Tänzer war ausgesprochen unästhetisch, störte das Gesamtbild und passte in keiner Weise zur Musik. Besonders irritierend war ein Tänzer, der ein Fussballtrikot mit der Aufschrift Fly Emirates trug – Product Placement auf der Opernbühne, obwohl wir kaum glauben, dass Emirates diese Produktion unterstützt hätte. Wir vertreten ohnehin die Ansicht, dass Alltagskleidung auf der Opernbühne stets den Eindruck erweckt, es handle sich um eine Probe.

 

Nackt? Aber sicher!

Wie es bei Produktionen dieser Art inzwischen fast zum Standard gehört, sah man reichlich Turnschuhe und Trainingsanzüge, es wurde kopuliert, Blut floss – und über weite Strecken fragten wir uns, wie lange es wohl noch dauern würde, bis jemand nackt auf der Bühne steht. Auch dieses Klischee wurde schliesslich erfüllt: Einer der Tänzer verbrachte die letzte halbe Stunde der Oper nackt und blutüberströmt in einer Art Aquarium. Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die drei Personen in Fetisch-Latex-Ganzkörperanzügen mit absurd hohen High Heels. Dabei war es weniger das Outfit selbst, das störte, als vielmehr das ständige Quietschen des Latex bei jeder Bewegung – Geräusche, die in ruhigen Momenten sogar die Pianissimo-Stellen des Orchesters übertönten und das Musikerlebnis erheblich beeinträchtigten.

Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass eine solche Inszenierung eher in eine alternative Kulturstätte passen würde – etwa in einen umfunktionierten Gaskessel oder eine ehemalige Fabrikhalle, aber keinesfalls in das wunderschöne Stadttheater Bern.

Wir möchten besonders hervorheben, dass uns die Szene zwischen Waltraute und Brünnhilde am besten gefiel. Hier konnte man sich ganz auf die Sängerinnen und ihren Dialog konzentrieren – was dieser Szene für uns eine besondere Intensität und Tiefe verlieh. Sie wurde dadurch zu einem der szenischen Höhepunkte des Abends.

 

Etikettenschwindel statt Libretto

Einen weiteren Eindruck von der Regie vermittelt das geänderte Schlussbild: Hagen wird am Ende der Oper nicht – wie im Libretto vorgesehen – von den Rheintöchtern in die Tiefe gezogen, sondern von Gutrune erstochen, die ihm den Ring entreisst.

Bern 2025. Götterdämmerung. ©Rob Lewis.jpg
Bern 2025. Götterdämmerung. ©Rob Lewis.jpg

Nun zu den Sängern. Auch wenn es in früheren Zeiten durchaus Mezzosoprane gab, die sich an der Brünnhilde versuchten – man denke etwa an Martha Mödl, Astrid Varnay* oder Brigitte Fassbaender** –, hat es uns vor diesem Hintergrund dennoch überrascht und erfreut, Claude Eichenberger als Berner Brünnhilde auf der Bühne zu erleben. Unsere Neugier war geweckt: Wie würde sie sich mit dieser gewaltigen Partie schlagen?

Zu Beginn der Oper hatten wir den Eindruck, dass Claude Eichenbergers Stimme in den tiefen Lagen nicht immer ausreichend trug. Zudem kamen Zweifel auf, ob sie die Höhen der Partie bewältigen würde – zumal der erste Spitzenton in der wunderbar überschwänglichen Szene mit Siegfried im ersten Aufzug zunächst etwas zu tief intoniert war, auch wenn sie das rasch korrigierte. Die Befürchtung jedoch, dass ihr die weiteren Spitzentöne im Verlauf des Abends Schwierigkeiten bereiten könnten, bestätigte sich keineswegs. Im Gegenteil: Die Spitzentöne waren nicht nur sicher getroffen – es war geradezu beeindruckend, mit welcher Bravour Eichenberger die Höhen attackierte. Ihre Stimme durchdrang den Raum des Stadttheaters mit durchschlagender Kraft und strahlender Präzision. Man gewann beinahe den Eindruck, diese Brünnhilde brauche ein grösseres Opernhaus, um der Wucht und Grösse ihrer Stimme den angemessenen Raum zu geben.

Darüber hinaus gestaltete Claude Eichenberger ihre Rolle mit grosser Sorgfalt: Sie formte die Worte mit bemerkenswerter Bewusstheit und liess zahlreiche innige, berührende Momente entstehen – musikalisch wie darstellerisch. Ein durch und durch geglücktes Rollendebüt. Grossartig auch James Kee, der mit seiner hellen Tenorstimme einen überzeugenden Siegfried gestaltete – auch optisch eine Idealbesetzung. Schon nach wenigen Takten war zu hören, dass Kee wohl einen exzellenten Cavaradossi im Repertoire hat. Zu Beginn noch mit leicht erzwungenem Vibrato, wurde seine Stimme im Verlauf frei und strahlend. Besonders gelungen: sein eindringliches „Brünnhild’, heilige Braut!“ – ein musikalischer Höhepunkt, der das Publikum spürbar berührte.

Christian Valle beeindruckte als Hagen mit düsterer Autorität und eindrucksvoller Bühnenpräsenz. Seine Hoiho-Rufe hatten schiffshornartige, Gottlob-Frick’sche Wucht – klanglich durchdringend und Ausdruck finsterer Entschlossenheit. Mit sonorem Bass und raumgreifender Präsenz dominierte Valle das Geschehen, verkörperte den undurchsichtigen Strippenzieher mit beklemmender Intensität und machte Hagens dunkle Energie körperlich spürbar.

Jonathan McGovern verlieh dem schwachen, manipulierbaren Gunther eindrucksvoll Tiefe. Besonders überzeugend wirkte er, wenn Gunther erste Gewissensbisse zeigt und innere Zerrissenheit durchscheint. Cassandra Wright überzeugte in der Doppelrolle als Gutrune und Dritte Norn mit einer klanglich faszinierenden Stimme: In der Höhe erinnert ihr Timbre an Mady Mesplé, in der Tiefe an Agnes Baltsa. Ihre Bühnenpräsenz ist eindrucksvoll – agil, ausdrucksstark und darstellerisch überzeugend.

 

„Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“

Susanne Gritschneder, die ihr Gesangsstudium an der Hochschule der Künste in Bern abschloss, gefiel uns als Waltraute (auch als Erste Norn zu hören) ausserordentlich gut. Ihre Stimme zeichnet sich durch edle Tiefe, grosse Ausdruckskraft und eine fast majestätische Klangfülle aus – besonders in den ruhigen, eindringlichen Passagen. Sie verleiht der Figur eine eindrucksvolle Mischung aus Würde, Dringlichkeit und innerer Spannung. Lawson Anderson als Alberich war stimmlich solide, aber – wie bereits erwähnt – szenisch eigenwillig inszeniert: In Strickpulli, Cordhose und mit Ledermappe wirkte er wie ein Gymnasiallehrer – und spielte diese Rolle auch durchaus überzeugend. Doch die bedrohliche Aura fehlte, und so ging die Bedeutung der Szene „Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“ – einer der intensivsten Momente der Oper – beinahe verloren. Sie wirkte seltsam beiläufig und verfehlte ihre dramatische Wucht – wohlgemerkt nicht durch Andersons Leistung, sondern durch die unglückliche Inszenierung.

Auch die übrigen Rheintöchter und Nornen hinterliessen einen insgesamt guten Eindruck: Marcela Rahal (Zweite Norn / Flosshilde), Patricia Westley (Woglinde) und Evgenia Asanova (Wellgunde) überzeugten mit klangschöner Stimmführung – auch wenn der Ensembleklang stellenweise nicht ganz ausgewogen wirkte. Ihre Szenen waren dennoch musikalisch fein abgestimmt. Umso seltsamer wirkte es, dass vom Zerreissen des Schicksalsfadens zwar gesungen wurde, das Seil jedoch nicht zu sehen war – ein symbolisch so bedeutender Moment, der inszenatorisch leider verschenkt wurde. Gerne erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an die Basler Götterdämmerung, in der diese Szene mit grosser Eindringlichkeit umgesetzt war. Der Chor der Bühnen Bern (Einstudierung: Zsolt Czetner) überzeugte im zweiten Aufzug in der Szene der Gibichsmänner – jener einzigen grossen Chorstelle des gesamten Rings: ein reiner Männerchor, der traditionell zu den Höhepunkten der Götterdämmerung zählt. Diese Szene, die man durchaus lesen kann als musikalisch kraftvolle Manifestation selbstzufriedener, toxischer Männlichkeit, gelang dem – man muss sagen: stets sehr guten – Berner Opernchor vortrefflich: klanglich wuchtig, rhythmisch präzise und ausdrucksstark bis ins Detail. Hier blieb kein Wunsch offen.

 

Berner Symphonieorchester in bestechender Form

Das wunderbare Berner Symphonieorchester präsentierte sich unter der musikalischen Leitung von Nicholas Carter in bestechender Form. Besonders hervorzuheben sind die klangschönen Bläserpassagen: perlende Flöten (…auf Felsen hoch ihr Sitz; ein Feuer umbrennt ihren Saal…), prägnant gesetzte Holzbläser und ein strahlender, in allen Lagen präzise artikulierter Blechbläserklang. Die berühmten Orchesterstellen der Götterdämmerung – die Orchesterzwischenspiele, das Trauermarsch-Thema und das Aufbäumen im finalen Weltbrand –wurden mit satter Klangfülle, stilistischer Souveränität und mitreissender dramatischer Wucht gemeistert. Eine solche musikalische Leistung braucht keinen Vergleich zu scheuen.

Carter gelang eine durchweg spannungsreiche, atmende Interpretation, getragen von einem stets klug gewählten Tempo, das sowohl dramatische Energie entfaltete als auch Raum für klangliche Feinheiten liess. Lediglich die Passage ab Brünnhildes „Allrauner, rächender Gott!“ hätte noch etwas entschlossener, mit schärferem Biss gezeichnet sein dürfen. Eine derart starke Darbietung gelingt nur, wenn zwischen Dirigent und Orchester Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung bestehen. Dieser Abend zeigte eindrucksvoll: Das Berner Symphonieorchester ist zu einem hervorragenden Ensemble gereift.

Bern 2025. Götterdämmerung. ©Rob Lewis.jpg
Bern 2025. Götterdämmerung. ©Rob Lewis.jpg

Ein einzelner Buhrufer 

Das Publikum zeigte sich insgesamt begeistert. Lediglich ein einzelner Buhrufer war auszumachen – sichtlich verunsichert, als er merkte, dass niemand mit einstimmte, stellte er seine Missfallenskundgebung rasch wieder ein. Das Stadttheater Bern hat erneut eindrucksvoll sein hohes musikalisches Niveau unter Beweis gestellt – und darüber hinaus gezeigt, dass es kein Werk gibt, dem es nicht gewachsen ist. Mit Freude nehmen wir zur Kenntnis, welch bemerkenswerte Steigerung der musikalischen Qualität – auch im Hinblick auf das Repertoire – das Haus in den vergangenen Jahren vollzogen hat. Mit Spannung blicken wir auf kommende Produktionen, die das Berner Publikum erwarten darf. Das längst überholte Bild eines Provinztheaters bedarf spätestens jetzt einer gründlichen Korrektur. Die Inszenierung selbst empfanden wir zwar als weniger misslungen als die Götterdämmerung bei den letzten Bayreuther Festspielen – was freilich nur ein sehr bedingtes Urteil zulässt. Für eine Empfehlung der szenischen Umsetzung fehlt uns dennoch die Überzeugung.

Aus rein musikalisch-sängerischer Sicht hingegen ist der Besuch uneingeschränkt lohnenswert.

Christian Jaeger

 

*NOTE: Astrid Varnay ist eine Sopranistin, die zum Mezzo wurde.
**ERRATUM: Brigitte Fassbaender hat die Rolle nie gesungen.
 
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Christian Jaeger

REVIEWER

Christian Jaeger has a passion for the operas of 19th-century Italian composers, is always amazed at how innovative Gluck and Cherubini sound, and loves repertoire companies.

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