Les Contes d’Hoffmann in Zürich

Les Contes d’Hoffmann

Les Contes d’Hoffmann 28.06.2025 Zürich
(Version 1.07.2025)

Komponist: Jacques Offenbach (1819–1880). Libretto: Jules Barbier.

Musikalische Leitung: Antonino Fogliani
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühne / Kostüme: Wolfgang Gussmann
Kostüme (Co): Susana Mendoza
Co-Bühne: Thomas Bruner
Lichtdesign: Franck Evin
Dramaturgie: Beate Breidenbach
Chorleitung: Janko Kastelic

Hoffmann: Saimir Pirgu
Nicklausse / Die Muse: Marina Viotti
Olympia: Katrina Galka
Antonia: Adriana González
Giulietta: Lauren Fagan
Stella: Maria Stella Maurizi
Lindorf / Coppélius / Dr. Miracle / Dapertutto: Andrew Foster-Williams
Andrès / Cochenille / Frantz / Pitichinaccio: Nathan Haller
Luther: Valeriy Murga
Spalanzani: Daniel Norman
Crespel: Stanislav Vorobyov
Stimme der Mutter: Judith Schmid
Wilhelm: Samson Setu

Statisterie Opernhaus Zürich / Philharmonia Zürich / Chor der Oper Zürich

Besuchte Vorstellung: 28. Juni 2025, Opernhaus Zürich
Inszenierung: 5*****
Musik: 5*****

Les Contes d’Hoffmann

In der sehr informativen Einführung von Jürgen Ern erfuhren wir, dass es sich bei der Aufführung um die erste Vorstellung vor Publikum handelte – gewissermassen also eine echte Premiere. Die ursprünglich für den 11. April 2021 geplante Premiere war pandemiebedingt nur als Live-Stream realisiert worden. Damals setzte das Opernhaus Zürich ein ausgeklügeltes Schutz- und Übertragungskonzept ein: Orchester und Chor wurden per Glasfaserkabel aus dem Probesaal am Kreuzplatz in den leeren Zuschauerraum am Sechseläutenplatz übertragen.

Antonino Fogliani, den wir bereits bei einer eindrucksvollen Nabucco-Produktion in Genf erlebt haben und der durch seine zahlreichen Rossini-Aufnahmen vom Rossini-Festival in Bad Wildbad (Label Naxos) bekannt ist, überzeugte erneut mit musikalischer Qualität, dramaturgischem Gespür und kreativer Gestaltungskraft. Auch in Zürich bestätigte Fogliani seine Qualitäten als leidenschaftlicher, formbewusster Dirigent mit klarer Handschrift. Seine Interpretation war geprägt von fein abgestimmten Tempowechseln – drängende, hochdynamische Passagen standen neben Ruhepolen, stets strukturell durchdacht und überzeugend modelliert. Das Philharmonia Orchester Zürich beeindruckte durch präzises, präsentes Zusammenspiel. Unter Foglianis Leitung entstanden atmende Klangflächen (z. B. im Giulietta-Akt) ebenso wie eruptive dramatische Verdichtungen (Trio im Antonia-Akt), deren musikalischer „Zug nach vorn“ perfekt getimt war. Diese Kombination aus Energie und Klarheit findet man in dieser Qualität nur selten – ein Mitschnitt wäre wünschenswert gewesen. Die Dichte der Übergänge forderte höchste Wachsamkeit und ständige gestalterische Präsenz. Das Spiel war klanglich ausgewogen, rhythmisch packend, emotional mitreissend und technisch makellos. Mitunter fragte man sich, ob man nicht gerade das beste Opernorchester der Welt hörte – wobei in Momenten grosser emotionaler Erregung die Objektivität naturgemäss etwas ins Wanken geraten kann. Doch genau das ist Ziel einer grossartigen musikalischen Darbietung. An wenigen Stellen wirkte der Chor (Einstudierung: Janko Kastelic) von plötzlichen Temposteigerungen leicht überrascht. Zwar sang er klangschön und präzise, doch nicht immer ganz synchron mit dem Orchester. Dabei darf nicht unterschätzt werden, welch anspruchsvolle Aufgabe es ist, szenisch agil zu agieren, sich in der Masse zu bewegen und dabei stets den Dirigenten im Blick zu behalten – eine beachtliche Leistung.

Les Contes d’Hoffmann

Auch die Inszenierung von Andreas Homoki gefiel uns ausserordentlich gut. Es war nicht allein der Umstand, dass sie sich insgesamt an das Werk hielt – sondern vor allem die kluge Personenführung, die klar gezeichnete Beziehungen sichtbar machte und den ganzen Raum der Bühne optimal nutzte. Mithilfe der stimmungsvollen Lichtregie (Franck Evin), einem Bühnenbild (Wolfgang Gussmann, Thomas Bruner), das uns ausserordentlich gut gefiel, und stilvollen Kostümen (Wolfgang Gussmann, Susana Mendoza), die den einzelnen Figuren nicht nur ästhetisch, sondern auch charakterlich perfekt entsprachen, entstand ein geschlossenes, detailreiches Gesamtbild. Besonders überzeugte uns, wie die Kostüme gewisse psychologische Eigenschaften unterstützten und diese auf subtile Weise sichtbar machten.


Szenischer «Stunt»

Ein zentrales Highlight der Inszenierung war das kunstvoll gestaltete Guckloch – ein theatrales Portal, das die Grenze zwischen Hoffmanns Realität und Fantasiewelt sichtbar machte. Es fügte sich nicht nur stimmig in die Struktur des Werks ein, sondern fungierte auch als visuelles Leitmotiv. Ein besonders eindrucksvoller Moment bot sich im Antonia-Akt: ein mutiger, visuell überraschender Regieeinfall, dramaturgisch schlüssig und musikalisch präzise auf den Punkt gebracht. Ohne zu viel zu verraten – der inszenatorische Eingriff löste im Publikum einen spürbaren Schockeffekt aus. In der Pause fragten zwei Besucher, ob es sich um eine technische Panne gehandelt habe – was wir guten Gewissens verneinen konnten: Der Effekt war gewollt und wirkte. Ein Kompliment gilt Adriana González in der Rolle der Antonia, die diese Szene mit grosser körperlicher und stimmlicher Präsenz meisterte – ein echter szenischer «Stunt» und ein Beispiel für das perfekte Zusammenspiel von Regie, Bühne und Sängerin. Für uns war dies möglicherweise die überzeugendste Inszenierung der Zürcher Intendanz Andreas Homokis. Es entstand ein echtes Gesamtkunstwerk, in dem Regie und Musik nicht – wie so oft – nebeneinander existierten, sondern sich gegenseitig stärkten.

Für zukünftige Produktionen wäre eine konsequente Übertitelung in der Originalsprache mit englischer Übersetzung wünschenswert – anstelle der gängigen Kombination aus Englisch und Deutsch, es sei denn, das Werk wurde ursprünglich auf Deutsch verfasst. Eine Übertitelung auf Deutsch wirkt im internationalen Kontext zunehmend aus der Zeit gefallen – zumal ein Grossteil des alphabetisierten Opernpublikums heute über ausreichende Englischkenntnisse verfügt. Gesungene Texte sind ohnehin nicht immer klar verständlich – leuchtende Ausnahmen bilden etwa Christian Gerhaher, Klaus Florian Vogt oder, wie in diesem Fall, Marina Viotti.

Les Contes d’Hoffmann

Als wir hörten, dass Saimir Pirgu den Hoffmann singen würde, waren wir zunächst skeptisch – aus der Zürcher Carmen-Inszenierung hatten wir ihn eher als laut und wenig differenziert in Erinnerung (wenn auch stimmlich kraftvoll). Doch was für ein Wandel: Hier präsentierte sich ein ganz anderer Sänger. Mit Energie, Ausdruck, lyrischer Sensibilität und beeindruckender vokaler Durchschlagskraft warf er sich in die Rolle – ein starker Auftritt. Die Spitzentöne klangen frei und gesund, der Einsatz durchgehend leidenschaftlich und präzise. Eine grossartige Leistung und ein echtes Erlebnis.

Beim wunderschön phrasierten, im Legato getragenen «Ô Dieu! de quelle ivresse» (Ah vivre à deux!) benötigte Pirgu kurz Hilfe vom Souffleur – dank dessen diskreter Reaktion blieb der musikalische Fluss nahezu ungestört. Auch das: eine bemerkenswerte Professionalität.

Marina Viotti als Nicklausse / Die Muse wurde unseren hohen Erwartungen vollauf gerecht. Sie gestaltete ihren Part mit klarer Wortdeutlichkeit, emotionaler Tiefe und spürbarer gestalterischer Intelligenz – jede Silbe verständlich, jede Phrase durchdacht. Besonders eindrucksvoll war ihre mühelos aufblitzende Höhe, die so überraschend kam, dass der Sitznachbar hörbar Luft holte.

Auch ihre Rossini-erprobte Koloraturkunst zeigte sich – in einer halsbrecherischen Kadenz, die sie souverän meisterte. In „Vois sous l’archet frémissant“ offenbarte Viotti schliesslich die ganze Bandbreite ihres Ausdrucks: lyrisch, warm und klar, mit geschmeidigem Legato, subtiler Dynamik und feiner Farbgebung – stets im Dienst der Musik, nie bloss auf Effekt aus.

Les Contes d’Hoffmann

Katrina Galkas Olympia torkelte einerseits mit hoher Körperspannung mechanisch-steif über die Bühne – amüsant anzusehen –, um dann wieder mit allzu geschmeidigen, fast menschlichen Posen Hoffmann zu umgarnen. Das wirkte szenisch uneinheitlich. Gerade bei einer Figur, deren künstliche Natur im Zentrum steht, hätten wir uns durchgehend puppenhafte Gestik gewünscht.


Begeistertes Publikum

Auch stimmlich erschien uns die Darstellung etwas zu lyrisch und „menschlich rund“. In „Les oiseaux dans la charmille“ fehlte das mechanisch-absurde Moment, das den Reiz dieser Arie ausmacht. Das auffallend langsame Tempo – es erinnerte uns spontan an „Ernani, Ernani involami“ – wirkte in diesem Kontext irritierend. Technisch hingegen war Galkas Leistung tadellos: Die Koloraturen, insbesondere die absteigenden Triolen, waren präzise und klar, mehrere Spitzentöne über das hohe Es hinaus gelangen ihr mühelos. Besonders schön: die Flötenvariation in der Wiederholung, die sie selbst mit eleganter Brillanz aufgriff. Und doch blieb bei uns der Eindruck, dass das schleppende Tempo der Arie etwas von ihrer musikalischen Pointe nahm. Das Publikum indes zeigte sich begeistert und spendete frenetischen Applaus.

Unbedingt erwähnt werden muss Nathan Haller als Frantz (auch als Andrès / Cochenille / Pitichinaccio:). Seine Arie «Jour et nuit je me mets en quatre» gehört zu jenen Nummern, die man im Opernhaus oft als eher lästige Pflichtübung empfindet – und auf Aufnahmen gerne einmal überspringt. Allzu häufig wirken die parodierten Gesangsübungen bemüht witzig, selten wirklich komisch, und nicht selten fühlt man sich beim Zusehen sogar leicht peinlich berührt. Nicht so an diesem Abend. Nathan Haller machte aus der Szene ein kleines Kabinettstück: mit ausgezeichneter Bühnenpräsenz, stimmlicher Wendigkeit und präzisem komödiantischem Timing. Er spielte, sang und gestaltete die Figur mit Charme und Selbstironie – so unterhaltsam, dass das Publikum hörbar Spass hatte. Es wurde gelacht, applaudiert und am Ende herzlich bejubelt.

Les Contes d’Hoffmann

Wegen Platzmangels nur das Wichtigste: Lauren Fagan (Giulietta) begeisterte mit verführerisch warmem Timbre zwischen Sopran und Mezzosopran und stimmiger Bühnenpräsenz; in „Belle nuit, ô nuit d’amour“ klang das Duett so ausgewogen, dass man zwei Mezzos vermutete, und in „L’amour lui dit“ überzeugte sie dunkel gefärbt, elegant phrasiert und frei von Manierismen. Maria Stella Maurizi (Stella) setzte mit klar fokussierter Stimme im Schlussensemble «Des cendres de ton cœur» einen fast überirdischen Akzent – ein stiller musikalischer Höhepunkt von grosser Geschlossenheit.

In den Nebenrollen glänzten bewährte Zürcher Kräfte: Opernhaus-Urgestein Judith Schmid als geisterhafte Mutter (Antonia-Akt), Valeriy Murga als souveräner Luther, Daniel Norman als schrulliger Spalanzani, Stanislav Vorobyov als würdevoller Crespel und Samson Setu als stimmgewaltiger Wilhelm. Die Statisterie rundete mit präzisem Timing das atmosphärisch dichte Gesamtbild ab.

Diese Zürcher Aufführung von Les Contes d’Hoffmann war ein Glücksfall. Entstanden ist ein Abend, der eindrucksvoll zeigte, wie faszinierend Oper sein kann, wenn musikalische und szenische Gestaltung sich nicht nur ergänzen, sondern gegenseitig beflügeln. Für uns womöglich die überzeugendste Arbeit von Andreas Homoki während seiner Zürcher Intendanz – ein Opernerlebnis, das Kopf und Herz gleichermassen berührte. Und sollte das Opernpublikum tatsächlich auf dem Rückzug sein, dann ganz sicher nicht wegen Produktionen wie dieser.

Unbedingt hingehen.

Christian Jaeger

 
5 4 votes
Article Rating
Christian Jaeger

REVIEWER

Christian Jaeger has a passion for the operas of 19th-century Italian composers, is always amazed at how innovative Gluck and Cherubini sound, and loves repertoire companies.

No Older Articles
No Newer Articles
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
1 Kommentar
Newest
Oldest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Assia Vabre
Assia Vabre
9 Stunden zuvor

Ich danke Ihnen für einen so interessanten Überblick über die Oper.