Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti. Dramma tragico in drei Akten. 1835. Libretto von Salvadore Cammarano, nach Sir Walter Scotts Roman The Bride of Lammermoor. Uraufführung am Teatro S Carlo, Neapel, am 26. September 1835. Besuchte Aufführung: 24. Juni 2021, Opernhaus Zürich.
Enrico Ashton: Massimo Cavalletti; Lucia, seine Schwester: Irina Lungu; Edgardo di Ravenswood: Piotr Beczała; Lord Arturo Bucklaw: Andrew Owens; Raimondo Bidebent, Lucias Erzieher: Oleg Tsibulko; Alisa, Lucias Kammerdame: Roswitha Christina Müller; Normanno, Hauptmann: Iain Milne; Lucia als Kind: Sava Baumgartner; Edgardo als Kind: Jack Csajka; Enrico als Kind: Ludwig Hoefs; Normanno als Kind: Samuel Maurer
Philharmonia Zürich; Chor der Oper Zürich; Glasharmonika: Thomas Bloch; Harfe: Julie Palloc
Musikalische Leitung: Speranza Scappucci; Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Musik: *****4*****
Inszenierung: **2,5**
Für grosse Freude hatte bei den Züricher Opernfreunden die Nachricht gesorgt, dass trotz des bereits verkündeten Ende der regulären Spielzeit, die ursprünglich geplante Premiere der Neuinszenierung von Gaetano Donizettis Oper Lucia di Lammermoor, gefolgt von drei Vorstellungen vor hundert Zuschauern stattfinden könne. Zudem lockte eine ausgezeichnete Besetzung den in den letzten Corona-Monaten völlig ausgehungerten Opernliebhaber.
Für die Inszenierung dieses in Zürich äusserst beliebten Belcanto-Klassikers konnte erneut die in Zürich bestens bekannte Regisseurin Tatjana Gürbaca gewonnen werden. Im digitalen Programmheft gibt die Regisseurin ein äußerst fundiertes und kluges Interview, welches die möglichen psychologischen Beweggründe der Figuren Enrico, Lucia, Edgardo und Normanno erklärt, Lucias Wahnsinn auf interessante Weise würdigt und die Handlung der Oper in einen historisch- gesellschaftlichen Kontext zu den Hintergründen der Cromwell-Zeit setzt. Leider gelang es jedoch der Regisseurin nur eingeschränkt, ihre interessanten Gedanken auf der Bühne umzusetzen. Auf der kühlen Drehbühne von Klaus Grünberg waren zeitlose, teilweise identische Räume sichtbar, welche im zweiten Teil des Abends mit Lucias Wahnsinn dekonstruiert wurden. Die Regisseurin lässt dabei die Sänger die modernen Kostümen von Silke Willrett tragen, welche Schottenkaros mit Jogginghosen und Abendkleidern kombinieren, wobei die Personenregie allerlei Kuriositäten aufweist, welche nur wenig Bezug zu Donizettis Meisterwerk aufweisen. Warum pult Lucia während ihrer Arie im ersten Akt Daunenfedern aus einem Kissen? Warum bewegen sich zu dem berühmten Sextett bei Edgardos plötzlicher Rückkehr, einem Moment bei dem Donizetti die äußere Handlung gewissermaßen angehalten hat, Solisten und Statisten in einer Art Ringelreihen über die Bühne?
Warum sind während der sog. Turmszene zwischen Edgardo und Enrico diverse zum Teil leicht bekleidete Statisten anwesend, welche allerlei Arten von Waffen schwenken und dabei von der Musik ablenken? Ratlos macht einen auch die Sexorgie, mit der die Hochzeit (“D’immenso giubilo”) von Lucia und Arturo gefeiert wird, sowie die Schlussszene, wenn Edgardo unter einem Bettgestell offenbar bereits sein eigenes Grab aushebt. Da machte es mehr Sinn, dass sich Enrico, der nun alles verloren hat, sich vor der Schlussszene offenbar erhängt. Auch die Liebesszene zwischen Lucia und Enrico im ersten Akt, wenn plötzlich Blumen und Baumstämme in dem sonst nüchternen Bühnenraum wachsen, erzeugt das in diesem Moment eine wunderbare Poesie und Romantik. Die Doppelungen, welche Lucia, Edgardo, Enrico und Normanno als Kinder zeigt, waren so dezent ausgeführt, dass sie den Operngenuss nicht weiter beeinträchtigten.
Mit Irina Lungu stand als Titelheldin eine erfahrene Sängerin zur Verfügung. Während sie in ihrer Auftrittsarie noch etwas belegt klang und in der Höhe einen Hang zur Schrille aufwies, hatte sich die sympathische Sängerin zu dem Liebesduett mit Edgardo di Ravenswood deutlich frei gesungen. Im weiteren Verlauf gelang es ihr ausgezeichnet die heikle Balance dieser gleichermaßen gebrechlichen, wie auch kämpfenden Figur glaubhaft darzustellen. Das zeigte sich in der ausgezeichnet und virtuos gesungenen Wahnsinnsszene, als sich die Sängerin mit der als einzigem Instrument im Orchestergraben präsenten Glasharmonika ein fulminantes Duett lieferte. Eine Freude für die Ohren, war die Wiederbegegnung mit Piotr Beczala am Opernhaus Zürich, der in dieser Neuinszenierung ein letztes Mal, die Partie des Edgardo di Ravenswood, welche er bereits vor vielen Jahren an der Metropolitan Opera gesungen hatte, übernahm. Beczala klang in der besuchten Vorstellung ausgeruht und bestens bei Stimme. Mit grossem Farbreichtum, Schmelz, strahlenden Höhen, sowie heldischem Glanz gelang es ihm ein berührendes Porträt des unglücklichen Edgardo die Ravenswood zu zeichen. Da gingen bereits Phrasen wie “Orrida è questa notte” oder die Schlussarie “Tu che a Dio spiegasti” wahrlich zu Herzen. Als Lucias brutaler Bruder Enrico Ashton, der auch nicht davor zurückschreckt, seine Schwester mit Schlägen zu züchtigen, hatte man Massimo Cavaletti gewinnen könnten, der mit robusten und teilweise rauem Bariton, seine Partie ebenfalls durchweg glaubwürdig zeigte. Besonders im Duett “Il pallor funesto orrendo” vermochte Cavaletti zu überzeugen. Ausgezeichnet hatte das Opernhaus alle kleineren Rollen besetzt: Andrew Owens als Lucias Breutigam Arturo, Oleg Tsibulko als zwielichtiger Raimondo, Iain Mill als Normanno, sowie Roswitha Christina Müller als Alisa ließen in ihren Rollen aufhorchen.
Am Pult der Philharmonia Zürich leitete die großartige Dirigenten Speranza Scappucci die Vorstellung aus dem Probengebäude am Kreuzplatz, wo auch der von Janko Kastelic einstudierte Chor sang. Das temperamentvolle und glutvolle Dirigat von Scappucci wurde dabei per Glasfaser ins Opernhaus übertragen, wobei die Abmischung des Klangs oft im Opernhaus oft etwas laut wirkte. Man kann nur hoffen, dass auch bald die letzten Corona-Beschränkungen fallen und in der neuen Spielzeit, das Orchester wieder im Graben platz nehmen kann. Das Publikum war am Ende dieser Aufführung glücklich, dass es endlich wieder eine Opernaufführung besuchen konnte und spendete allen Sängern viel herzlichen Applaus.