Gioachino Rossini. La Cenerentola, Bayerische Staatsoper München
Besuchte Vorstellung: 16. Juni 2024.
- Musikalische LeitungAntonino Foliani
- Inszenierung
- Bühne und Kostüme
- Chor
- Don Ramiro
- Dandini
- Don Magnifico
- Clorinda
- Tisbe
- Angelina (Cenerentola)
- Alidoro
- Bayerisches Staatsorchester
- Bayerischer Staatsopernchor
Musik: 5*****
Inszenierung: 5*****
Ein rundum beglückendes Rossini-Fest war die Wiederaufnahme der weltberühmten Inszenierung von „La Cenerentola“ an der Bayerischen Staatsoper von Jean-Pierre Ponnelle (1932-1988) aus dem Jahr 1980. Diese Inszenierung ist bis heute in leicht abweichenden Varianten auch in San Francisco, Mailand und Düsseldorf zu sehen und sorgt auch an der Isar weiterhin für Begeisterung. Sie lebt von ihrem feinen Humor und Witz, die ausschließlich aus Musik und Libretto abgeleitet werden, und verzichtet vollständig auf platte Gags oder Aktualisierungen, wie man sie heute meist erlebt. Auch der in Zürich mittlerweile seit über 30 Jahren gezeigten, beliebten Inszenierung von Cesare Lievi ist diese Produktion deutlich überlegen. Sie ist zwar ein Riesenklamauk, aber ausschließlich im positiven Sinne! Die Stimmung entsteht vor allem durch die Spielfreude der Solisten und viel Situationskomik. Dabei ist die Personenführung einmal mehr ein Meisterwerk, wie es so häufig bei Ponnelle der Fall war. Die Charaktere werden liebevoll und genau gezeichnet, und die Sänger haben den Freiraum, den sie für eine gute Komödie brauchen.
Ein herausragendes Beispiel hierfür ist das Finale des ersten Akts, in dem die beiden Stiefschwestern glauben, der Diener Dandini sei der Prinz. Als dieser ihnen erklärt, er könne nur eine der Schwestern heiraten und würde die andere gerne seinem Diener, der in Wirklichkeit der verkleidete Prinz ist, zur Frau geben, zeigen die Schwestern offen ihren Ekel vor der Heirat mit einem vermeintlichen Dienstboten („Plebejer und Dutzendgesicht“). In diesem Moment deutet jeweils eine der Schwestern mit dem Zeigefinger auf die andere, während sie fragt, was mit der Nicht-Auserwählten passieren würde („E l’altra?“). Allein in diesem kurzen Moment zeigt die Inszenierung bereits mit geringen und intelligenten Mitteln, welchen niederträchtigen Charakter die beiden Stiefschwestern haben, die in Wirklichkeit nur ihre Gemeinheit gegenüber Cenerentola miteinander vereint.
Auch die Bühnenbilder sind wunderschön und märchenhaft verspielt. Das Ganze beginnt in einer stark heruntergekommenen Villa, die an ein Puppenhaus erinnert, bei dem sich Vorhänge und Fenster öffnen und die Räume der jeweiligen Protagonisten zeigen. In der Mitte sitzt Aschenputtel am Herd und kocht. Vor dem Gebäude treten die Diener des Prinzen in roten Uniformen auf, welche angesichts des Tempos, mit dem die Schwestern nach Aschenputtel rufen, immer wieder blitzschnell ihren Kopf in die Richtung der rufenden Schwester wenden, bis ihnen ganz schwindelig wird. Was für eine geniale Choreografie des Chores im Rhythmus der Musik!
Das Schloss des Prinzen besteht aus schwarz-weißen, wunderschön bemalten Vorhängen, die hintereinander gestaffelt aufgehängt sind und so barocke Kulissen zitieren. Sie formen sowohl Weinkeller als auch Festsaal. Alles in der Ausstattung ist liebevoll und voller verspielter Schnörkel! Zum Aktende gibt es dann auch ein festliches Buffet mit Hummern, Früchten und diversen Torten, über die sich alle gierig hermachen, während sich Cenerentola und ihr Prinz näherkommen. Im zweiten Akt sitzt Don Magnifico auf dem abgegrasten Buffet und träumt davon, Vater der Prinzengattin zu sein. Kurz darauf gibt es dann das Gewitter. Hier regnet es auf der Bühne, und zahlreiche Leute suchen Unterschlupf unter einem einzigen Regenschirm. Darunter befindet sich auch ein lustiger kleiner Hund – der auf der Bühne nicht unbedingt das machte was er sollte – bevor es dann zum großen Wiedererkennen zwischen Aschenputtel und dem Prinzen kommt! Nun nehmen sich alle sechs Sänger an den Händen und formen genau jenen Knoten, der im Sextett besungen wird. Bevor sich am Ende alle zu einem finalen Hochzeitsfoto mit einem alten Fotoapparat versammeln, dürfen die beiden Schwestern noch kreischend in Ohnmacht fallen. Auch die Kostüme sind durchweg märchenhaft und eine Augenweide, vor allem natürlich Aschenputtels Ballkleid! Die Schwestern sind in zwei aufwändige, aber völlig lächerliche Reifrockkostüme gekleidet und wirken wie zwei aufgeplusterte Hennen, die sich ganz toll vorkommen, die aber in Wirklichkeit nichts als peinlich sind. Bei so viel Tempo war es nicht erstaunlich, dass das Bühnengeschehen mehrfach Szenenapplaus erhielt.
Auch musikalisch war die besuchte Vorstellung Rossini-Genuss vom Feinsten. Mezzosopranistin Isabel Leonard verstand es, in der Titelrolle als Angelina mit ihrem warmen, hellen, wunderschönen Mezzo das Publikum im Handumdrehen um den kleinen Finger zu wickeln. Die Koloraturen funkelten wie die Diamanten an Cenerentolas Ballkleid und mündeten am Ende in ein fulminantes Schlussrondo (Non piu mesta). Lawrence Brownlee hat als Prinz Ramiro einmal mehr bewiesen, dass er immer noch ein führender Rossini-Tenor unserer Tage ist. Sein heller, geschmeidiger Tenor hat sich zwar weiterentwickelt, ist jedoch weiterhin wendig und schwang sich zur Begeisterung des Publikums in höchste, koloratursichere Höhen auf. Das Duett Cenerentola-Ramiro im ersten Akt war einfach nur traumhaft gesungen, und bei den gemeinsamen Koloraturen verschmolzen die herrlichen Stimmen der Sänger auf wunderbare Weise!
Nikolai Borchev legte in der Prinzenverkleidung als Dandini einen bombastischen Auftritt hin und sang und spielte im weiteren Verlauf mit seinem Prachtbariton voller Energie und Witz. In nichts stand ihm der Don Magnifico von Misha Karres nach; sein herrlicher, koloratursicherer Bass passte perfekt zu dieser Partie. Er riss das Publikum mit seiner Verkörperung des boshaften Stiefvaters durch seine Spielfreude und Identifikation mit der Rolle zu Begeisterungsstürmen und Lachkrämpfen hin! Mit sonorem Bass griff der Alidoro von Roberto Tagliavini immer wieder in die Handlung ein und sang seine Arie vor einem Zwischenvorhang würdevoll mit wunderbar klanglichen, perfekt geführten aber doch flexiblen Bass. Mit großer Spielfreude waren Cenerentolas böse Stiefschwestern besetzt, wobei Jessica Niles als Clorinda, die in dieser Aufführung die traditionell zwischen den Schwestern wechselnde lange Nase trug, mit glockenhellem Sopran auf sich aufmerksam machte, während Emily Sierra als Tisbe mit wunderschön geführtem Mezzosopran punktete. Beide spielten zwei tollpatschige, bösartig-verzogene Gören mit ihren Ohnmachtsanfällen und hysterischen Heulkrämpfen, was häufig die Lachmuskeln betätigen ließ. Der von Franz Obermair einstudierte Chor bewies höchstes Niveau und die in dieser Inszenierung geforderte Spielfreude. Auch das Orchester unter Antonino Foliani, der das Dirigat kurzfristig für Ivor Bolton übernommen hatte, spielte hinreißend voller Präzision, Witz und Brio, wobei auch die ruhigeren Momente der Partitur wunderbar ausgekostet wurden! Da zwitscherten die Bläser, setzten in der Sinfonia prächtig klingend die Hörner ein, da waren die Tempi des meisterhaft komponierten Finale aufeinander abgestimmt, da stimmte jede Nuance in dem berühmten Sextett mit seinem Crescendo. Auch die phantasievolle Begleitung der Rezitative mit zahlreichen humorvollen Zitaten von Themen aus anderen Werken durch Alessandro Pratico sorgte für viel Heiterkeit.
Das Ergebnis dieses Abends ist ein wunderbares Gesamtkunstwerk, das vom Publikum entsprechend gefeiert wurde. Jung und Alt spendete stehende Ovationen.