GIUDITTA
Giuditta ist eine Operette in fünf Bildern. Es ist die letzte Operette, die Franz Lehár komponierte. Er selbst nannte sein Werk eine „Musikalische Komödie“. Das Libretto verfassten Paul Knepler und Fritz Löhner-Beda. Uraufführung war am 20. Januar 1934 in der Wiener Staatsoper. In der Titelrolle war Jarmila Novotná zu sehen, die männliche Hauptrolle sang Richard Tauber, Dirigent war der Komponist.
Besucht am 18. Dezember 2021, Bayerische Staatsoper München
Musikalische Leitung: Titus Engel
Giuditta: Vida Miknevičiūtė
Hauptmann Octavio: Daniel Behle
Anna: Kerstin Avemo
Sladek: Sebastian Kohlhepp
Leutnant Antonio: Jochen Schmeckenbecher
Fräulein Schminke: Olivia Grigolli
Knorke: Ueli Jäggi
Horst: Raphael Clamer
Manuele, Giudittas Ehemann / Ein Herzog: Magne Håvard Brekke
Lord Barrymore: Marc Bodnar
Girl: Liliana Benini
Luftballonverkäuferin: Altea Garrido
Christian Oehler, ein Stuttgarter Klavierfabrikant: Bendix Dethleffsen
Leiter der Bewegung: Joaquín P. Abella
Leiter der Gegenbewegung: Sebastian Zuber
Inszenierung: Christoph Marthaler
Bayerisches Staatsorchester
Musik: 3***
Inszenierung: 1*
Diese Lippen bleiben kalt beim Küssen
Oper oder Operette, ein Medley, Filmmelodram? Franz Lehár nannte seine letzte Operette Musikalische Komödie. Die Kompositionen und Lieder stammen von ihm selbst und seinen Zeitgenossen Victor Ullmann, Alban Berg, Arnold Schönberg, Béla Bartók, Strawinsky, Schostakowitsch, Hanns Eisler und Erich W. Korngold u.a. Einzeln zum Großteil gut vorgetragen, ein Ganzes wird daraus bei der Premiere im Münchner Nationaltheater nicht.
Dabei ist die Musik von großer Qualität. Franz Lehár komponierte das Werk in den Jahren 1931 bis 1933. Marlene Dietrich hatte kurz zuvor in ihrem ersten Hollywood-Liebesdrama Morocco mit ähnlicher Handlung begeistert. Das Libretto, verfasst von Fritz Löhna-Beda und Paul Knepler, die damit und mit ersten Szenen an Lehár herantraten, trug damals noch den Untertitel Ein Spiel von Liebe und Leid. Aus dem Fremdenlegionär wurde als Referenz an Mussolini und zu Italien ein italienischer Offizier, aus Giulietta wurde Giuditta.
Léhar ließ vor der Premiere auf eigene Kosten eine Orchesterpartitur drucken. Die Uraufführung am 20. Januar 1934 wurde bejubelt. 120 Radiosender übertrugen sie in Österreich und Europa. Lehár selbst dirigierte und stand an diesem Abend erstmals am Pult des Orchesters in der Wiener Staatsoper. Eine Oper mit einem Antihelden, die in Zeiten des Heldenkultes vom Scheitern erzählt, das war damals eine Seltenheit.
Zwei, die sich lieben, vergessen die Welt
Die Handlung ist schnell erzählt: Ein junger Soldat und eine Frau, gelangweilt in ihrer Ehe mit einem viel älteren Mann. Octavio und Giuditta, sie verlieben sich. Sie geht mit ihm von Italien nach Nordafrika, beide sind glücklich, bis er in den Krieg ziehen muss. Er überlegt, zu desertieren und bei ihr zu bleiben, doch seine Vernunft siegt. Als Sängerin arbeitet sie in einem Nachtclub, lässt sich von reichen Männern aushalten. Als der Krieg vorbei ist, findet er sie, aber kann sie nicht zurückerobern. Fünf Jahre später treffen sie in einer Hotelbar aufeinander, er als Klavierspieler, sie in Begleitung eines reichen Gönners. Er empfindet nichts mehr für sie.
Zwei weitere Figuren rücken bei Christoph Marthaler in den Fokus: Antonio und Sladek. Ersterer ist Oktavios Freund und sein Untergebener in der Armee, der ihn von der Fahnenflucht abhält und keinerlei Empathie zeigt. Die zweite Marthaler-Figur ist Sladek, ein einfacher Soldat, entlehnt aus Ödon von Horvárths gleichnamigem Theatertext. Er stimmt zu, seine Freundin Anna ermorden zu lassen, weil sie den Kameraden mit dem Verrat ihrer Geheimarmee droht. Anna sagt über ihn „Er kann nicht lieben, er kann nur lieb sein“ und so täuscht er ihr Liebe vor und erkennt erst, als sie tot ist, dass er sie geliebt hat.
Freunde, das Leben ist lebenswert
Schließt man die Augen oder lässt den Blick durch den wunderschönen rot-gold-elfenbeinfarbenen Zuschauersaal, der an diesem Abend nur zu 25% besetzt sein darf, mit seiner prachtvollen Königsloge schweifen, gestaltet im späten Empirestil von Jean-Baptiste Métivier, dann entfaltet die Musik ihre Wirkung. Auf der Bühne dagegen lümmeln die Darsteller in ihren bunten Blumen-Sesseln (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock), stehen steif nebeneinander oder weit entfernt herum. Kein Spiel mit-, keine Blicke der sich doch angeblich Liebenden füreinander. Das Statische ist gewollt, Marthaler-Manier, ergänzt durch stakkatoartige Bewegungen oder wildes tänzerisches Rumgehoppel. Nur einmal wird es zumindest lustig, als die Darsteller ihre Bühne selbst umbauen. Warum dann nicht gleich konzertant? Dann lenkt wenigstens kein gereichtes Mikrofon ab.
Glück, das mir verblieb
Aber es gibt auch Positives: Der operettenferne, aber auf ungewöhnliche Projekte und Formate spezialisierte Schweizer Dirigent Titus Engel begeistert und führt sein Orchester an diesem Abend kraftvoll, laut, dann wieder heiter-beschwingt, ohne Pathos. Er und Orchester wirken schon jetzt so gut aufeinander eingestimmt, dass Vorfreude auf sein ursprünglich geplantes Debut mit Bluthaus im Mai 2022 an der Bayerischen Staatsoper aufkommt.
Octavio wird von Daniel Behle gesungen. In einigen Passagen kommt seine Stimme nicht gegen das Orchester an. Regie-bedingt nimmt man ihm weder Leidenschaft noch Verliebtheit ab. Es scheint, als würde er erst am Schluss im Scheitern mit seiner Rolle warm.
Auch optisch ist er für einen feurig-verzweifelten Verliebten etwas blass. Warum singt Jonas Kaufmann nicht seine Partie?
Vida Mikneviciuté agiert kühl, kalt. Ihre Stimme ist schön in der Mittellage, stimmlich ist sie bedeutend mitreißender als sie spielt. Welche Frau lehnt steif an der Wand, während der Geliebte fünfzehn Meter von ihr entfernt steht und sie zu ihm spricht bzw. singt? Wunderbar frisch und klar überzeugen nur Kerstin Avemo als Anna und Sebastian Kolhepp als Sladek.
Applaus für die Gesangsdarbietungen, das Orchester und seinen Musikalischen Leiter, laute Buhrufe für Christoph Marthaler.
Daniela Debus