Il trovatore
Dramma lirico in vier Teilen von Giuseppe Verdi (1813-1901). Libretto von Salvatore Cammarano, fertiggestellt von Leone Emanuele Bardare, nach El trovador von Antonio García Gutiérrez.
Opernhaus Zürich, 2. Dezember 2021.
Il Conte di Luna: Quinn Kelsey; Leonora: Marina Rebeka; Azucena: Agnieszka Rehlis; Manrico: Piotr Beczała; Ferrando: Robert Pomakov; Ines: Bożena Bujnicka; Ruiz: Omer Kobiljak; Un vecchio zingaro: Jeremy Bowes; Un messo: Andrei Skliarenko; Philharmonia Zürich; Chor der Oper Zürich; Musikalische Leitung: Gianandrea Noseda; Inszenierung: Adele Thomas.
Musik: *****5***** !
Inszenierung: *****5***** !
Über Giuseppe Verdis 1853 in Rom uraufgeführte Oper “Il Trovatore” hält sich trotz ihrer ungemeinen Popularität hartnäckig das irreführende Vorurteil, das Werk habe eine unlogische und verworrene Handlung. Zu Unrecht – gehört doch die düstere und äußerst grausame Handlung auf ein Libretto von Salvadore Cammarano, nach dessen plötzlichem Tod von Leone Emanuele Bardare vollendet, zu den faszinierendsten Werken der italienischen Schauerromantik.
Die Oper spielt während des spanischen Erbfolgekrieges im 15. Jahrhundert. Der alte Graf von Luna hatte zwei Söhne. Der Jüngere wurde als Kleinkind angeblich von einer Zigeunerin verwunschen, die deswegen als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Bevor sie starb, gab sie ihrer Tochter Azucena den Auftrag sie zu rächen, daraufhin raubte Azucena das jüngere Kind des Grafen und warf es auf den noch brennenden Scheiterhaufen. Dabei merkte sie im Wahn erst zu spät, dass sie irrtümlich ihr eigenes Kind verbrannt hatte. Sie behielt das fremde Kind bei sich und zog es unter dem Namen Manrico auf. Als Jahre später der Krieg in Aragon ausbricht, kämpfen der ältere Sohn des Grafen Luna und Manrico, der Troubadour, gegeneinander, zudem werden die beiden erbitterte Rivalen um Leonora. Als Azucena in die Gefangenschaft des Grafen Luna gerät und von dessen Soldaten gefoltert wird, versucht Manrico sie zu befreien, was misslingt. Er wird mit seiner vermeintlichen Mutter in einen Turm gesperrt und zum Tode verurteilt. Um ihren Geliebten zu retten, bietet sich Leonora dem verhassten Grafen Luna an, nimmt jedoch heimlich Gift, um ihr Versprechen nicht erfüllen zu müssen. Als der Graf erkennt, dass er betrogen wurde, lässt er Manrico hinrichten. Erst zu spät kann ihm Azucena enthüllen, dass die beiden Brüder waren.
Über die hohen musikalischen Anforderungen des Werks wird vielfach das durchaus zutreffende Zitat Enrico Carusos bemüht, man benötige für die Besetzung der Oper “lediglich” die vier besten Sänger der Welt. Man kann deshalb kaum aufhören, das Opernhaus für seine Neuinszenierung dieses “Dramma Lirico” zu loben, denn bei der besuchten dritten Vorstellung nach der Premiere, kam man in den Genuss eines Opernabends, der in musikalischer und szenischer Hinsicht kaum zu toppen sein dürfte.
Das lag zum großen Teil an dem herausragenden Dirigat von Gianandrea Noseda, der mit dieser Neuinszenierung seinen Einstand als neuer Generalmusikdirektor am Opernhaus Zürich gegeben hatte. Und wahrlich, der charismatische und vielseitige Italiener animierte die Philharmonia Zürich zu Höchstleistungen. Seinem heißblütigen, aber gleichzeitig gefühlvollen, transparenten und schlanken Dirigat gelang es, von dem die Oper eröffnenden Trommelwirbel bis zu den grauenerregenden Fortissimo-Schlussakkorden einen mittreissenden Spannungsbogen aufzubauen, dem das Publikum atemlos folgte. Da war die Bedeutung jeder einzelnen Note, jedes Tempo bis ins feinste Detail ausgeklügelt, ohne jedoch den Fehler zu begehen, sich in eine allzu verkopfte Interpretation zu verlaufen. Durch dieses leidenschaftliche Dirigenten-Feuer brannten an diesem Abend die Emotionen aus dem Orchestergraben, brillierten Giuseppe Verdis mitreißende Melodien und Rhythmen, leuchteten die Klangfarben und vielleicht am wichtigsten: Die Sänger wurden auf Händen getragen.
Das Opernhaus Zürich hatte bereits eine auf dem Papier äußerst vielversprechende Besetzung zusammengestellt, die auch hielt, was sie versprach. Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei das Rollendebüt von Piotr Beczała in der anspruchsvollen Titelrolle des Manrico. Dabei bewies der Star-Tenor, dass er nun ganz im italienischen Spinto-Repertoire angekommen ist. Beczałas Stimme befindet sich, das war bereits bei den ersten aus dem Off gesungenen Tönen klar, in bester Verfassung. Dabei zeichnete Beczala auf äußerst berührende Weise das Rollenportrait des Troubadours Manrico, wobei er vor allem die empfindsamen Seiten diesen Charakters betonte. Da stockte einem der Atem, wenn er im Duett mit seiner Ziehmutter Azucena mit geschmeidigem Tenor “Quando arresta un moto arcano, nel discender, questa mano” sang, ebenso wie das lyrisch voller Süße vorgetragene “Ah si ben mio”. Hier konnte Beczała von seinen reichen Erfahrungen mit dem Belcanto-Repertoire profitieren. Heldisch dagegen und mit einem hohen C gekrönt, gelang ihm dann auch die berühmte Stretta “Di quella pira” am Ende des dritten Aktes, wobei es einen kleinen Wermutstropfen darstelle, dass sich das begeistert jubelnde Publikum mit nur einer Strophe dieser “Zugnummer” begnügen musste. Als Manricos Bruder und Rivalen, den Grafen Luna, hatte das Opernhaus erneut den exzellenten amerikanischen Verdi-Bariton Quinn Kelsey gewinnen können. Dieser trumpfte mit gesundem, wohlklingendem Bariton im imposanten Kostüm mächtig auf und verlieh in der prächtig gesungenen Arie “Il balen del suo sorriso” diesem Bühnenschurken äußerst menschliche Züge.
Die grosse Sopran-Rolle der Oper, die Adelige Leonora, wurde von der wunderbaren lettischen Sopranistin Marina Rebeka gesungen, die ihren Part mit flexibler, in der Höhe strahlender, aber gleichwohl eher dunkel-timbrierter Stimme ausgezeichnet interpretierte. Die Koloraturen der Cabaletta der leidenschaftlich gesungenen Arie “Tacea la notte placida”, gelangen ihr vorzüglich, während das von wunderbaren Orchesterfarben getragene, fast im Raum schwebende “D’amor sull’ali rosee” mit dem darauf folgenden Miserere und der Cabaletta “Tu vedrai che amore in terra” magische Opern-Momente erzeugte.
Zigeunerin Azucena
Der wohl schillerndste und berührendste Charakter dieser Oper ist jedoch die Zigeunerin Azucena. Diese war mit der jungen Mezzosopranistin Agnieszka Rehlis besetzt, welche mit stimmlichen Volleinsatz die Zerrissenheit dieser Opernfigur zwischen Mutterliebe und Rachedurst, sowie ihre Stellung als Opfer und Täterin zugleich mit sicher und klar geführten Mezzosopran bis hin zum Exzess deutlich machte. Dabei behauptete sie sich stimmlich über die lautesten Fortissimo-Wallungen des Orchesters. Die von größter Trauer geprägte Erzählung “Stride la vampa” ließ den Horror ihrer als Hexe auf den Scheiterhaufen verbrannten Mutter auf musikalische Weise erlebbar werden, ihr verzweifeltes “Deh! rallentate o barbari” nach ihrer Gefangennahme, war Ausdruck einer zutiefst verängstigten Frau, die am Ende dem Grafen Luna triumphal “Egli era tuo fratello!.. Sei vendicata, o madre!.. entgegen schleuderte. Auf höchstem Niveau hatte das Opernhaus den alten Soldaten Ferrando besetzt, der im ersten Bild mit der schaurigen Arie “Abbietta zingara, fosca vegliarda!…” mit ihrem tänzerischen Rhythmus für den beabsichtigten Gruseleffekt sorgte. Omer Kabiljak, Bozena Bujnicka und Jeremy Bowes vervollständigten als Comprimari Ruiz, Ines und Vecchio Zingaro das Ensemble auf höchstem Niveau. Mit größter Spielfreude vokaler Präsenz meldete sich der von Janko Kastelic einstudierte Chor nach der Corona-Zwangspause zurück und schmetterte voller Freude das von Ambossen als Bühnenmusik begleitete “Vedi! Le fosche notturne spoglie”, einem der berühmtesten Opernchöre überhaupt, ins Auditorium.
Dass der Abend so ein voller Erfolg wurde, ist jedoch auch zu grossen Teilen der Inszenierung der jungen britischen Regisseurin Adele Thomas zu verdanken, die ihre Regie ganz aus der Musik heraus entwickelte. Dabei beließen sie und Ausstatterin Annemarie Woods die Oper im ausgehenden Mittelalter des 15. Jahrhunderts. Die die Bühne beherrschende stilisierte Treppe, auf der sich das Geschehen über weite Teile des Abends abspielte, erinnerte dabei durchaus an Bühnenbildentwürfe des berühmten italienischen Opern-Regisseurs und -Ausstatter Pier-Luigi Pizzi. Die ebenfalls von Woods entworfenen Kostüme besaßen Reminiszenzen an Höllen-Gemälde von Hieronymus Bosch und chargierten in diesem Sinne zwischen stilisiert und überzeichnet. Über der Szene prangte den ganzen Abend die Aufschrift “Mi vendica” – “Räche Mich”, die Worte die sich nach eigenem Bekunden für immer in Azucenas Herz gebrannt haben. So schlug die Regie, auch mit Hilfe einer von Emma Woods choreographierten Tanzgruppe, gekonnt eine Brücke zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, insbesondere jedoch der Hölle, in welcher das Geschehen am Ende der Oper dann auch ankam. Die Regisseurin betonte den stets präsenten Aberglaube der Figuren, was in eine angedeutete Totenauferstehung, während dem Miserere gipfelte. Dabei ermöglichte das Regieteam den Sängern und Musikern jedoch durchweg die freie Entfaltung und hielt sich, Dank einer intelligenten und einfühlsamen Personenregie, stets im positiven Sinne, sehr zurück.
Standing Ovations
Am Ende dieses viel zu schnell vergangenen Opernabends, spendete das Publikum, das während der Aufführung nicht mit Szenenapplaus gegeizt hatte, allen Beteiligten Standing Ovations, wobei besonders der neue Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda gefeiert wurde.
Dieser Trovatore ist wahrlich einen Besuch wert!
Ausser phänomenalen Marina Rebeka gibt es in dem neuen Il Trovatore an dem Opernhaus Zürich nichts mehr. Die männlichen Stimmen sind grauenhaft und die Inszenierung ist wie alles, was während Homokis Regierung gemacht wurde (ausser Mme Buttterfly), absolute Schande. Ich weiss nicht warum Homoki aus der Oper ein Zirkus machen will.
Vielen Dank für diese ausgesprochen fundierte Rezension. Ihre Begeisterung ist total ansteckend. Und ich finde es großartig, dass Sie, so wie es früher üblich war, auf die Regie erst zum Schluss eingehen. Der Vergleich mit Pizzi hat mich jetzt noch mal zusätzlich neugierig gemacht.