Rameaus Platée in Zürich

PLATÉE

Ballet bouffon in einem Prolog und drei Akten von Jean-Philippe Rameau (1683-1764). Libretto von Adrien-Joseph Le Valois d’Orville und Balot de Sovot nach einem Stück von Jacques Autreau

Musikalische Leitung: Emmanuelle Haïm; Inszenierung: Jetske Mijnssen; Platée: Mathias Vidal; Jupiter: Evan HughesJunon: Katia Ledoux; Satyre/Cithéron: Renato Dolcini

Thespis: Alasdair Kent; Mercure: Nathan Haller; La Folie: Mary Bevan; Momus: Theo Hoffman; Clarine/Thalie: Anna El-Khashem; Amour: Tania Lorenzo; Erste Mänade: Soyoung Lee; Zweite Mänade: Shijia H; Orchestra La Scintilla; Chor der Oper Zürich; Statistenverein am Opernhaus Zürich

Besuchte Vorstellung: 10. Januar 2024, Opernhaus Zürich

Musik: 4*
Regie: 3*

Das Opernhaus Zürich hat das grosse Glück, für die historische Aufführungspraxis ein eigenes Orchester zu besitzen, nämlich das Orchester «La Scintilla», welches sich aus Musikern des Orchesters des Opernhauses Zürich, der «Philharmonia Zürich», zusammensetzt und welches mittlerweile auf einigen wunderbaren Aufnahmen, beispielsweise auf der berühmten «Norma»-Aufnahme mit Cecilia Bartoli, zu hören ist und hierbei mit seinem besonderen, transparenten Klang und der mitreissenden, energiegeladenen Spielweise einige der Referenzaufnahmen auf modernen Instrumenten eher historisch wirken lässt.

In der aktuellen Opernproduktion des Opernhauses Zürich von Jean-Philippe Rameaus Platée ist das Orchester «La Scintilla» unter der Leitung der weltweit führenden Vertreterin der historischen Aufführungspraxis, der Cembalistin und Dirigentin Emmanuelle Haïm, zu hören, welche sich einst beim Orchester «Les Arts Florissants» unter William Christie als hervorragende Continuospielerin und als Korrepetitorin in den Proben mit den SängerInnen einen Namen machte. 2002 gründete sie ihr ein eigenes Orchester, das berühmte «Le Concert d’Astrée», mit welchem sie unteren anderem eine hinreissende Aufnahme von Monteverdis «L’Orfeo» einspielte.

Im hiesigen «Platée» bestach das Dirigat von Emmanuelle Haïm durch grossen Schwung, welcher jedoch nie überbordete, durch rhythmische Präzision, Akzentuiertheit und Ausgewogenheit. Hierbeifaszinierten ihr körperlicher, fast tanzender Dirigierstil und ihre Fähigkeit, die Musik auf ausdrucksstarke und bedeutungsvolle Weise zu formen. Dass Rameaus Musik auf historischen (Blas-) Instrumenten äusserst schwer zu spielen ist, war an einigen unsauber geratenen, hochvirtuosen Verzierungen zu hören. Dies tat der Faszination für diese besondere Musik jedoch keinen Abbruch. Man kam man nicht umhin, bei den verschiedenen Tanzsequenzen mit dem Fuss mitzuwippen; dermassen ansteckend war die rhythmische Energie dieser Musik. Verständlich, dass das Orchester zum eigentlichen Star des Abendsavancierte und vom Publikum mit einer stehenden Ovation belohnt wurde.

Platée
Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Weniger überzeugend war die Regie von Jetske Mijnssen, welche sich die Freiheit nahm, die Geschichte von Platée neu zu erzählen, sodass diese nur noch entfernt an die ursprüngliche Handlung erinnerte. So war oftmals keine Korrelation zwischen gesungenem Text und der Handlung auf der Bühne erkennbar. Wiederholt blieb man ratlos zurück und fragte sich, wie nun das auf der Bühne Gesehene mit dem Gesungenenzusammenpassen soll. Als Lösung hierfür müsste ein der Handlung angepasster neuer Text geschaffen werden. Jetske Mijnssens szenische Gestaltung der einzelnen Rollen ist sehr klar, sodass man der Handlungauch dann folgen könnte, würden die Sänger nur mit Vokalisen singen. Die Handlung führt angesichts des Originaltextes des Librettos jedoch immer wieder zuIrritationen.

Platée
Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Im Zürcher Platée spielt die Handlung nicht im antiken Griechenland, sondern in einem Opernhaus, in der OperWuppertal vielleicht, da La Folie mit Zigarette und Frisur der Balettdirektorin Pina Bausch gleicht. Die Nymphe Platée wird zu einem schwulen Souffleur, Satyre/Cithéron zu einem Chordirektor, Thespis zu einem unter dem Steinway schlafenden, betrunkenen Primo Tenore, Clarine/Thalie zu einer Primaballerina,Jupiter zu einem sich seiner Sexualität nicht völlig sicheren Danseur étoile, Juno zu einer von Jupiter vernachlässigten, überforderten Mutter von zwei Kindernetc. An sich wäre die neue Geschichte nicht uninteressant: Souffleur Platée verliebt sich in Danseur étoile Jupiter, welcher mit dem Ensemble aus Sängernund Tänzern Teil des durch Cithéron initiierten Komplotts zur Verspottung Platées ist, sprich diesen glauben zu lassen, dass er, Souffleur Platée, durchaus in ausreichendem Ausmasse über Können, Talent und Attraktivität verfügt, Teil des Ballettensembles zu sein und sich hierdurch auch dem Objekt seiner Liebe, dem Danseur étoile Jupiter, annähern kann. Dieser möchte seiner Ehefrau Juno in dieser Konstellation jedochbeweisen, dass deren Eifersucht unbegründet ist, da Platée nicht nur Mann, sondern auch unbegabter Tänzer und damit gänzlich unattraktiv ist. Die Geschichte erscheint wiederholt nicht nachvollziehbar. Rührend war auf jeden Fall das Ende, als sich Platée, nach dessen Lächerlichmachung durch Juno und Ensemble, traurig und gedemütigt alleine auf der Bühne vorfindet. Man entdeckt dann, wie der bisher präpotent und unnahbar wirkende Danseur étoile Jupiter in Abwesenheit des Ensembles einen Schritt auf Platée zugeht, um ihm seine Liebe kundzutun. Der Vorhang fällt.

Mathias Vidal sang 06/2022 im Palais Garnier in der Inszenierung des Platée von Laurent Pelly die Rolle des Thespis und ist hier nun als Platée zu hören. Mathias Vidal singt einen sehr einnehmenden und szenisch spannenden Platée, welcher nicht nur gesanglich, sondern auch tänzerisch zu faszinieren weiss, wie beispielsweise in seiner Solo-Tanzszene, welche an die Vortanz-Szene aus dem Film «Billy Eliott» an der Royal Ballet School erinnert. Die weiteren Tanzszenen (Choreografie: Kinsun Chan) sind sehr überzeugend und passen hervorragend zur rhythmischen, stampfenden Tanzmusik Jean-Philippe Rameaus.

Neben Mathias Vidal wirkt der Jupiter des szenisch wie gesanglich überzeugenden Evan Hughes wie ein grosser Hüne. Kein Wunder, dass Platée bei dessen Anblick nach ihm schmachtet. Ein witziger Querverweis sind die Kostüme, welche Evan Hughes und die anderen Tänzer im zweiten Akt tragen. Diese sind nämlich dem berühmten Schwanensee von Matthew Bourne(Premiere 1995 am Sadler’s Wells Theatre in London) entliehen; in der Schlussszene des Films «Billy Eliott» sind sie ebenfalls zu sehen. Auch die weiteren Kostüme, für welche Hannah Clark verantwortlich zeichnet, sind hinsichtlich der Handlung sehr stimmig und originell. So trug beispielsweise Chordirektor Satyre/Cithéron in der Probe seine bequemen Birkenstocks. Wunderschön, elegant und geschmackvoll sang Alasdair Kent die Ariette «Charmant Bacchus», welche einen ersten Höhepunkt der Aufführung lieferte. Dessen Stimme würde auch vorzüglich zur Rolle des Platée passen.

Anna El-Khashem in der Rolle der Clarine/Thalie hat neben ihrer Gesangsausbildung wohl auch eine komplette Ballettausbildung absolviert. So konnte sie die Tanzsequenzen mit dem Ballett mühelos mittanzen, sah in ihren Posen als Schwanensee-Odette umwerfend aus und vollbrachte das Kunststück, ihr Rezitativ in der zweiten Szene im stehenden Spagat mit Rückbeuge zu singen. Wer’s nicht gesehen hat, glaubt’s nicht. Katia Ledoux als Juno wusste bei ihrem fulminanten, energischen Auftritt «Haine, dépit, jalouse rage» mit ihrem grossen Mezzosopran zu fesseln und beeindruckte mit Tönen, welche klanglich auch zu einer Amneris passen würden. Wir sind auf die weitere Entwicklung dieser Sängerin gespannt.

Platée
Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Mary Bevan als La Folie spielte ihre Rolle als furiose, dominante Ballettdirektorin vorzüglich und überzeugte mit ihren Koloraturen in ihrer grossen Arie «Aux langueurs d’Apollon Daphne se réfusa». Theo Hoffman als Momus, Renato Dolcini als Satyre/Cithéron und Nathan Haller als Mercure überzeugten in ihren Rollensowohl gesanglich als auch szenisch. So war die Chorprobe mit Satyre/Cithéron in der ersten Szene sehr unterhaltsam und komisch, wie beispielsweise die Einlage von Cithéron und Mercure, als sich diese lebensecht um Junos Kinder im Kinderwagen kümmern.

Die Bühnenbilder von Ben Baur zeigten auf sehr realistische Weise die verschiedenen Räume eines Opernhauses (Probenräume, Räume für Masken, die eigentliche Bühne); hierfür wurde von der Bühnenmechanik des Opernhauses Zürich reger Gebrauch gemacht. Visuell sehr ansprechend war beispielsweise der kunstvolle Vorhang hinter dem echten Vorhang des Opernhauses Zürich zur Darstellung der «Bühne im Theater». Ganz besonders gefiel das Bühnenbild des zweiten Aktes, welches mit einer gemalten Kulisse einen Wald darstellte, was sehr gut zu einer Barockoper passte. Man wünschte sich insgeheim, während der ganzen Oper ein solches Bühnenbild sehen zu können. Wie immer sehr überzeugend war der unter Janko Kastelic einstudierte Chor der Oper Zürich.

Alles in allem verspricht der Zürcher Platée einen kurzweiligen Abend, insbesondere dank eines unter Emmanuelle Haïm mitreissend spielenden Orchesters

Christian Jaeger

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Christian Jaeger

REVIEWER

Christian Jaeger has a passion for the operas of 19th-century Italian composers, is always amazed at how innovative Gluck and Cherubini sound, and loves repertoire companies.

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