Andrea Chénier

ANDREA CHÉNIER

Theater St. Gallen

GUMBERTO GIORDANO: Andrea Chénier, „Dramma istorico“ in vier Akten. 1895. Libretto von Luigi Illica. Uraufführung im Teatro alla Scala, Mailand, am 28. März 1896.

  • Musikalische Leitung Modestas Pitrenas
  • Inszenierung Rodula Gaitanou
  • Andrea Chénier Jorge Puerta
  • Carlo Gérard Alexey Bogdanchikov
  • Maddalena di Coigny Ewa Vesin
  • Bersi Mack Wolz
  • La Contessa di Coigny / Madelon Małgorzata Walewska
  • Roucher Äneas Humm
  • Pietro Fléville / Mathieu Kristján Jóhannesson
  • Fouquier-Tinville Andrzej Hutnik
  • Abt / Spitzel Riccardo Botta
  • Haushofmeister / Schmidt, Kerkermeister David Maze
  • Dumas Niccoló Paudler

Mit Spannung wurde die Neuproduktion von Umberto Giordanos Oper Andrea Chenier bei den St. Galler Festspielen erwartet, ein Werk, das seit 1966 nicht mehr in St. Gallen zu erleben war. Als „Dramma in ambiente storico“ (Drama vor historischem Hintergrund) bezeichnete der Komponist sein 1896 an der Scala uraufgeführtes Werk – spielt doch die fiktive Handlung der Oper vor klar definierten historischen Hintergrund: vor und während der Französischen Revolution in den Jahren 1789 und 1794. Giordanos Meisterwerk zeichnet sich neben der ungemein spannenden und berührenden Handlung vor dem historischen Hintergrund, durch eine Vielzahl mitreißender Arien, Chöre und (zum Teil durch die Revolution inspirierten) Melodien aus und stellt die Sänger der drei Hauptpartien vor immense vokale Anforderungen. Da ist es kein Wunder, dass die größten Sänger des 20. Jahrhunderts dieses Werk gerne nutzten, um zu brillieren.  Da der Titelheld sowie zahlreiche andere Opernfiguren tatsächlich lebten, ist es nur richtig, dass Regisseurin Rodula Gaitanou in ihrer rundum gelungenen Inszenierung, genau das auf die Bühne bringen, was Umberto Giordano und sein Librettist Luigi Illica in  Partitur und Libretto vorgeben.

Andrea Chénier
Kristján Jóhannesson (Fléville), Małgorzata Walewska (Contessa), Chor, Statisterie. Xiomara Bender.

Bühnenbild und Kostüme des Ausstatters takis präsentieren dem Publikum trotz ihrer eigentlichen Einfachheit grosse Tableaus. Dabei werden blitzschnelle, flüssige Szenenwechsel ermöglicht, die immer wieder verblüffende Einblicke in das Seelenleben der Protagonisten und in die gesellschaftlichen Verhältnisse jener Zeit schaffen.  Während im ersten Akt die entrückte adelige Gesellschaft im Schloss der Gräfin Coigny in ihren grotesk stilisierten Rokoko-Kostümen feiert, zeigt die Inszenierung ab dem zweiten Akt eindrucksvoll den Höhepunkt des jakobinischen Terror-Regimes, bei dem ein wilder Mob auf den Straßen tobt und mordet. Da ist es nur Konsequent und symbolisch gedacht, dass das zentrale Element des Bühnenbilds – der Arc de Triomphe- am Ende zur Guillotine mutiert. In diesem Ambiente entwickelt die Regisseurin auf realistische Weise die ganz großen Opern-Gefühle, wenn Gerard am Ende nach seinem vergeblichen Rettungsversuch von Robespierre zurückkehrt und nur noch das sich senkende Fallbeil sieht.

Andrea Chénier
Kristján Jóhannesson (Mathieu), Chor, Statisterie. Foto Xiomara Bender.

Auf der musikalischen Seite gelten bei Aufführungen unter freiem Himmel natürlich andere Gesetze als in einem Opernhaus. Dennoch muss an dieser Stelle erneut die Praxis der St. Galler Festspiele hinterfragt werden, das Orchester aus der benachbarten St. Galler Tonhalle live elektronisch zuzuspielen. Auch an diesem Abend klang das St. Galler Sinfonieorchester unter Modestas Pitrenas scheppernd und zum Teil ungünstig mit den ebenfalls verstärkten Stimmen abgemischt. Das war umso bedauerlicher, da die Solisten durchgehend hohes Gesangsniveau bewiesen: Jorge Puerta und Ewa Vesin als Chenier und Maddalena präsentierten am Ende ein Schlussduett «Vicino a te», das emotional aufgeladen war und so auch hier den musikalischen Höhepunkt darstellte , auf den die Oper zulief. Puerta ließ seinen kräftigen Tenor natürlich frei strömen, die Stimme sprach in der Höhe gut an. An seiner Seite fand Ewa Vesin bereits früh zu grosser Form, mit kräftigem, metallenen, dunkel timbrierter Sopran. Sehr berührend gestaltete sie die zentrale Arie „La Mamma Morta“. Die größte musikalische Überraschung des Abends war jedoch zweifellos Alexey Bogadnikov als Carlo Gerard. Sein italienisch geschulter, kräftiger, sowie elegant geführter Bariton, sowie sein anrührendes Spiel verliehen dem ehemaligen Diener und späteren Revolutions-Sekretär berührende Glaubwürdigkeit und führten die Ambivalenz und Zerrissenheit dieses Charakters glaubwürdig vor Augen.

Andrea Chénier
Mack Wolz, Riccardo Botta (Spitzel), Małgorzata Walewska (Contessa). Foto Xiomara Bender.

Ausgezeichnet gelang seine Arie „Nemico della Patria“. In den kleineren Partien gaben Mack Wolz die Bersi, Malgorzata Walsewa die Gräfin mit einem Wiedersehen im dritten Akt, als grausame blinde Revolutions-Omi Madelon, die nicht davor zurückschreckt ihren minderjährigen Enkel in den sicheren Tod zu schicken. Diabolisch gab Riccardo Botta den Abt und Spitzel, Kristian Johanesson den Mathieu und Pietro Fleville, Äneas Humm den Roucher.  Der beeindruckende Chor (Einstudierung: Franz Obermaier) zeigte im Zusammenhang mit dem zugespielten Orchester Schwierigkeiten, insbesondere bei seinem ausgedehnten Auftritt in der Gerichtsszene, zeigte sich jedoch in den historischen Kostümen sehr spielfreudig.

Am Ende erhielten alle Beteiligten grossen Applaus. Nachdem bereits im Vorfeld bekannt wurde, dass die St. Galler Festspiele ab dem kommenden Jahr ihre Ausrichtung neu definieren, war dieser gefeierte «Andrea Chenier» wohl die letzte Open-Air Produktion nach dem bisherigen Konzept der Festspiele auf dem Klosterhof. Nächstes Jahr wird das Publikum das Vergnügen mit Purcells «Fairy Queen» haben, dann jedoch auf dem Flumserberg. Dabei ist jedoch ein alternierender Spielbetrieb der Festspiele mit dem bisherigen Spielort angedacht. Ein neues Konzept, dass sich auf jeden Fall spannend anhört…..

Marco Aranowicz

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Marco Aranowicz

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MARCO ARANOWICZ IS BASED IN ZURICH. HE IS GOING TO THE OPERA SINCE THE AGE OF TEN, AND HE LIVES FOR THE GREAT ITALIAN OPERA REPERTORY.

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