Tannhäuser 21.09.2025 Genf (Version 27.09.2025 um 19.37)
Tannhäuser
Romantische Oper in drei Akten. Musik und Libretto von Richard Wagner (1813–1883)
Musikalische Leitung: Mark Elder Regie: Michael Thalheimer Bühnenbild: Henrik Ahr Kostüme: Barbara Drosihn Licht: Stefan Bolliger Dramaturgie: Maximilian Enderle Chorleitung: Mark Biggins
Tannhäuser: Daniel Johansson Elisabeth: Jennifer Davis Venus: Victoria Karkacheva Wolfram von Eschenbach: Stéphane Degout Landgraf Hermann: Franz-Josef Selig Walther von der Vogelweide: Julien Henric Biterolf: Mark Kurmanbayev Heinrich der Schreiber: Jason Bridges Reinmar von Zweter: Raphaël Hardmeyer Ein junger Hirt: Charlotte Bozzi Vier Edelknaben: Lorraine Butty, Louna Simon, Roxane Macaudière, Anna Manzoni Chor des Grand Théâtre de Genève Orchestre de la Suisse Romande
Besuchte Vorstellung: 21. September 2025 (Première), Grand Théâtre de Genève
Musik: 4****
Szenische Umsetzung (konzertant): 2**

Mit Erleichterung nahmen wir zur Kenntnis, dass Tatjana Gürbaca den Tannhäuser in Genf nicht würde inszenieren können, da wir ihre Lucia di Lammermoor in Zürich in äusserst schlechter Erinnerung behalten haben. Ihre Regieeinfälle schienen – aus welchen übergeordneten Gründen auch immer – darauf abzuzielen, die der Musik inhärente Spannung und Bewegung zu sabotieren, was ihr auch gelang.
Als wir dann erfuhren, dass Michael Thalheimer den Tannhäuser inszenieren würde, stellte sich ebenfalls keine Euphorie ein, zumal wir auch seine Variante von Tristan und Isolde in Genf noch nicht vergessen hatten und wir uns sofort wieder an die grosse Leere und den übermässigen Gebrauch unzähliger kreisrunder Lichter erinnerten.
Aus musikalischer Sicht waren wir entzückt, als wir erfuhren, dass Sir Mark Elder am Pult stehen würde. Wir kannten ihn bereits als mitreissenden Dirigenten von Donizetti-Raritäten bei Opera Rara (Donizetti: Imelda de’ Lambertazzi, Belisario, Le Duc d’Albe etc.), hatten ihn jedoch noch nie live erlebt. Er gilt als ausgewiesener Kenner des Belcanto, weshalb wir sehr gespannt auf seinen musikalischen Ansatz beim Tannhäuser waren.
Natürlich lohnt es immer nach Genf zu fahren, um den wunderbaren, warmen und klaren Klang des Orchestre de la Suisse Romande zu hören. Schon nach den ersten Takten der Ouvertüre war die Handschrift von Sir Mark Elder spürbar: Selten wurden die frühromantischen Aspekte der Musik so schön und eindringlich herausgearbeitet wie an diesem Abend. Elder legte grossen Wert auf die melodische Linie, ausdrucksvolle Phrasierungen, auf die Transparenz des Klangs sowie auf einen erhebend reinen, homogenen Orchesterklang mit himmlisch spielenden, glänzend schimmernden Violinen, und warmen Bläsertönen

Zur Inszenierung (Regie: Michael Thalheimer) ist zu sagen, dass der gesamten Aufführung etwas Melancholisches anhaftete. Vorherrschend waren dunkle, meist düstere Farben und viel Halbdunkel (Licht: Stefan Bolliger). Der erste Aufzug spielte in zwei riesigen, runden Hüllen (Bühnenbild: Henrik Ahr), in denen sich Venus und Tannhäuser aufhielten. Die erste dieser Hüllen entpuppte sich später als ein grosses Laufrad, in dem Tannhäuser laufen und gleichzeitig singen konnte. In einem Moment entstand durch das Verschieben zweier Paneele ein schmaler Spalt, durch den Venus und Tannhäuser gemeinsam sichtbar waren und sangen – dabei war Venus von hinten über Tannhäuser gebeugt. Dies wirkte in der Umsetzung äusserst statisch und ermüdend, zumal diese Szene überraschend lang ausgedehnt wurde.
Auch dass Tannhäuser die meiste Zeit mit dem Rücken zu Venus stand, selbst wenn sie im Dialog waren, wirkte störend. Im Hintergrund, auf einem Gerüst stehend, tauchten vier Personen in Alltagskleidung auf, die Tiermasken (Hund, Wolf, Schaf, Esel) trugen – ein irritierendes Detail, das auch ästhetisch wenig beitrug. Die Kostüme (Kostüme: Barbara Drosihn) waren insgesamt wenig überzeugend: Venus trug ein Cocktailkleid, Tannhäuser gewöhnliche Alltagskleidung mit weissem Hemd – beides betonte die Situation und die Musik in keiner Weise. Alltagskleidung in der Oper wirkt ohnehin wie eine Probe.
Im zweiten Aufzug wurde es nicht besser, und dass man hier die Beleuchtung hochfuhr, schmeichelte keineswegs der szenischen Ästhetik. Gewisse Dinge sollte man besser im Dunkeln belassen. Von einem festlichen Saal konnte keine Rede sein, denn links und rechts der Bühne befanden sich grosse Gerüste, auf denen sich der Chor nach dem Einzug verteilte. Die Szenerie erinnerte mehr an den Bühnenaufbau einer Wander-Musical-Truppe, welche die „West Side Story“ jeden Abend in einer anderen Mehrzweckhalle aufführt – an den Gerüsten waren sogar noch die Räder mit den Arretierungen zu sehen. Für den schnellen Auf- und Abbau war das sicher praktisch, in der Aussagekraft jedoch vollkommen beliebig.

Beim Einzug der Gäste eilten die Chormitglieder unablässig und überkreuz in schnellem Schritt über die Bühne – das Getrappel der Füsse überlagerte die Musik und raubte dem Moment jede Erhabenheit. Hinzu kamen weitere irritierende Regieeinfälle: Die vier Edelknaben traten als Zimmermädchen eines Grandhotels auf und wischten während mindestens drei Vierteln des Chorstücks mit Swiffern die Bühne, während Landgraf Hermann strenge Sauberkeitskontrolle betrieb. Offensichtlich sollte dadurch Bewegung oder Abwechslung erzeugt werden, doch das wirkte überflüssig und lenkte vom Wesentlichen ab. Abgesehen von Elisabeth, die ein elegantes weisses Kleid trug, erschienen auch hier alle übrigen Darsteller in uninspirierter Alltagskleidung – der Eindruck entstand, die Kostüme seien aus einem Modehaus des niedrigeren bis mittleren Preissegments zusammengetragen worden. Auch die erzwungen humorvollen Regieeinlagen, etwa bei der Vorstellung von Tannhäusers Freunden, blieben weitgehend ohne Wirkung; das Publikum reagierte überwiegend verhalten. Unweigerlich drängte sich die Frage auf, ob bei der Wahl von Kostümen und Bühnenbild vor allem Kostengründe ausschlaggebend waren.
LANGWEILIG
Insgesamt empfanden wir die Inszenierung als langweilig, stellenweise sogar etwas ärgerlich. Dankbar waren wir immerhin dafür, dass mit den typischen Mitteln des Regietheaters eher zurückhaltend umgegangen wurde: Zwar floss Blut – Tannhäuser schüttete sich einen Eimer davon während der Wartburgszene über den Kopf, Venus besudelte ihn schon im ersten Aufzug – und Tannhäuser bemalte sein Gesicht im Verlauf des Abends weiss, wobei im letzten Aufzug ein rot aufgemaltes Joker-Lachen dazu kam. Dankbarerweise blieb uns jegliche Nacktheit oder explizite Sexualität erspart, nicht einmal im ersten Aufzug; auch das von uninspirierten Regisseuren inflationär eingesetzte Aufschneiden von Pulsadern oder ähnliche Effekthascherei gab es nicht. Für die Schlussszene liess sich Michael Thalheimer noch eine kleine Variante einfallen, in der schliesslich Wolfram der Venus verfällt. Diese Änderung vermochte unseren Gesamteindruck jedoch nicht mehr zu beeinflussen – weder in positiver noch in negativer Hinsicht.
Der Chor (Chorleitung: Mark Biggins) sang im „Freudig begrüssen wir die edle Halle“ kraftvoll und voluminös, zeigte allerdings im Zusammenspiel mit dem Orchester nicht immer vollständige Präzision. Es wirkte sogar, als hätte Franz-Josef Selig (Landgraf Hermann) mit seiner Handbewegung, also der Angabe des Taktes, dem Chor beim Finden des Anschlusses an das Orchester helfen wollen. Dennoch geriet die Szene musikalisch sehr mitreissend – auch dank des markanten Trompetenspiels von beiden Seiten, das einen beeindruckenden Stereo-Effekt erzielte.

Der Pilgerchor am Ende der Oper sorgte für begeisterten Applaus – und das zu Recht. Besonders der musikalische Spannungsaufbau bis zum Ausbruch in die wunderbare Melodie des Pilgerchors war ausserordentlich gelungen und sorgte für einen echten Gänsehautmoment, der einen die Unzulänglichkeiten in der szenischen Umsetzung zumindest teilweise vergessen liess. Die Reaktionen des Publikums beim Erscheinen des Produktionsteams waren gemischt und es gab vereinzelt Buh-Rufe, wobei weniger als erwartet. Dennoch sind wir der Meinung, dass der zwanghafte Versuch, das deutsche Regietheater nach Genf zu importieren, zu einem Ergebnis führte, das dem Rang des Grand Théâtre de Genève nicht würdig war.
Daniel Johansson präsentierte sich in der Titelpartie des Tannhäuser szenisch und musikalisch insgesamt etwas eindimensional. Sein darstellerischer Fokus lag aus unserer Sicht zu stark auf der tragisch-leidenden Facette der Figur; häufig entstand der Eindruck, als habe er Florestans „Gott, welch Dunkel hier“ gedanklich stets präsent – was womöglich auch der insgesamt düsteren Inszenierung geschuldet war. Gesanglich jedoch konnte Johansson überzeugen: Mit seiner kraftvollen, hell timbrierten Heldentenorstimme setzte er markante Akzente und beeindruckte besonders durch die Durchschlagskraft seines Vortrags. Sein gesangliches Engagement wurde vom Publikum zu Recht gewürdigt.
Jennifer Davis begeisterte in der Rolle der Elisabeth bereits nach einem Takt ihrer Auftrittsarie („Dich, teure Halle“). Ihr Vortrag liess musikalisch und gestalterisch keine Wünsche offen und vermittelte vielmehr den Eindruck einer idealen, ja fast endgültigen Interpretation der Partie. Besonders beeindruckend war, wie sich ihre Stimme in grossen Bögen entfaltete, sich in der Höhe noch weiter öffnete und frei in den Saal strahlte – einfach herrlich.
Trotz der szenischen Zurückhaltung, mit der Victoria Karkacheva die Venus präsentierte, überzeugte sie durch eine einnehmende Bühnenpräsenz und intensiv-verführerische Ausstrahlung. Stimmlich agierte Karkacheva absolut souverän; die Höhen gelangen ihr sicher und mit scheinbarer Leichtigkeit, ihre Stimme betörte durch eine warme, sinnliche Färbung und bemerkenswerte Klangfülle in allen Lagen. Besonders in den dramatischeren Passagen, insbesondere ihr erschütternder Ausbruch am Schluss der Oper («Weh! Mir verloren!»), gelang es ihr, das Spannungsverhältnis zwischen Verführung und Verzweiflung glaubhaft zu vermitteln. Für ihre einnehmende Darstellung und gesanglichen Qualitäten wurde Karkacheva vom Publikum mit grossem Applaus bedacht.
Stéphane Degout verlieh der Partie des Wolfram von Eschenbach eine feinsinnige, zurückgenommene Präsenz. In der Arie „O du mein holder Abendstern“ entstand stellenweise der Eindruck, dass sich sein Vortrag von Ton zu Ton bewegte; ein durchgehender Spannungsbogen und eine klare Richtung waren schwer auszumachen. Dennoch konnte Degout stets auf die sensible, lyrische Seite seiner Stimme vertrauen und wurde für seine berührende Interpretation mit langanhaltendem Applaus belohnt.

Es war uns eine grosse Freude, Franz-Josef Selig als Landgraf Hermann zu erleben – zumal er in der Schweiz leider viel zu selten zu hören ist. Unvergessen bleibt er uns als Sarastro unserer allerersten Opernaufnahme, der Zauberflöte unter Armin Jordan – ein echtes Geschenk aus Kindertagen. Auch als Landgraf Hermann begeisterte selig: Wir hätten ihm eine angemessenere Inszenierung gewünscht, doch allein seine Präsenz verlieh dem Bühnengeschehen zu mehr Würde und Wahrhaftigkeit.
Charlotte Bozzi (Ein junger Hirt) überzeugte mit lieblich timbrierter Stimme und makelloser Aussprache. Das Ensemble wurde ergänzt durch Julien Henric (Walther von der Vogelweide), Mark Kurmanbayev (Biterolf), Jason Bridges (Heinrich der Schreiber) und Raphaël Hardmeyer (Reinmar von Zweter). Alle zeichneten sich durch eine grosse szenische Agilität aus, waren in ihrer Aussprache jedoch nicht durchgehend klar verständlich.
Szenisch bot sich ein Regietheater-Einerlei. Den Mut, das Publikum mit einer wirklich textbuchtreuen Inszenierung aufzurütteln, hat das Theater Genf leider nicht aufgebracht. Aus musikalischer Sicht ist diese Aufführung jedoch uneingeschränkt zu empfehlen.