ANNA BOLENA
Anna Bolena von Gaetano Donizetti. Tragedia lirica in zwei Akten. 1830. Libretto von Felice Romani, nach Werken von Ippolito Pindemonte und von Alessandro Pepoli. Uraufführung im Teatro Carcano, Mailand, am 26. Dezember 1830.
Besuchte Aufführung: Grand Théâtre de Genève, 26. Oktober 2021.
Anna Bolena: Elsa Dreisig
Enrico VIII: Alex Esposito
Riccardo Percy: Edgardo Rocha
Giovanna Seymour: Stephanie d’Oustrac
Smeton: Lena Belkina
Lord Rochefort: Michael Mofidian
Sir Hervey: Julien Henric
Chœur du Grand Théâtre de Genève
Orchestre de la Suisse Romande
Musikalische Leitung: Stefano Montanari
Inszenierung: Mariame Clément
Musik: 4*
Inszenierung: 3,5*
ANNA BOLENA
Zum Auftakt der Neuproduktion von Gaetano Donizettis Königinnen-Trilogie präsentierte das Grand Théâtre de Genève diesen Monat die Premiere von Anna Bolena. Dieses Werk 1830 in Milano uraufgeführte Werk besitzt mit über drei Stunden reiner Spieldauer und ihrem ikonischen Charakter, sowie den immensen vokalen Anforderungen an die Solisten eine Art Sonderstellung unter den Belcanto-Opern. Das liegt neben den extremen musikalischen Emotionen auch an der außergewöhnlich spannenden Opernhandlung, um den berühmten englischen Tudor-König Henry VIII. und seiner zweiten Frau Anne Boleyn, die dieser 1536 auf Grund von Untreue hinrichten ließ. In der Oper jedoch wird die angebliche Affäre, welche letztlich zur Hinrichtung Annes führte, opernhaft und detailliert zu Gunsten der Königin dargestellt: Henry/Enrico hat sich in Annes Hofdame Jane/Giovanna Seymor verliebt. Diese drängt den König auf Hochzeit, woraufhin Enrico eine Intrige plant. Er begnadigt Annas Jugendliebe Sir Richard/Riccardo Percy und forciert ein Aufeinandertreffen der Beiden auf der Jagd bei Schloss Windsor. Bei einer Unterredung von Anna und Riccardo in den Gemächern der Königin kommt es – unter Beteiligung des Pagen Smenton zu einer missverständlichen Situation – dem vom König antizipierten Vorwand, um die Königin des Ehebruchs zu überführen. Er lässt Anna im Tower of London unter Arrest stellen. Dort wird sie von Giovanna aufgesucht, die ihr unter größten Gewissensbissen gesteht, Annas Rivalin zu sein – woraufhin Anna Bolena ihrer ehemaligen Vertrauten ihren Verrat verzeiht. Als die Richter die Königin zum Tode verurteilen, setzt sich Giovanna vergeblich bei Henry für deren Begnadigung ein. Während die halb wahnsinnige Anna zur Hinrichtung geführt wird, läuten in London die Hochzeitsglocken für Giovanna und Enrico.
Psychologische Durchdringung
Die Titelrolle der unglücklichen englischen Königin gilt seit der Uraufführung als Paraderolle für den dramatischen Koloratursopran. Damals sang die legendäre Giuditta Pasta diese schwierige Rolle. Im 20. Jahrhundert wagten sich u.a. Maria Callas, Beverly Sills, Leyla Gencer, Montserrat Caballé, Joan Sutherland, Edita Gruberova und in den letzten Jahren auch Anna Netrebko an diese grosse Herausforderung. In Genève stellte sich nun die junge Elsa Dreisig dieser immensen Rolle. Dreisig besitzt einen klar geführten und koloratursicheren Sopran, der auch trotz des jungen Alters der sympathischen Sängerin die geforderte Dramatik aufweist. Da sah man dieser Anna Bolena den ein oder anderen scharfen Spitzenton gerne nach. So zeichnete Elsa Dreisig ein rundum gelungenes und mitreißendes Porträt, einer einst vom Ehrgeiz getriebenen Frau, die im ersten Akten beklagte, die Königinnenkrone habe ihr kein Glück gebracht (“Come, innocente giovane”), Ihr berühmter Ausruf “Guidici ad Anna ” brachte treffend ihr Entsetzen über Enricos geglückte Intrige zum Ausdruck und in der fulminant vorgetragenen Schluss-Cabaletta “Coppia iniqua” gelang es ihr wahrlich, für Gänsehaut-Momente zu sorgen. Dazwischen lag jedoch noch das zentrale Duett “Sul suo capo aggravi un Dio” zwischen Anna und Giovanna, das wohl das Herzstück einer jeden Aufführung von Anna Bolena darstellt. Hier führte die Sängerin eine mitreißende psychologische Durchdringung von Text und Musik vor, wobei ihr jedoch leider mit Stéphanie d’Oustrac eine adäquate Mezzosopran-Partnerin als Giovanna fehlte.
Unausgeglichenes Klangbild
Die französische Mezzosopranistin verfügt zwar über eines solides und wohltimbriertes Material, leider schaffte sie es jedoch nur teilweise, dieses im Sinne des Belcantos einzusetzen. Es fehlte über weite Strecken jene (Atem-)Technik, die es braucht, um Donizettis lange, belcanteske Phrasen überzeugend zu vermitteln, stattdessen versuchte die Sängerin im imposanten historischen Kostüm, sich irgendwie mit Ausdruck durch den Abend zu retten. Das gelang jedoch nur bedingt und sorgte für ein sehr unausgeglichenes Klangbild, was bei einem solchen Belcanto-Werk wirklich fehl am Platz ist. Schade, da die Sängerin in dieser Inszenierung die Giovanna deutlich intriganter und berechnender spielte, als dies sonst der Fall ist und sie bei diesem interessanten Ansatz auch stimmlich deutliche Akzente hätte setzen können. Alex Esposito dagegen, sang den König Enrico mit markantem schwarzem, jedoch auch elegantem Bass. Hier stand eindeutig der Verführer gegenüber dem brutalen Ehemann im Vordergrund und überzeugte auf ganzer Linie.
Edgardo Rocha
Eine absolute Luxusbesetzung präsentierte die Genfer Oper mit Edgardo Rocha als Sir Riccardo Percy, der in dieser Rolle vor zwei Jahren bereits im benachbarten Lausanne das Publikum zu Begeisterungsstürmen hingerissen hatte. Das geschah auch dieses Mal, präsentierte Rocha doch als unglücklicher Geliebter Annas mit seinem herrlichen, bei Rossinis Musik geschultem Tenor, eine vollendete belcanteske Gesangskunst. Dabei waren das häufig gestrichene Terzett Anna-Enrico-Riccardo und die für den Star-Tenor Giovanni Battista Rubini komponierte Arie “Vivi tu” unvergessliche Höhepunkte. Lena Belkina sang mit warmem Mezzosopran einen ausgezeichneten Page Smenton, Michael Mofidan einen stimmlich präsenten Lord Rocheford, während Julien Henric als intriganter Sir Hervey mit ausdrucksstarkem Tenor für den König spionierte.
Müdes Lachen
Und wahrlich, spioniert wurde in der Inszenierung von Mariame Clément in der Ausstattung von Julia Hansen an diesem Abend viel. Ein blauer drehbarer Würfel mit zahlreichen Öffnungen und Türen, der das Grundgerüst des Bühnenbilds bildete (Ein ähnliches Bühnenbild hatte man an der Bayerischen Staatsoper bereits bei Jonathan Millers Anna Bolena-Inszenierung Mitte der 1990er Jahre erlebt), erinnerte in abstrahierter Form an die Gemälde von Hans Holbein, dem Hofmaler Henrys VIII. Während dieser Würfel die Innenräume des Schlosses Windsor und auch im zweiten Aktes des Towers of London andeutet, sieht man im Hintergrund ein Waldgemälde. Immer wieder werden – warum auch immer – diverse Tiere, wie ein erlegter Hirsch oder überdimensionale Vögel sichtbar. Die von Hansen entworfenen Kostüme belassen die Handlung zwar im historischen Tudor-England, verwendeten jedoch für Riccardo, Lord Rocheford und Smenton unter den historischen Jacken moderne Hemden – was fast so wirkte als traue sich die Regisseurin heutzutage nicht mehr, ganz auf die Wirkung historischer Kostüme zu setzen. Im Sinne dieses Zeitgeistes war auch die Masturbation des Pagen Smenton im Bett der Königin zu verstehen, was nur noch ein müdes Lachen seitens des Publikums erzeugte. Der Verzicht auf das Tragen der Männer von Degen kreierte zudem die unlogische Situation, dass sich Riccardo bei seinen Suiziddrohungen am Ende des ersten Aktes mit einer Klinge “aushelfen” musste, die er zufällig auf dem Nachtkästchen (!) der Königin gefunden hatte.
Werk-dienliche Inszenierung
Bis auf diese Einschränkungen zeigte das Regieteam jedoch eine weitgehend gelungene und werk-dienliche Inszenierung, mit einer an vielen Orten intelligent-psychologischen Personenregie, wobei die Oper aus der Perspektive der alten Königin Elisabeth I., der Tochter von Henry und Anne erzählt wurde. So war die spätere “Virgin-Queen” bereits als Kind eng in das Geschehen eingebunden und bekam so aus der Sicht eines Kindes die Intrige mit, die ihr Vater gegen ihre Mutter angezettelt hatte. Dies war sehr berührend gezeigt.
Frische Interpretation
Die psychologische Herangehensweise der Regisseurin wurde auch von Dirigent Stefano Montanari aufgegriffen, der am Pult des Orchestre de la Suisse Romande eine frische, dynamische-akzentuierte Interpretation der Anna Bolena lieferte, bei der man Donizettis unglaublich spannender Musik atemlos folgte. Der Einsatz eines Klaviers bei einer Oper, bei der jedoch bereits die Verwendung von Secco-Rezitativen durch den Komponisten überwunden war, ergab jedoch wenig Sinn. Eine großartige Leistung erbrachte, der von Alan Woodbridge einstudierte Chor, welcher klanggewaltig am Schicksal der englischen Königin teilnahm und dieses kommentierte.
Am Ende dieses drei Stunden und 45 Minuten dauernden Abends, fehlte für mich jedoch in der Gesamtbeurteilung dieser gelungenen Opernaufführung insgesamt etwas die Grandezza, welche stets den Reiz von Gaetano Donizettis Königinnen-Dramen ausmacht. Nichtsdestotrotz erhielten am Ende alle beteiligten Künstler stehende Ovationen.
Epic fail. Lebloses Orchester, Dreisig und d’Oustrac (die ich sonst grossartig finde und wegen der ich nach Genf gefahren bin!) die keine Ahnung haben wie man belcanto sigen soll, übertriebene Dramatik der männichen Stimmen… Nur der Chor und Belkina waren super, auch wenn die letzte auf der Büne „masturbieren“ musste.
Dass es so gar nicht mehr ohne diese doofen Modernismen geht! Total abtörnend! Danke für die Rezi.