SALZBURG
La clemenza di Tito
Opera seria in zwei Akten, K. 621 (1791). Libretto von Caterino Tommaso Mazzolà nach dem gleichnamigen Libretto (1734) von Pietro Metastasio.
Konzertante Aufführung. Samstag, 22. Mai. Salzburger Pfingstfestspiele.
Charles Workman Tito Vespasiano; Anna Prohaska Vitellia; Mélissa Petit Servilia; Cecilia Bartoli Sesto; Lea Desandre Annio; Peter Kálmán Publio; Les Musiciens du Prince-Monaco; Bachchor Salzburg; Gianluca Capuano Dirigent.
MUSIK: *****5*****
Salzburg, Pfingsten, Festspielzeit. Endlich wieder Oper und Konzerte live. Mittags Regen, dann taucht die Nachmittagssonne die Stadt an der Salzach, die ihren Namen und großen Reichtum dem weißen Gold, Salz, verdankt und ihre Schönheit den Kirchenfürsten, die eine monumentale Burganlage und prachtvolle Barockbauten errichten ließen, in wunderschönes warmes, weiches und goldenes Licht.
Die Cafés belebt, keine freie Bank, die Stimmung fröhlich entspannt, Besucher mit kleinen Rollkoffern flanieren durch die Gassen, teils bereits festlich gekleidet für den Abend. Viel zu lang waren die kulturlosen Monate. An den sechs COVID-Teststationen ist online kein Termin mehr zu bekommen. Ich versuche es vor Ort, zum Glück sind die Wege in Salzburg kurz. Vergebens. Der Besuch im Festspielhaus ist nur geimpft oder mit tagesaktuellem Corona-Test möglich. Doch die umsichtige Festspielleitung hat vorgesorgt. Eine Stunde vor Spielbeginn werden Tests an 10 Tischen im Foyer des Festspielhauses angeboten. Die Wartezeit bekomme ich von Gianluca Capuano und Cecilia Bartoli versüßt, die gerade mit dem Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco ihr Konzertprogramm für den Pfingstsonntag auf der Bühne nebenan proben. Viel zu schnell ist der Gratis-Musikgenuß vorbei, ich darf mit Test-Bestätigung, Personalausweis und personalisiertem Ticket das Mozart-Haus betreten.
Wie auf einem Schachbrett die Platzverteilung, je ein freier und ein besetzter Sitz wechseln sich versetzt ab. 800 statt 1500 Besucher im bis auf den letzten Platz besetzten Festsaal. Das garantiert viel Raum, eine halbwegs gute Luft unter der verpflichtenden FFP2 Maske und beste Sicht auf die Bühne.
Nachdem die Salzburger Pfingstfestspiele 2020 Corona-bedingt ausfallen mussten, finden sie in diesem Jahr unter dem Motto „Roma aeterna“ unter der künstlerischen Leitung Cecilia Bartolis statt, die ihrer Heimat Rom huldigt.
La Clemenza die Tito, entstanden in Mozarts Todesjahr 1791. Zwei Akte, sieben Bilder, ein Teil des Forum Romanum, prächtig mit Bögen, Obelisken und Trophäen geschmückt. Im Hintergrund das Äußere des Kapitols und eine prachtvolle Straße dorthin. Die Salzburger Aufführung ist eingebettet in Projektionen des italienischen Architekten, Bühnenbildners und Malers Alessandro Sanquirico. Seine kolorierten Lithografien dienten 1818 als Bühnenbild-Vorlage bei der Tito-Inszenierung an der Mailänder Scala. Weitere Projektionen im zweiten Akt sind von Giorgio Fuentes, der Bühnenbildentwurf aus dem Jahr 1799 für das Frankfurter Nationaltheater. Klassisch-konservativ, perfekt für diese konzertante Aufführung. Der Chor ist in Zweierreihe vor den Hintergrund-Säulen platziert, was den monumentalen Architektur-Effekt noch verstärkt.
Die Handlung
Rom. Kaiser Tito plant, die jüdische Prinzessin Berenice zu heiraten. Vitellia, die ihre Hoffnung, als Gattin Titos auf den Thron zurückzukehren, dadurch vereitelt sieht, bereitet einen Anschlag auf den Kaiser vor, stachelt den in sie verliebten Sesto, Titos engsten Vertrauten, zum Mord an, indem sie ihm ihre Liebe verspricht. Doch weil Titos Auserwählte einen anderen, Annio, liebt, bittet sie den Kaiser, auf eine Ehe mit ihr zu verzichten, woraufhin dieser Vitellia zur Kaiserin erwählt. Verzweifelt versucht daraufhin diese, den vorher zögernden und zweifelnden Sesto zurückrufen. Zu spät. Das Kapitol steht in Flammen, aber Tito lebt und ist unversehrt. Auf Anraten Annios gesteht Sesto ihm, dass er Urheber des Anschlags ist. Das Volk dankt den Göttern für die Rettung ihres Kaisers. Tito versteht nicht, was den Freund zu dieser Tat trieb, versucht, zu verstehen. Doch Sesto verrät Vitellia nicht, worauf hin der Kaiser ihn abführen läßt, sich aber nicht dazu durchringen kann, ihn zum Tode zu verurteilen. Vitellia erkennt, dass Sesto sie nie verraten wird, sogar für sie sterben würde, worauf sie auf Drängen Annios und Servilias dem Kaiser ihre Schuld gesteht. Dieser ringt mit sich, entscheidet sich gegen Rache und für das Wohl Roms und bittet die Götter, ihm das Leben zu nehmen, sollte seine Gesinnung je eine andere werden.
Titus: „Rom soll erfahren, dass ich noch derselbe bin“
Im Vorwort zum Libretto werden als antike Quellen Corneilles Cinna und Racines Andromaque genannt, in der philosophischen Abhandlung De Clementia (Über die Güte) der Stoiker Seneca. Bei ihm ist der Kaiser nicht Titus, sondern Augustus, der erste Kaiser Roms, auf den ein Verschwörer namens Cinna einen Anschlag geplant hatte.
Für Cecilia Bartoli, ist Rom die Stadt der Kontraste, Fellini, Rosselini, Pasolini, Grandezza, heute urbaner Alptraum. Dem gegenüber das ewige Rom, die Antike, die Götter, die Liebe.
An der Via Sacra, die in Rom mitten durch das antike Forum Romanum führt, stehen an beiden Enden der Straße Triumpfbögen. Der mächtige Dreifachbogen steht für die Siege des Kaisers, 81 n. Chr. errichtet. Der kleinere, einfache, wurde zu Ehren von Titus erbaut und steht im Mittelpunkt von Mozarts Oper, worüber Robert C. Ketterer ausführlich in dem hervorragend und liebevoll gestalteten Programmheft schreibt.
Als Kaiser Leopold II. im Jahr 1791 zum Kaiser von Böhmen in Prag gekrönt wurde, wünschte er sich eine ernste Oper mit modernem Libretto über einen mythologischen oder exotischen Stoff. Mehrfach wurde der Metastasio-Text von Mazzolà überarbeitet und gekürzt und Mozart trug La Clemenza di Tito in seinem eigenen Werkverzeichnis am 5. September 1791 ein. Tito war Mozarts viertes antikes Libretto. Er schrieb es in großer Eile, wobei er sich ganz auf die emotionale Formung des Dramas konzentrierte, worin der besondere Reiz besteht. Zusammen mit der Zauberflöte und seinem Requiems läßt es ahnen, was er noch hätte schaffen können, wenn er länger gelebt hätte.
Der Abend ist ein Genuß, vom ersten bis zum letzten Ton. Gesanglich, stimmlich, im Hinblick auf Orchester, Dirigent, Chor und jeden einzelnen Solisten. Man spürt die Spielfreude und die Lust aller, endlich wieder vor Publikum auf der Bühne stehen zu dürfen. Orchester und Dirigent sind bestens aufeinander abgestimmt.
Ein Großteil der Arien und Ensemblesätze sind knapp und schlicht gehalten. Dem gegenüber stehen die großen Arien, das Duett Vitellia/Sesto, die erste und letzte Arie von Vitellia und Sesto, sowie die Schlussarie des Tito: virtuos, komplex gestaltet, vollendet, kraftvoll und zum Niederknien schön gesungen.
Zwischen Ouvertüre und Oper gibt es keinen thematischen Zusammenhang.
Die beiden Duette des ersten Akts erinnern in ihrer Volkstümlichkeit an Die Zauberflöte. Buffo-Elemente in den Trios. Es gibt einen Chor fast außerhalb der Bühne und Tremolo-Effekte.
Der Chor gibt dem Abend den Rahmen – Chöre waren zu der Zeit nicht wirklich in Mode – preist des Kaisers Güte bei dessen erstem Auftritt zu Beginn und in der Finalszene der Oper. Im eindrucksvollen Finale des ersten Aktes, als die Nachricht von Titus vermeintlichem Tod eintrifft, klagt und ruft er das Entsetzen aus, während er zu Beginn des zweiten Aktes einen stillen Dankgesag anstimmt, dass der Kaiser überlebt hat. Titos Präsens wird durch den Chor verstärkt, er in seiner Bedeutung und Aura erhöht, während um ihn herum Sesto und Vitellia heimtückisch agieren.
Anna Prohaska ist grandios. Sie singt das Rondo „Non più di fiori“, in dem sie qualvoll bereut, was sie Tito und Sesto angetan hat, so, dass man ihre gebrochene Seele bis in die hinterste Reihe spürt. Die Arie, für die Sängerin ein Gewaltakt, wird von einer der aktuell besten Sopranistinnen „mit ausgeruhter Stimme nach dem Lockdown“, wie sie selbst sagt, fulminant klar, bewegend-leidend gesungen. Während sie sich ihre Boshaftigkeit und Untaten vor Augen führt, daran zerbricht, schlängelt sich ein Bassetthorn-Solo durch ihre Vokallinie und verdeutlicht ihr aufgewühltes Inneres.
Cecilia Bartoli als Sesto wirbelt über die Bühne, dass es eine Wonne ist. In ihrer Hosenrolle verkörpert sie Grazie, Kraft und Lust zugleich. Sie spielt, singt, lebt Leidenschaft, Liebe, Zweifel mal in weichen, dann wieder unfassbar kraftvollen Nuancen.
Für das auf ihre Initiative hin 2016 an der Opéra de Monte-Carlo gegründete Orchester „Ensemble Les Musiciens du Prince Monaco“ hat Cecilia Bartoli, die auch dessen künstlerische Leiterin ist, einige der weltbesten auf historischen Instrumenten spielenden Musiker zusammengebracht, dessen Flexibilität und reiche Klangfarbenpalette sich deutlich von anderen Orchestern unterscheidet. Händel, Vivaldi, Rossini stehen auf dem Programm, aber Cecilia Bartoli entdeckt auch unbekannte Werke, mit denen sie die Neugier des Publikums weckt. Sein Chefdirigent Gianluca Capuano, der keine typische Pultstar-Karriere durchlaufen hat, sondern in Mailand neben Orgel, Dirigieren und Komposition Philosophie studiert und sich dann auf Alte Musik konzentriert hat, führt es durch diesen Abend so, dass man meint, dank ihm würden die Musiker jeden Ton noch nuancierter und genauer treffen und die Aufführung würde etwas Unwiederbringliches bekommen. Die virtuose Klasse und das lyrische Gespür des auf historische Aufführung spezialisierten Orchesters lassen im Zusammenklang mit dem überwältigenden Gesang Cecilias Bartoli eine flirrende Stimmung fortwährender Hochspannung entstehen. Man merkt, wie aufeinander eingespielt Orchester, Dirigent und künstlerische Leitung, in diesem Fall die Sängerin, miteinander nach sechs gemeinsamen Jahren mit durchschnittlich 30 Aufführungen pro Jahr sind.
Ebenfalls in Bestform beflügeln Charles Workman als Tito, Mélissa Petit als Servilia, Lea Desandre als Annio und Peter Kálmán als Publio. Dieser Abend ist eine musikalische Spitzenleistung, feinster Champagner und Glückselixier zugleich.
das die Schnitzels da apetitlich sind.
Vielen Dank, Daniela. Vor Ihren fähige beschreibung dieser Oper. Auch das schöne Salzburg hat mir besonderes neugierig gemacht. Bis jetzt wusste ich nur