Salzburger Pfingstfestspiele
Il trionfo del Tempo e del Disinganno
Oratorium in 2 Teilen HWV 46a (1707). Libretto Benedetto Pamphilj.
Neue Produktion. Freitag, 21. Mai. Salzburger Pfingstfestspiele. Weitere Aufführungen am 4. (Premiere), 8., 12., 14. Und 17. August bei den Salzburger Sommer-Festspielen.
Mélissa Petit Bellezza; Cecilia Bartoli Piacere; Lawrence Zazzo Disinganno; Charles Workman Tempo; Gianluca Capuano Dirigent; Robert Carsen Regisseur
Les Musiciens du Prince-Monaco
MUSIK: *****5*****
REGIE: *****5*****
Applaus, Applaus poppt über der Bühne und an den Bühnenseiten des pink-poppigen Disco-Bühnenbildes auf, in dessen Vordergrund drei Stühle und ein Tisch stehen. Das Publikum kommt der Aufforderung nach und unter dem Applaus im Zuschauersaal betreten zwei Männer, eine Frau einrahmend, diese im leuchtend roten Anzug, die Bühne. It’s Casting-Time. Gesucht wird das nächste Top-Model. Junge Tänzerinnen-Models in Pailletten-Glitzer-Abendroben und schöne Männer in schwarzen Anzügen stellen sich zur Schau. Walks und Shootings an verschiedenen Salzburger Schauplätzen. Es geht im Bus durch die Stadt. Stück und Stadt scheinen eng verknüpft. Haare, Make-up, Posieren, ein Sprung in den Pool. Videoprojektionen vermengen sich perfekt mit dem Bühnen-Geschehen. Ein gelungener Farbrausch in Pink, Grün, Rot. Die Siegerin: Bellezza.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens
Händel komponierte sein erstes Oratorium ll trionfo del Tempo e del Disinganno – auf Deutsch‚ Der Triumph der Zeit und der Erkenntnis (wörtlich: Ent-Täuschung) wohl im März oder April 1707 im Haus des Kardinals Benedetto Pamphili, der ein großer Bewunderer Händels war, an der Via del Corso in Rom. Pamphili verfasste auch das Libretto. Es entstand zu einer Zeit, in der Opern verboten und Frauen nicht öffentlich auf der Bühne auftreten durften. Papst Innozenz XII. ging sogar so weit, die drei noch bestehenden Theater Roms zerstören zu lassen. So sollten Sittenverfall und Laster verhindert werden.1737 überarbeitete Händel das Stück für eine weitere Aufführung in Rom und komponierte einige Passagen neu. Rom bot dem ehrgeizigen deutschen Komponisten die Möglichkeit, prunkvolle religiöse Zeremonien ebenso zu komponieren wie für ausgesuchte Künstlerkreise zu arbeiten.
Die Handlung
Wie lange währt Schönheit? Das fragt sich Bellezza (Die Schönheit), während sie sich im Spiegel betrachtet. Piacere (Das Vergnügen) versichert ihr „für immer“, wenn sie nur dem Laster, der Lust und dem Vergnügen ihr Leben widmet. Freudig stimmt Bellezza diesen Verheißungen zu, während Tempo (Die Zeit) und Disinganno (Die Erkenntnis) sie warnen, dass ihre Schönheit mit der Zeit verschwinden werde. Sie raten ihr, die eigene Sterblichkeit zu akzeptieren.
Der Spiegel der Seele
Regisseur Robert Carsen denkt, dass es Benedetto Pamphili in seinem Libretto „um die Entwicklung und das innere Bewußtsein in den verschiedenen Lebensphasen ging, weshalb Zeit und Erkenntnis ein Team bilden. Oberflächliches Vergnügen kann nicht von Dauer sein. Der richtige „Gebrauch der Zeit“ läßt uns die verschiedenen Lebensphasen nutzen und Weisheit besteht darin, zu verstehen, dass man nicht unbeweglich verharren darf, sondern im Leben immer weiterreisen sollte. Piacere, Disignanno und Tempo stehen als Allegorien für extreme Positionen.
Wegweiser der Selbstreflexion
Cecilia Bartoli, seit 2012 die künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele und Initiatorin des Orchesters Les Musiciens du Prince-Monaco, singt in leuchtend rotem Anzug und High Heels die Rolle der Piacere und sie tut das Göttinnen-gleich. Als sie nach einer Stunde und 45 Minuten die Arie der Freude anstimmt „Lass die Dornen, pflücke die Rose, Du suchst nur dein Leid…“, herrscht absolute Stille und Aufmerksamkeit im Zuschauerraum. Sie singt befreit, klar, mit jugendlichem Timbre, beeindruckt mit ihren Koloraturen, spielt mit ihrem Gegenüber, immer mit einem Augenzwinkern. Man spürt, sie liebt diese Rolle. Ihre Bühnenpräsenz an diesem Abend ist unübertroffen. Stimmlich und optisch ist sie der Liebling dieser Salzburger Festspiele. Technisch ist sie perfekt wie eh und je. Zu Recht Szenen- und später Riesenapplaus für die Koloratur-Mezzosopranistin mit dem dunklen, satten Timbre, deren Stimmumfang über zweieinhalb Oktaven geht.
Mélissa Petit debütiert als Bellezza in Salzburg. Neben ihr berührt der amerikanische Countertenor Lawrence Zazzo. Charles Workman ist stimmlich ein ideales Pendant zu ihm. An einigen Stellen sind Dirigent und Orchester ein wenig zu schnell für die Sänger.
In dieser Oper treten die Instrumente ebenbürtig mit dem Gesang in einen Dialog, übertreffen ihn oft an Virtuosität, antworten, verzahnen sich mit dem Gesang fast Echo-gleich, was eine absolute Präzision erfordert. Das Stück ist flirrend-modern und schnell inszeniert, wo es um oberflächliches Glitzern geht und dann wieder besinnlich, reflektiert, wenn es heißt, zuzuhören und das Innere, Verborgene zu hinterfragen. Im rhetorischen Wettbewerb versuchen die Allegorien, Bellezza zu überzeugen.
Im Leben geht es darum, sein Gleichgewicht zu finden. An diesem Abend werden große Fragen der Selbstfindung unter der beeindruckenden Regie von Robert Carsen gestellt. Große Komplimente auch für Gedeon Davey, der Bühne und Kostüme mit einem Schmunzeln gestaltet hat, für Tänzer, Statisten und Maske.
Im Mozart-Haus erleben wir, wie Musik in Perfektion klingt.