LI-TAI-PE in Bonn: Wotans Dichter

LI-TAI-PE von Clemens von Franckenstein (1875 – 1942). Oper in drei Akten, op. 43. Libretto von Rudolf Lothar. Besuchte Vorstellung: Premiere, Theater Bonn, 22. Mai 2022.

Ho-Tschi-Tschang, Doktor der Kaiserlichen Akademie: Giorgos Kanaris; Yang-Kwei-Tschung, Erster Minister: Tobias Schabel; Kao-Li-Tse, Kommandant der Garden: Johannes Mertes; Ein Herold: Martin Tzonev; Ein Wirt: Kieran Carrel; Ein Soldat: Pavel Kudinov; Fei-Yen, eine koreanische Prinzessin: Ava Gesell; Yang-Gui-Fe, ein Mädchen aus dem Volke: Anna Princeva; Mandarine: Tae-Hwan Yun; Chor: Chor des Theater Bonn; Orchester: Beethoven Orchester Bonn; Musikalische Leitung: Hermes Helfricht; Inszenierung: Adriana Altaras

Musik: 4****
Inszenierung: 2**

Glückliche Zeiten für Opernfreunde, als es noch Ensemble- und Repertoiretheater gab und so klangschöne Werke, wie der 1920 in Hamburg uraufgeführte Li-Tai-Pe von Baron Clemens Franckenstein fest im Spielbetrieb verankert war. Intendanten und Dramaturgen sollten nach Bonn pilgern oder zumindest den WDR-Mitschnitt goutieren und sich von der Zugkraft des Stückes um den bedeutsamsten Poeten Chinas überzeugen.

Im Suff schrieb der 698 in Szetschuan geborene Li-Tai-Pe gleich Schmetterlingsflügeln zarte Gedichte, die Hesse und Klabund gleichermaßen faszinierten und die Rudolf Lothar zu einem märchenhaften Libretto anregten. Franckenstein hat dazu einen Klangteppich aus Farben und Mustern von Puccini, Richard Strauss, aber auch Bela Bartok gewoben. Dass so ein eigenständiges Kunstwerk entstand, hat schon damals die Rezensenten verwundert und das Publikum begeistert.

Erzählt wird die Geschichte des Kaisers Hüan-Tsung, der sich erfolgreich der Hilfe seines Hofdichters bedient, um eine Prinzessin zu gewinnen. Besagter Kaiser wird von Joachim Goltz derart wotangewaltig, wohlklingend und wortverständlich gesungen, dass man sich fast fragt, warum es überhaupt der Hilfe von Li-Tai-Pe bedarf. Wobei das nicht die Leistung von Mirko Roschkowski schmälern soll: Das von ihm vorgetragene Liebeslied „In sanftem Leuchten blinken die Sterne“ gelingt ihm so vorzüglich, dass er damit nicht nur die kaiserliche Braut überzeugt, anmutig gesungen und dargestellt von Ava Gesell, sondern auch noch gleich für weiche Knie sorgt bei der ihn heimlich liebenden Yang-Gui-Fe.

Li-Tai-Pe
Anna Princeva (Yang-Gui-Fe), Kieran Carrel (Wirt), Chor, Statisterie ©Thilo Beu

Fest für die Ohren

Anna Princeva hat in dieser Rolle einiges zu bewältigen: Sie muss sowohl wie Sophie als auch wie Octavian klingen bzw. wie Hänsel und Gretel zusammen. Sie schafft beides, überzeugt als lyrisch liebendes Mädchen und in der Verkleidung des Pagen. Giorgos Kanaris hat ihr als Doktor der kaiserlichen Akademie mit warmherzigen Bariton die Pagenverkleidung organisiert, was letztlich das von zwei Hofschranzen bedrohte Leben Li-Tai-Pes rettet.

Die beiden Wiedersacher sind mit dem absolut textverständlich singenden Johannes Mertes und dem finsteren Bass Tobias Schabel’s rollendeckend perfekt besetzt. Dasselbe gilt für die vielen kleinen Rollen.

Keine kleine Rolle hat der Chor des Theaters Bonn, der noch von einem Extrachor ergänzt wird, und von Marco Medved ganz hervorragend einstudiert wurde. Im harmonischen Zusammenklang mit dem Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Hermes Helfricht war es ein Fest für die Ohren.

LI-TAI-PEI
Anna Princeva (Yang-Gui-Fe), Statisterie, ©Thilo Beu.
LI-TAI-PEI
Ensemble, ©Thilo Beu.

Kein Fest für die Augen

Eiin Fest für die Augen war es leider nicht. Die idiotische Frage im Programmheft, ob man sich im Theater „auch mal nur amüsieren“ dürfe, beantwortete Regisseurin Adriana Altaras mit einem beherzten „Unbedingt!“ Und auch sonst sagt sie viel Kluges. Aber irgendwie scheint sie dennoch keinen Zugang zu dem Stück gefunden zu haben.

Leidenschaftslos wechselt sie zwischen dem kommunistischen China und einem fantastischen Kaiserreich. Keine der Figuren erwacht zum Leben. Es gibt Klischees ohne Ende: Vom torkelnden Poeten bis hin zu Tai-Chi praktizierenden Statistinnen und ganz besonders schlimm: vier Mandarine, die alle drei Akte hindurch ihren Klamauk treiben.

Sogar in der unnötig langen Umbaupause zum zweiten Akt trippeln sie durch den Zuschauerraum. Da wünscht man sich doch die alte Tradition wieder, wo Sängerinnen und Sänger nach jedem Aktschluss vor den Vorhang traten. Es fehlt schlichtweg an Seriosität bei dieser Produktion. Gerade weil die Regisseurin beteuert, dass sie mit den Klischees spiele.

LI-TAI-PEI
Mirko Roschkowski (Li-Tai-Pe), Anna Princeva (Yang-Gui-Fe), Statisterie. ©Thilo Beu.

Klischeehaft

Dementsprechend klischeehaft ist auch das Bühnenbild von Christoph Schubiger: Es gibt eine detailverliebt ausgestattete schmuddelige Garküche, Videoprojektionen, die sich vom Parteitag in eine getuschte Landschaft verwandeln und Schriftzeichen, die synchron zum Gesang aufleuchten. Dazu dann noch die Kostüme von Nina Lepilina, die genauso ziellos wie die Regisseurin durch die Epochen wandelt, und schon ist die Diskrepanz zwischen Bühnengeschehen und Partitur perfekt.

Freilich, man hat schon Schlimmeres gesehen als die wabernde Hochhausfototapete, den roten Samtanzug des Kaisers oder den Plastikkopfdrachen. Aber, wenn man das dankenswerterweise im Programmheft abgedruckte Libretto mit den Szenenangaben liest, tritt einem noch viel deutlicher vor Augen, welchen Bärendienst das ausstattende Duo der Regisseurin erwiesen hat. Letztlich verraten alle drei das Stück und auch uns, die wir uns einfach mal geschmackvoll „amüsieren möchten im Theater“.

Christoph Molitor

Der Freischütz
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Jutta
Jutta
1 Jahr zuvor

Im ersten Abschnitt fehlt die Erwähnung des Tutelgelden LI TAI PE, gesungen von Lirko Roschkowski.