DER ZWERG / PETRUSCHKA
Der Zwerg, Oper in einem Akt von Alexander Zemlinsky, Libretto von Georg C. Klaren. Musikalische Leitung Lawrence Renes, Inszenierung Paul-Georg Dittrich.
Musik: 4****
Drama: 1*
Petruschka, Burleske Szenen in vier Bildern von Igor Strawinsky. Musikalische Leitung Lawrence Renes, Choreografie Richard Siegal.
Musik: 5*****
Drama: 3**
Besuchte Vorstellung: Oper Köln, 19. November 2022 (Premiere)
Über 90 Opern, Operetten und Ballette hatte das von Carl Moritz am Habsburgerring erbaute Kölner Opernhaus jede Spielzeit im Repertoire. Dazu zählten nicht nur die damaligen und heute noch geläufigen Dauerbrenner sondern auch immer wieder zeitgenössische Werke von Bittner, Braunfels, d’Albert, Krenek, Korngold, Prokofjev, Schreker, Schillings, Thuille und Weinberger. Manche von ihnen, wie z. B. Die toten Augen oder Mona Lisa verankerten sich entgegen kritischer Rezensionen fest im Spielplan. Andere, wie die am 28. Mai 1922 uraufgeführte und hochgelobte Märchenoper Der Zwerg von Alexander Zemlinsky verschwanden mit vier Vorstellungen in der Versenkung.
Nach einem konzertanten Wiederbelebungsversuch im Jahre 1996 unter James Conlon führt die Kölner Oper den Zwerg nun zum ersten Mal wieder szenisch auf. Und wie 100 Jahre zuvor wird der nur 75 Minuten dauernde Einakter mit dem Ballett Petruschka von Strawinsky gekoppelt.
Einhelliges Lob
Die Rezensenten damals waren voll des Lobes für beide Werke, gaben jedoch der Komposition von Zemlinsky den Vorzug: „Seine Musik steht an artistischen Feingefühl über fast allem, was an modernen Werken in den letzten Jahren über die Bühne des Kölner Opernhauses gezogen ist“, befand Anton Stehle von der Kölnischen Volkszeitung. Wilhelm Jacobs von der Kölnischen Zeitung bescheinigte Zemlinsky, „ein Meister der Technik“ zu sein. Die Rheinische Volkswacht lobte das „differenzierte Geflecht der Partitur, das durch eine formgewandte Hand stets mit Maß und Meisterschaft gewoben“ sei. „Die nobelste der Faktur findet ihre Ergänzung in einer gewissen Blaublütigkeit der Erfindung. Es ist alles überaus fein gemacht, von einem geläuteten Kunstverstand diktiert, sozusagen graziös.“
In diesen Jubel möchte man auch aus heutiger Sicht bedingungslos einstimmen. Zemlinsky hat für das Libretto von Georg C. Klaren, das auf Oscar Wildes Kunstmärchen Der Geburtstag der Infantin fußt, eine schlichtweg wunderbar romantische Tonsprache erfunden. Lawrence Renes bringt diese in all ihrer emotionalen Fülle mit dem Gürzenich-Orchester ebenso wunderbar zum Klingen, wie es wohl bei der Uraufführung Klemperer getan haben wird. Kathrin Zukowski gestaltet mit ihrem schönen Sopran eine liebreizende Infantin, der man zunächst keinerlei seelische Grausamkeit zutrauen möchte. Doch bricht sie mit eben diesem Stimmmittel das Herz eines ihr zum Geburtstag geschenkten Kleinwüchsigen, der sich selbst noch nie im Spiegel sah und für einen Ritter hält. Der zum internationalen Ruhm aufbrechende und viel zu früh verstorbene Publikumsliebling Karl Schröder sang die Titelpartie 1922 auf den Knien. An Burkhard Fritz geht dieser Kelch vorüber. Aber selbst noch auf dem Rücken liegend gelingt es ihm – trotz Indisposition – diesen tragischen Helden in schimmernde Rüstung zu kleiden. Ihm zur Seite Claudia Rohrbach als Zofe Ghita, die mit viel Warmherzigkeit in Stimme und Ausdruck bis zuletzt das Schlimmste zu verhindern sucht. Vergeblich. Der kraftvolle Damenchor unter der Leitung von Rustam Samedov macht unmissverständlich klar, dass scheitern wird, wer nicht dem Mainstream huldigt. Schmerzhaft zitternd, ähnlich wie Humperdincks von der Gesellschaft verstoßene „Königskinder“ hallen die letzten Töne nach in dieser Meisterpartitur.
Plump
Es ist verständlich, dass der hundertste Geburtstag der Uraufführung gleich zu Beginn mit Projektionen des alten Opernhauses auf dem Bühnenvorhang zelebriert wird. Man darf schon auch ein wenig stolz sein auf diese glanzvolle Epoche Kölner Operngeschichte.
Dass man dann aber Innenaufnahmen des Palais Garnier als Treppenhaus der Moritzoper ausgibt oder Szenen aus dem Vergnügungspalast „Groß Cöln“ und von Halévys Die Jüdin als Originalaufnahmen der Zwerg-Uraufführung, das ist schon etwas plump irreführend.
Und auch sonst findet sich zu der „Blaublütigkeit der Erfindung“ in der Inszenierung von Paul-Georg Dittrich leider kein Pendant: Wie Tobias Kratzer 2019 an der Deutschen Oper in Berlin, so verlegt auch Dittrich die Szene ins heutige Handy-Zeitalter. Seine Ausstatterinnen Pia Dederichs und Lena Schmid haben ihm hierfür einen weißen Catwalk vom Orchester in den Zuschauerraum gebaut. Von der Decke baumeln Kugellampen. Das Ganze hat den Charme eines Volkshauses der DDR und erinnert in keinster Weise an einen Palast, geschweige denn an das im Libretto vorgeschriebene Spanien des 16. Jahrhunderts oder an Velázquez‘ Gemälde Las Meninas, das Oscar Wilde zu seinem Kunstmärchen inspiriert hat.
In Köln bauscht sich stattdessen krachbunte Kunstseide in langweiligen Babydollverschnitten, wie man sie in ihrer Geschmacklosigkeit nicht einmal auf der Domplatte bei den unzähligen Junggesellinnenabschieden sieht. Natürlich kommt der Haushofmeister als Conchita Wurst-Verschnitt auf die Bühne, natürlich trägt die Infantin pink, natürlich sind sie und ihr Gefolge alle blond und genauso klischeehaft agieren sie auch. Das Ganze erinnert an einen Tuntenball in Little Britain, ohne jemals dessen satirische Schärfe zu erreichen. Kein Gekreische, kein theatralisches Hände in der Luft fuchteln, kein Gestöckel wird ausgelassen. Unfreiwillig komisch, wenn das Premierenpublikum nicht nur besser gekleidet ist als der Hofstaat der Infantin sondern auch beim Heiteitei selbigen an Glaubwürdigkeit in den Schatten stellt.
Ohne Biss
Und so verklebt sich das tragische Spiegelmoment mit dieser grotesk überzeichneten, albernen Barbiewelt in Zuckerwatte, wie sie allenthalben auf dem Geburtstag der Infantin gereicht wird. Videoprojektionen zum Schönheitswahn mit Botox und gebleachten Zähnen sowie Tortenschlacht geben dem Ganzen auch nicht mehr Biss. Und schon gar nicht die Runzelmasken, die der Damenchor zum Schluss tragen und dazu konvulsivisch zucken muss. Man fragt sich eher, warum der hier im Look von Oliver Hardy so gar nicht Kleinwüchsige, erst jetzt in den mit Spiegelfolie beklebten Säulen erkennt, dass er der einzige Mensch ist unter all den Zombies.
Wie Zombies gebärden sich dann auch die Gruppen, die in der Choreografie Richard Siegals zu Strawinskis Musik aufeinanderprallen. Auf dem in der Pause zum Podium umgebauten Laufsteg tanzt das am Schauspiel Köln aufgebaute Ballet of Difference eine ganz eigene Petruschka-Geschichte. Chefbühnenbildner Rudolf Hraby hatte 1922 einen liebevoll gestalteten russischen Jahrmarkt auf die Bühne gewuchtet. Davon ist nichts mehr da und von der ursprünglichen Handlung in vier Bildern bleibt nur das Grundgerüst eines ausweglosen Dreiecksverhältnisses erhalten. Ein Spiel der Geschlechter in fantasievollen Kostümen von Flora Miranda. Virtuos geben Margarida Isabel de Abreu Neto den Verlierer, Nicolàs Martinèz den Nebenbuhler und Long Zou die Ballerina. Sie entfachen ein wahres Feuerwerk an Liebe, Zurückweisung und Eifersucht. Emotionen, wie man sie auch gerne bei der Inszenierung vom Zwerg gesehen hätte, die uns aber leider verwehrt bleiben.
Viel Beifall, in den sich einzelne Buhs für das Regieteam des Zwergs mischten.