„Mit glockenhell fliessendem lyrischen Sopran gab Luise Alder eine quirlige, liebenswürdige Susanna, deren berühmte Arie «Deh vieni non tardar» mit der notwendigen Erotik interpretiert wurde.“
Le nozze di Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791). Opera buffa in vier Akten, Libretto von Lorenzo Da Ponte.
Bezochte voorstelling: 22 juni, Opernhaus Zürich.
Musikalische Leitung Stefano Montanari
Inszenierung Jan Philipp Gloger
Il Conte di Almavia Daniel Okulitch
La Contessa di Almaviva Anita Hartig
Figaro Morgan Pearse
Susanna Louise Alder
Cherubino Lea Desandre
Marcellina Malin Hartelius
Bartolo Yorck Felix Speer
Basilio Spencer Lang
Don Curzio Christophe Mortagne
Barbarina Ziyi Dai
Antonio Ruben Drole
Zwei Frauen Selena Colombera, Hélène Couture
Tango Tanzpaar Eugenia Parrilla Yanick Wyler
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Continuo Solocello Claudius Herrmann
Besuchte Vorstellung: 22. Juni 2022, Opernhaus Zürich.
Musik: 3,5*
Inszenierung: 4*
Wolfgang Amadeus Mozarts unvergängliche Opera Buffa Le Nozze di Figaro aus dem Jahre 1786 kann am Opernhaus Zürich auf eine glanzvolle Aufführungsgeschichte zurückblicken. So sind nicht nur zwei Neuproduktionen unter Nikolaus Harnoncourt aus den 80er und 90er Jahren, sondern auch schon prominent besetzte Aufführungen aus den 1970er Jahren immer noch fest im Gedächtnis des Publikums verankert. Da war es überfällig, dass nach der letzten Neuinszenierung aus dem Jahr 2007, der «Figaro» in Zürich erneut zu Premierenehren kam!
Wie man bereits der Premieren-Ankündigung entnehmen konnte, verlegte der Regisseur Jan Philipp Gloger die auf der revolutionären Beaumarchais-Komödie Le mariage de Figaro ou la folle journée basierende, von Lorenzo da Ponte zu einem meisterhaften Libretto ausgearbeitete Handlung, aus den letzten Tagen des Ancien Régimes, in die Gegenwart. Aus dem ursprünglich aufgeklärten Grafen Almaviva, wird dabei ein wohlhabender Schweizer (Jung-)Unternehmer, der in einer herrschaftlichen Villa residiert. Die liebevoll und detailliert von Ben Baur ausgestattete Bühne hat in ihrer Anlage durchaus noch etwas Barockes, die Kostüme von Karin Jud sind ebenfalls liebevoll und elegant entworfen. Im ersten Akt sehen wir den Innenhof der gräflichen Villa, im zweiten Akt (unlogischer Weise) einen Wäscheraum, in dem die Gräfin, Susanna, Figaro und Cherubino ihre Intrigen spinnen und aus dem Cherubino durch Sprung aus dem Wäscheabwurfschacht flüchtet.
Im dritten Alt befinden wir uns in einem herrschaftlichen Salon, der dann von den Dienstboten zur Hochzeitsfeier eher rustikal dekoriert wird, während die nächtlichen Liebeswirren des vierten Aktes auf dem Dachboden der Villa vor sich gehen. In diesem optisch sehr ansprechenden Rahmen erzählt der Regisseur die Geschichte sehr gradlinig und witzig, das in seiner Existenz bei Historikern umstrittene feudale «Ius primae noctis» wird dabei mittels sexueller Übergriffe von Vorgesetzten gegenüber ihren Mitarbeitern in unsere Zeit übersetzt. Dabei wird der einst vom Grafen entworfene moralische «Code of Conduct», projiziert auf den Zwischenvorhang, immer wieder von ihm zu seinem eigenen Vorteil geändert, bis am Ende Cherubino, der im vierten Akt, das übergriffige Verhalten des Grafen zum Teil annimmt, den gesamten Code of Conduct mit «Non son piu, cosa son cosa faccaio» ersetzt – die völlige Verwirrung der Gefühle und Begehrlichkeiten, aber auch weiterer sexueller Übergriffe ist vorprogrammiert. Gloger führt die Charaktere mit viel Schwung und arbeitet die Beziehungen der Figuren klug heraus. Wie traurig und emotional abgestumpft wirkt es etwa, wenn der Graf im vierten Akt von seiner als Susanna verkleideten Frau verführt wird, ohne diese dabei zu erkennen! Obwohl die Interpretation des Regisseurs mit seiner Verlegung der Handlung in die Gegenwart für einen Stoff mit so starker zeitlicher Verortung am Vorabend der französischen Revolution erstaunlich gut aufgeht, fehlte mir am Ende dieses intellektuell-vergnüglichen Abend doch etwas der Charme des Rokokos, den viele Figaro Aufführungen mit sich bringen.
Daniel Okulitch brachte für seine Verkörperung des Grafen Almaviva einen weichtimbrierten, in allen Lagen bestens fliessenden Bariton mit, der sich mit grösstem Engagement in seine Rolle warf. Anita Hartig sang die hier tablettensüchtige Gräfin Rosina mit eher herb timbrierten, vibratoreichem Sopran, wobei mir bei «Porgi amor» und dem berühmten «Dove sono i bei momenti» das Leuchtende fehlte, das bei diesen Arien das Mitgefühl, für die unter der Untreue ihres Mannes leidenden Gräfin, erzeugt. Morgan Pearse sang mit eher hellem Bariton den Titelhelden Figaro, wobei die Stimme vom Timbre etwas zu ähnlich zu der des Grafen klang – hat Mozart doch in seiner Partitur Figaros Gesangslinie deutlich tiefer angelegt als die des Grafen. Darstellerisch hätte ich mir etwa bei « Se vuol ballare» etwas mehr Temperament und Schlitzohrigkeit gewünscht. Der Sänger steigerte sich jedoch im Laufe des Abends und konnte im vierten Akt mit «Aprite un po` queli occhi» wahrlich überzeugen. Mit glockenhell fliessendem lyrischen Sopran gab Luise Alder eine quirlige, liebenswürdige Susanna, deren berühmte Arie «Deh vieni non tardar» mit der notwendigen Erotik interpretiert wurde. Lea Desandre als Cherubino stand ganz oben in der Gunst des Publikums. Wie ein Wirbelwind bewegte sich die äussert talentierte junge Sängerin über die Bühne und mischte dabei die Begehrlichkeiten sämtlicher Figuren auf. So wurden das bereits erwähnte «Non son piu, cosa son cosa faccaio» und die herrliche Canzonetta «Voi che sapete» zu wahren Erlebnissen. Malin Hartelius, die bereits in den letzten Jahrzehnten alle weiblichen Rollen in der «Nozze» am Opernhaus Zürich gesungen hatte, kehrte nun als Marcellina zurück und zeigte sehr überzeugend die Wandlung dieser interessanten Figur. Leider musste man stimmlich insbesondere bei der als Menuett angelegten, äusserst schwierigen und oft gestrichenen Koloratur-Arie «Il capro e la capretta» bei den virtuosen Läufen gewisse Abstriche machen. Ziyi Dai begeisterte rundum als Barbarina mit ihrer F-Moll Cavatina zu Beginn des vierten Aktes. Ausgezeichnet sang und spielte Yorck Spencer Lang den Bartolo, während Ruben Drole als Antonio für zahlreiche urkomische Momente sorgte. Auf hohem Niveau komplettierten Spencer Lang und Christoph Mortagne als Basilio und Don Curzio das Ensemble.
Klangprächtig huldigte der von Ernst Raffelsberger einstudierter Chor im ersten Akt dem Grafen, während der Damenchor im dritten Akt mit «Ricevete o padroncina» umso lieblicher klang. Für einen ungewöhnlichen Mozart-Klang sorgte die Philharmonia Zürich unter Stefano Montanari: Das hochgefahrene Orchester war ungewöhnlich tief gestimmt und lieferte einen historisch inspirierten (?) sehr vibrato-reichen Klang mit zum Teil abrupten Tempowechseln. Das war interessant zu erleben, wird jedoch sicherlich Geschmackssache bleiben.
Dem Publikum hatte der temporeiche, dreieinhalbstündige Abend sichtlich viel Freude bereitet. So erhielten am Ende dieser zweiten Aufführung nach der Premiere alle Beteiligten stehende Ovationen.
Ich danke Ihnen, Herr Aranowics, für Ihre ausfürliche Erklärung,
die ich gerade mit Freude gelesen habe.