L’Histoire du Soldat (1917) von Igor Strawinsky (1882 – 1971). Libretto von Charles Ferdinand Ramuz.
Musikfest Berlin. 16 September 2021.
Isabelle Faust Violine
Dominique Horwitz Rezitation
Lorenzo Coppola Klarinette
Javier Zafra Fagott
Reinhold Friedrich Trompete
Raymond Curfs Schlagzeug
Jörgen van Rijen Posaune
Wies de Boevé Kontrabass
Musik: ****4****
L’Histoire du Soldat
Ein Vorleser und sieben Musiker, firmierend unter Faust, Horwitz & Friends, sind die Protagonisten des auf eine Stunde gekürzten Musiktheaterstücks L’Histoire du Soldat.
Die Geschichte vom Soldaten wurde 1917 vom russischen Komponisten Igor Strawinsky zusammen mit dem Waadtländer Dichter Charles-Ferdinand Ramuz (Libretto) für eine kleine Wanderbühne konzipiert und zwei Jahre später von Strawinsky selbst für Geige, Klarinette und Klavier bearbeitet. Nach Ausbruch der Russischen Revolution und in Folge der Kriegserklärung Deutschlands an Russland, waren die Reisemöglichkeiten Strawinskys eingeschränkt. Er war in Sorge um seinen Lebensunterhalt und plante in seiner Schweizer Heimat die Gründung einer kleinen flexiblen Truppe mit wenig instrumentalem und darstellerischem Aufwand, geringen Kosten und flexibel für jeden Ort. Die Uraufführung fand 1918 in Lausanne statt. Das Stück gliedert sich in zwei Teile mit je drei Szenen und die Musik steht nicht in direktem Bezug zum Text.
Es ist ein Märchen mit einer einfachen, aber treffenden Moral:
„Man soll zu dem, was man besitzt, begehren nicht, was früher war. Man kann zugleich nicht der sein, der man ist und der man war. Man kann nicht alles haben. Was war, kehrt nicht zurück.“
Ein Teufel spricht einen Soldaten auf Heimaturlaub an, als er an einem Bach rastet und möchte mit ihm dessen Geige gegen ein Buch tauschen, welches große Reichtümer verspricht, weil es in die Zukunft schauen kann und sieht, wie Börsenkurse sich entwickeln. Dafür soll der Soldat dem Teufel das Geigenspiel beibringen. Zögernd lässt er sich darauf ein. Statt 3 Tagen vergehen 3 Jahre und zu Hause wird der Soldat weder von seiner Mutter noch von den Dorfbewohnern oder seiner Braut erkannt, welche inzwischen verheiratet ist. Das Buch erfüllt sein Versprechen und so wird der einstige arme Soldat ein reicher Kaufmann. Geld allein macht bekanntlich nicht glücklich. Der Soldat wünscht sich seine Geige zurück, was ihm gelingt, indem er den Teufel betrunken macht und dann beim Kartenspiel besiegt. Er hört von einer kranken Prinzessin, heilt sie, beide verlieben sich. Er könnte mit ihr glücklich werden, doch er hält sich nicht an die Abmachung, seine Heimat nie wieder zu betreten und ihr zu verraten, wer er ist und woher er herkommt.
Im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie liest der Schauspieler Dominique Horwitz die drei Rollen des Soldaten, des Teufels und der Prinzessin. Er tut dies wunderbar nuanciert und lebendig. Er springt von Höhe zu Tiefe, von heiter zu ernst, von lieblich zu krächzend. Die sieben Musiker Isabelle Faust (Violine), Lorenzo Coppola (Klarinette), Javier Zafra (Fagott), Reinhold Friedrich (Trompete), Raymond Curfs (Schlagzeug), Jörgen van Rijen (Posaune) und Wies de Boevé (Kontrabass) nehmen ihn in ihre Mitte und untermalen seinen Text mit der bewegenden Musik. Sie musizieren mitreißend, mit großer Freude, manchmal ein wenig zu laut, so dass man den Text kaum versteht. Strawinsky hatte vorgesehen, die Musiker sichtbar links neben der Bühne zu platzieren und der Rezitator sollte rechts die Schauspieler und das Geschehen flankieren. Abwechselnd sollten die drei Elemente Spiel, Sprache, Musik agieren und sich zu einem Ensemble vereinen. Auf der kleinen runden Bühne inmitten der Zuschauer, die weit verstreut (mit Maske) platziert wurden, gelingt das nicht, auch weil die Schauspieler fehlen.
Strawinsky und Ramuz dienten zwei russische Märchen von Alexander Afanasiev als Vorlage. Strawinsky verfremdet verschiedene Genres wie Walzer, Jazz, Choral, Pastorale, Tango und Ragtime. Beeinflusst wurde er dabei von Erik Satie, den er 1909 in Paris getroffen und schätzen gelernt hatte, von Schönbergs Pierrot Lunaire von 1912 und Jean Cocteau, der Minimalismus und „überschaubare Klarheit“ forderte.
Strawinsky schreibt: „Im Sommer (1913) hatte ich eine kleine Auswahl japanischer Lyrik gelesen, in der sich auch Gedichte alter Meister befanden, die aus wenigen Zeilen bestanden. Mir fiel auf, dass sie in gleicher Weise auf mich wirkten wie die Kunst des japanischen Holzschnitts. Die Art nun, wie in der japanischen Graphik die Probleme der Perspektive und der körperlichen Darstellung gelöst werden, reizte mich, etwas Analoges für die Musik zu erfinden.“
Der Marsch gerät bewußt aus dem Takt. Klarinette und Fagott skizzieren die Verzweiflung des heimatlosen Soldaten. Die Posaune spielt die in der Grundtonart B-Dur „falschen“ Töne as, h, e. Die Musik gerät aus den Fugen wie das Leben. Der Teufel muss tanzen zum Geigenspiel des Soldaten, bis er nicht mehr kann. Zwischenzeitlich ist er besiegt und Prinzessin und Soldat fallen sich in die Arme. Kleiner Choral. Melodram mit Violine und Kontrabass. Doch am Ende triumphiert der Teufel.