Katja Kabanowa in Berlin

Katja Kabanowa

Katja Kabanowa (Káťa Kabanová) von Leoš Janáček. Oper in drei Akten [1921]. Libretto vom Komponisten nach Aleksandr N. Ostrowskis Schauspiel Das Gewitter.
Besucht am 27. November 2021, Komische Oper Berlin.
Sawjol Prokofjewitsch Dikoj, ein Geschäftsmann: Jens Larsen, Boris Grigorjewitsch: Magnus Vigilius, Marfa Ignatjewna Kabanowa, genannt Kabanicha: Doris Lamprecht, Tichon Iwanitsch Kabanow: Stephan Rügamer, Katherina, genannt Katja: Annette Dasch, Wanja Kudrjasch, Lehrer: Timothy Oliver, Varvara: Karolina Gumos, Glascha / Fekluscha: Sylvia Rena Ziegler, Kuligin: Nikita Voronchenko, Eine Frau: Caren van Oijen, Ein Vorbeigehender: Timothy Oliver, Chorsolisten der Komischen Oper Berlin, Orchester der Komischen Oper Berlin, Musikalische Leitung: Giedrė Šlekytė, Inszenierung: Jetske Mijnssen

Musik: 4****
Inszenierung: 4****

Katja Kabanowa – Annette Dasch als Inkarnation der Verzweiflung

Auf dem Schauspiel Das Gewitter von Aleksandr Ostrowski basiert die gut 100-minütige Oper. Das Libretto stammt vom Komponisten selbst. Übersetzt ins Deutsche hat es sein Freund Max Brod, wie auch vier weitere Janacek-Opern. Der Prager Autor stand vor der schwierigen Aufgabe, den Text abzustimmen auf eine Musik, die auf der Sprachmelodie des Tschechischen basiert. Brod verhalf Janacek damit zum internationalen Durchbruch. Aufführungen auf Tschechisch waren außerhalb von Böhmen und Mähren undenkbar und selbst in Prag keineswegs selbstverständlich.

 

Große Sehnsucht, biedere Moral, hartherzige Zeitgenossen

Genau 100 Jahre liegt die Uraufführung zurück, aber sie könnte auch im Hier und Jetzt spielen. Eine despotische Mutter, Kabanicha, Witwe, klammert sich an ihren Sohn. Dieser, Tichon, versteht seine Frau und ihre Gefühle, Ängste und Sehnsüchte nicht. Sie betrügt ihn, als er verreist ist, beichtet ihm nach seiner Rückkehr ihre Untreue. Ruhe findet sie durch ihr Geständnis nicht. Der Mann würde ihr verzeihen, alles könnte jetzt noch gut werden, wäre nur seine Mutter nicht. Als der Geliebte sich dann auch noch nach Sibirien verabschiedet, bringt sie sich um. Und wie so oft, realisieren die beiden Männer erst durch den Verlust, was sie verloren haben.

Katja Kabanowa
Copyright: Jaro Suffner

Zu Beginn ist die tschechische (Opern-)Sprache gewöhnungsbedürftig. Es dauert eine Weile, bis ich hineinkomme. Das Bühnenbild wirkt wie trister Ostblock in den 50ern. Müdes totes Braun, drei herrschaftlich große, ähnliche Räume mit langer Tafel, die großen Flügeltüren zum Garten verschlossen. Das Raffinierte, die Blicke mittels Spiegel in den nächsten Raum, die sich drehende Bühne, die Übertragung der inneren auf die äußere Tristesse, die spießig-langweilige Sekretärinnen-Kleidung Katja Kabanowas, die aus der schönen Frau eine Erloschene macht, hier gehen Kostüme (Dieuweke van Reij), Bühnenbild (Julia Katharina Berndt) und Inszenierung (Jetske Mijnssen) genial Hand in Hand.

Große Kantilenen, folkoristische Elemente mit Schellen, polyrhythmische und polymetrische Passagen, Pauken- und Quartmotiv und eine ganz seltene Viola d´amore bestimmen den Abend. Janacek, der zeitlebens Sprache und deren Melodien analysiert hat, war zudem ein genialer Dramatiker.

Gesangliche Offenbahrung

Es ist der Abend von Annette Dasch. Sie ist eine gesangliche Offenbahrung, nuanciert, leidend, hört und spürt man ihre Verzweiflung, ihr Getrieben-sein, wenn sie auf der Suche nach einem glücklichen Leben aufbegehrt. Neben dem vokalen Glanz ihrer Stimme begeistert ihr facettenreiches Spiel. Sie lebt die Rolle, trägt ihre Empfindungen spielerisch und agierend vor. Die anderen Protagonisten stehen ihr in nichts nach. Jede Rolle ist ideal besetzt.

Katja Kabanowa
Copyright: Jaro Suffner

Hier nur einen Sänger hervorzuheben, würde den anderen nicht gerecht. Neben der Berlinerin Annette Dasch gibt die junge Giedre Slekyte an diesem Abend ihr Debüt im Haus an der Behrensstr. Vital, differenziert, mal kraftvoll, dann wieder die feinen Nuancen jedes Instruments herausarbeitend, führt sie ihr Orchester.

Leben gibt es nicht ohne Lebenslügen

Leos Janacek war selbst ein Suchender, der mit seinen Ansprüchen rang, an seinem Talent zweifelte und arrogant und selbstgefällig mit zunehmendem Erfolg wurde. Er verliebte sich in seine zwölfjährige Klavierschülerin, die er kurz vor ihrem 16. Geburtstag heiratete. Sie schenkte ihm zwei Kinder, die früh starben, wurde von ihm gedemütigt und betrogen und versuchte, sich 1916 das Leben zu nehmen. Danach arrangierten beide sich. Sie wurde finanziell versorgt, verzichtete dafür auf die Scheidung. Er betrog sie weiter. 1920 schrieb er an seine fast vierzig Jahre jüngere Muse Kamilla Stösslova: „Ich beginne nun, eine Oper zu komponieren. Die Hauptperson ist eine Frau mit zartem Gemüt. Bei bloßem Gedanken schwindet sie. Ein Hauch würde sie verwehen – und was erst der Sturm, der über sie hereinbrechen wird!“

Katja Kabanowa
Copyright: Jaro Suffner

Nach dem tosenden Applaus springt Barry Kosky auf die Bühne, weil Corona-bedingt die Premierenfeier im Foyer mit humorig-liebevoller Vorstellung aller Mitwirkenden gecancelt wurde. Seine drei Engel nennt er das weibliche Erfolgstrio glücklich und freut sich riesig, dass anders als bei seinen Wiener Premieren in Berlin überhaupt noch vor Publikum gespielt wird. Und er weist gleich auf seine Orpheus-Premiere am 7. Dezember in der Komischen Oper hin.

Nächste Aufführungen am 5., 8. und 22. Dezember 2021, am 9. und 22. Januar und 5. Juli 2022 .
Unbedingt sehenswert!

Daniela Debus

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