Dialogues des Carmélites von Francis Poulenc. Opéra in drei Akten. 1956. Libretto des Komponisten, nach dem Theaterstück von Georges Bernanos. Uraufführung in italienischer Sprache im Teatro alla Scala, Mailand, am 26. Januar 1957.
Besuchte Vorstellung: Opernhaus Zürich. 17. Februar 2022. Rezensent: Marco Aranowicz.
Dialogues des Carmélites in Zürich: 10 Sterne!
Musikalische Leitung: Tito Ceccherini; Le Marquis de La Force: Nicolas Cavallier; Blanche, seine Tochter: Olga Kulchynska; Le Chevalier, sein Sohn: Thomas Erlank; Madame de Croissy: Evelyn Herlitzius; Madame Lidoine: Inga Kalna; Mère Marie de l’Incarnation: Alice Coote; Sœur Constance de St.-Denis: Sandra Hamaoui; Mère Jeanne de l’Enfant Jésus: Liliana Nikiteanu; L’Aumônier du Carmel: François Piolino; Sœur Mathilde: Freya Apffelstaedt; 1er Commissaire: Saveliy Andreev; 2e Commissaire: Alexander Fritze; Le Geôlier: Valeriy Murga; Officier: Benjamin Molonfalean; Thierry: Yannick Debus; Philharmonia Zürich; Chor der Oper Zürich; Zusatzchor des Opernhauses Zürich; Statistenverein am Opernhaus Zürich; Inszenierung: Jetske Mijnssen.
Musik: 5*****
Inszenierung: 5*****
Zu einem in jeder Hinsicht beglückenden und fesselnden Opernabend geriet am Opernhaus Zürich die zweite Vorstellung der Neuinszenierung von Francis Poulencs bekanntester Oper Dialogues des Carmélites. Dieses 1957 an der Mailänder Scala uraufgeführte und lange in Zürich nicht gezeigte Werk, besitzt eine Sonderstellung unter den nach 1945 komponierten Opern. Das liegt zum einen an der schlichten, aber dennoch ungemein reichen und wirkungsvollen Tonsprache, die sich überwiegend innerhalb der Tonalität bewegt. Zum anderen stellt die auf einer wahren Begebenheit beruhende Handlung, basierend auf der literarischen Verarbeitung durch Getrud le Forts Novelle Die letzte am Schafott aus dem Jahr 1931, mit der Hinrichtung von 16 Karmeliterinnen aus Compiègne während der französischen Revolution, ein für die Opernbühne äusserst ungewöhnliches Sujet dar.
«Dialoge»
Im Zentrum der Oper steht die junge, unter schwerster Angst leidende Adelige Blanche de la Force, die Zuflucht in einem Karmeliterinnen-Kloster sucht. Dort erlebt sie das Ringen mit dem Glauben der alten Priorin Madame de Croissy, angesichts ihres qualvollen Todes. Als die Schrecken der französischen Revolution immer spürbarer für die friedliche Gemeinschaft der Nonnen werden und das Kloster aufgelöst werden soll, ringen die Schwestern in ihren «Dialogen» für und wider den Opfertod als Märtyrerinnen. Schliesslich setzt sich Mère Marie, die das Martyrium befürwortet, jedoch am Ende als einzige überlebt, gegenüber der neuen Priorin Madame Lidoine durch. Blanche lehnt das Angebot ihres Bruders ab, sie ins Ausland in Sicherheit zu bringen. Sie flieht bei der Verhaftung der Gemeinschaft angsterfüllt in ihr verlassenes und verwüstetes Elternhaus, wo sie als einfache Magd lebt.
Mère Marie gelingt es jedoch nicht, Blanche zu überreden, sich in Sicherheit zu bringen. Als sie von der nahenden Hinrichtung ihrer Schwestern erfährt, entscheidet sie sich, mit ihnen zu sterben. Ihre Angst überwindend, schliesst sie sich den auf dem Weg zur Guillotine singenden Karmeliterinnen erneut an. Nach jedem Fallen des Beils, wird der Chor «Salve Regina» um eine Stimme leiser, bis er schliesslich ganz verstummt….
Regisseurin Jetske Mijnssen beweist in ihrem Umgang mit Poulencs Werk grössten Respekt. Was sie gemeinsam mit Bühnenbildner Ben Baur, Kostümbildner Gideon Davey und Choreographin Lillian Stillwell auf die Bühne des Opernhauses bringt, ist ganz grosses und packendes Theater aus einem Guss. Dabei gelingt es der Regisseurin mit einer faszinierenden Liebe zum Detail, zahlreiche Einzelheiten aus dem Klosteralltag der Karmeliterinnen, herauszuarbeiten. So erlebten wir auf der Bühne zu keinem Zeitpunkt ein auch nur ansatzweise statisches Geschehen, wie man es vielleicht erwarten würde, sondern ein mitreissendes Drama. Da wird für jede einzelne der Nonnen, ein individuelles Schicksal aus Fleisch und Blut gezeigt, das am Ende durch die Grausamkeiten der Revolution ausgelöscht wird. Vor diesem Hintergrund zeigt die Regisseurin die Entwicklung von Blanche de la Force auf anrührende Weise.
Im äusserst ansehnlichen Bühnenbild – ein Ruhe ausstrahlender grauer Raum- werden in kurzen Umbaupausen alle im Libretto geforderten Spielorte eingerichtet und von Franck Evin in stimmungsvoll-melancholisches Licht getaucht. Die Kostüme ordnen, beginnend bei barocker Pracht im Hause von Blanches Vater bis hin zu den weissen Märtyrer-Hemden der Nonnen in der erschütternden Schlussszene, das Geschehen in seinen geschichtlichen Kontext ein. In dieser besonderen Szene verzichtet Jetske Mijnssen dankenswerter Weise darauf, die Hinrichtung der Nonnen realistisch zu zeigen. Stattdessen lässt sie mit überwältigender Ruhe, eine Karmeliterin nach der anderen den Hals einknicken, ihren Namen von der Wand streichen und abgehen. Ein ganz grosser szenischer Schlusspunkt….
Idealbesetzung
Olga Kulchynskas bei Mozart geschulter Sopran, erweist sich als Idealbesetzung für den von Ängsten zerrissenen Charakter der Blanche. Ihr warm geführter, in der Höhe aufblühender Sopran kam auch bestens mit dem von Poulenc bisweilen gefordertem Parlando-Stil bestens zurecht. Als Madame de Croissy gab es ein Wiedersehen mit der grossen Wagner-Sängerin Evelyn Herlitzius, die in der Sterbensszene kein Mittel scheute, um die Agonie der alten Priorin glaubhaft zu machen. Mit mächtigem, Ehrfurcht gebietendem Sopran, sang sich die Herlitzius fast die Seele aus dem Leibe und fand angesichts des Todes den Mut, ihre Noten begleitet von Stöhnen und Röcheln auf realistische Weise faszinierend darzustellen. Dagegen führte Alice Coote als machtbewusste Mère Marie, der Anlage ihrer Partie entsprechend, ihren Mezzosopran deutlich kontrollierter, jedoch stets edel und schönstimmig. Das galt auch für den warmen Sopran von Inga Kalna, die eine menschliche und fürsorgliche Madame Lidoine verkörperte. Sandra Hamaoui dagegen sang eine fast liebliche, optimistische Schwester Constance. Rundum ausgezeichnet sangen bei den Herren Thomas Erlank den Chavalier de la Force, den zwielichtigen Bruder Blanches, sowie François Piolino den vom Mob grausam misshandelten Beichtvater des Ordens. In den zahlreichen kleineren Rollen fielen insbesondere die würdevolle Liliana Nikiteanu als Jeanne, Freya Apffelstaedt als Schwester Mathilde und Nicolas Cavallier als hilfloser Marquis de La Force, Blanches Vater auf.
Ausgezeichnet und klangstark hatte Chordirektor Janko Kastelic den vertrackten Chorpart einstudiert, der sich bei dieser Oper häufig aus dem Off präsentiert.
Am Pult der Philharmonia Zürich dirigierte Tito Ceccherini in zügigen, jedoch gefühlvollen Tempi. Dabei erzeugte er aus dem Graben einen warmen, würdevollen und bisweilen feierlichen Klang, wobei er den von Poulenc häufig verwendeten Glocken auf wunderbare Weise Gehör verschaffte.
Am Ende dieses herausragenden Abends spendete das Publikum allen Beteiligten begeisterte Ovationen für eine Vorstellung mit Referenzcharakter. Man kann Opernliebhabern von nah und fern nur empfehlen, die Reise nach Zürich anzutreten.