IDOMENEO
BAYERISCHE STAATSOPER. Wolfgang Amadeus Mozart, Idomeneo, Dramma per musica in drei Akten – 1781. Libretto von Giambattista Varesco.
MÜNCHNER OPERNFESTSPIELEPREMIERE. Montag, 19. Juli 2021, Prinzregententheater.
Idomeneo: Matthew Polenzani; Idamante: Emily D‘Angelo; Ilia: Olga Kulchynska; Elettra: Hanna-Elisabeth Müller; Arbace: Martin Mitterrutzner; Oberpriester Poseidons: Caspar Singh; Die Stimme (Orakel): Callum Thorpe; Bayerisches Staatsorchester; Chor der Bayerischen Staatsoper; Extrachor der Bayerischen Staatsoper; Opernballett der Bayerischen Staatsoper; Musikalische Leitung: Constantinos Carydis; Inszenierung: Antú Romero Nunes
Musik: 4*
Inszenierung: 3,5**
Als letzte Neuinszenierung seiner 13 Jahre dauernden Intendanz präsentierte Nikolaus Bachler zu den Münchner Opernfestspielen eine Neuproduktion von Wolfgang Amadeus Mozarts “Münchner Oper” Idomeneo. Seit ihrer Uraufführung in der Münchner Karneval-Saison 1781 hat Idomeneo an der Isar eine lange, leidvolle Geschichte durchgemacht. Nachdem das Werk erst Mitte des 19. Jahrhunderts in einer deutschen Bearbeitung wieder zu sehen war, setzte sich der Trend der Bearbeitungen auch im 20. Jahrhundert fort.
So stellte u.a. der Komponist Ermanno Wolf-Ferrari dem Münchner Publikum vor dem zweiten Weltkrieg seine Version des Idomeneos zur Diskussion. Auch nach dem Krieg, wurde der Idomeneo immer mit musikalischen Strichen und Eingriffen, -sowie stets in der Wiener Zweitfassung- mit einem Tenor als Idamante gezeigt. Dies war sowohl in Andreas Homokis verunglückter Inszenierung mit massiven Kürzungen und musikalischen Eingriffen im Jahre 1996 der Fall als auch bei Dieter Dorns Neuproduktion 2008 zur feierlichen Wiedereröffnung des Cuvillies-Theater, in dem 1781 die Uraufführung stattgefunden hatte. In der aktuellen Neu-Inszenierung im Prinzregententheater durfte man nun gespannt sein: zum einen sollte der Idamante erstmals seit der Uraufführung – in der der Kastrat Vincenzo del Prato die Partie gesungen hatte – in München wieder mit einer hohen Stimme besetzt werden, zum anderen hatten Dirigent Constantinos Carydis und Regisseur Antu Romero Nunes die Aufführung einer weitgehend kompletten Fassung versprochen. Zudem durfte man sich auf das Bühnenbild der britischen bildenden Künstlerin Phyllida Barlow freuen. Diese hatte ganz im Sinne ihrer “raumgreifenden Skulpturen aus Alltagsmaterialien” vier mächtige Strukturen entworfen, die alle als Gemeinsamkeit einen Bezug zum Meer aufweisen: Ein Felsen, ein Aussichtsposten, ein Wellenbrecher und ein sog. industrielles Bauelement.
Berührende Momente
Diese Skulpturen waren nicht nur äußerst imposant anzusehen, sie bildeten auch einen stimmigen Rahmen für den Fortgang der Opernhandlung, wobei sie durch immer neue Arrangements die Schauplätze der Oper und die Seelenzustände der Protagonisten illustrierten. Der Regisseur zeigt Kreta als einen Ort, in dem eine junge Generation einen utopischen, friedlichen und versöhnlichen Ort geschaffen hat, an dem musiziert und die Architektur der Vergangenheit durch einen gemeinsamen künstlerischen Akt umgeformt wird. Wohl aus diesem Grunde tragen Idamante, Ilia und der Chor bunte Kostüme (Entwurf Victoria Behr), welche an Malerkittel erinnern, jedoch nicht durchgehend kleidsam waren. Idomeneo, der aus dem Krieg zurückkehrt, wirkt da in seinem archaisch anmutenden Königsmantel wie aus einer anderen Zeit. In diesem Ambiente zeigt das Regieteam Mozarts Oper spektakulär und fantasievoll-poetisch, wobei es zu zahlreichen berührenden Momenten kam. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass man während des berühmten Quartetts im dritten Akt, die Musik mehr gewähren lässt und nicht bereits parallel mit dem Umbau zur nächsten Szene beginnt. Auch, dass Idomeneo am Ende bei Bier und Sandwich aus dem Ruhestand den in Hippie-Kostümen gewandeten Tänzern (Choreografie: Dustin Klein) zusieht, hätte so nicht unbedingt sein müssen….
Auch die musikalische Seite des Abends geriet durchweg festspielwürdig: Matthew Polenzani, der den Idomeneo u.a. bereits an der Metropolitan Opera gesungen hat, gibt diese Rolle mit geschmeidigem, weichen Tenor. Die schwierigen Koloraturen seiner zentralen Arie “Fuor del mar”, von Mozart liebevoll als “Nudeln” betitelt und dem damaligen Star-Tenor der Münchner Hofoper Anton Raff auf den Leib komponiert, gelingen ihm virtuos. Gelegentlich hätte ich mir allerdings stimmlich etwas mehr metallisches Timbre gewünscht, um den zerrissenen König und Vater bis ins letzte glaubhaft zu verkörpern. Eine wunderbare Entdeckung war Emily d`Angelo als Idamante. Mit etwas herbem, androgyn klingendem Mezzosopran gestaltete sie einen rundum berührenden Idamante. Zudem schreckte sie auch vor großem körperlichem Einsatz nicht zurück. Grossen Applaus erhielt sie für die im zweiten Akt eingefügte Konzertarie “Non temer amato bene” (KV 505), die Mozart für die konzertante Wiener Aufführung des Idomeneos 1786 neu komponiert hatte. Olga Kulchynska war eine zarte lyrische Ilia, die mit leuchtendem Sopran auf dem “Aussichtspunkt” die berühmten “Zeffiretti” besang, während sich Hannah-Elisabeth Müller bei der Elettra deutlich wohler zu fühlen scheint als bei der Ilia. Ein szenisch, wie musikalisch fulminant vorgetragenes “D’Oreste, d’Ajace” setzte einen großartigen Schlusspunkt unter dieses gelungene Rollendebüt.
Martin Mitterrutzner machte in seinen beiden Arien als Arbace einen hervorragenden Eindruck, sein Tenor wirkte jedoch über weite Strecken zu ähnlich als derjenige von Matthew Polenzani timbriert. Um die Rolle des Oberpriesters glaubwürdig zu verkörpern, blieb Caspar Singh stimmlich dagegen leider zu blass und textunverständlich. Callum Thorpe dagegen war eine mächtige Orakel-Stimme aus dem Off, welche auf ehrfurchtgebietende Weise das lieto fine der Oper einleitete. Durchweg prächtig klang der von Stellario Fagone einstudierte Chor, der auch den schwierigen Doppelchor des ersten Aktes “Numi pieta” bewundernswert bewältigte.
Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters, welches teilweise Originalinstrumente verwendete, dirigierte Constantinos Carydis eine majestätische Ouverture. Das Dirigat machte aus der schwierigen Akustik des Prinzregentheater das Beste und sorgte für eine flotte und kantige Interpretation von Mozarts Partitur. Dass der musikalische Spannungsbogen gerade im zweiten Teil dabei nicht immer gehalten werden konnte, trübte das Vergnügen nur unwesentlich.
Das äußerst diszipliniert FFP2-Maske tragende Publikum zeigte sich am Premierenabend jedenfalls begeistert und feierte das gesamte Idomeneo-Ensemble mit stehenden Ovationen. Ist Mozarts Idomeneo nun endlich in München angekommen?
Klingt interessant. Das erste Foto sieht auch sehr gut aus. Aber die Kostüme finde ich scheußlich.