DON CARLO
„Die fast den ganzen Abend lang gleichbleibende schwarze Guckkastenbühne, stiess einerseits beim mehrheitlich konservativen Stammpublikum auf wenig Gegenliebe, während andererseits eine realistisch dargestellte Prozession während der Autodafé-Szene, mit dem Auftritt von Kindern in goldenen Engelskostümen, für Spott und Hohn beim lokalen Regietheater-freundlichen Feuilleton sorgte.“ OPERA GAZET
DON CARLO
Oper in fünf Akten. Komponist: Giuseppe Verdi. Text von Camille du Locle, nach der italienischen fünfaktigen Fassung von 1886 und der Urfassung von 1867.
Besuchte Vorstellung: 26. September 2022, Nationaltheater München.
Musikalische Leitung: Andrea Battistoni; Bayerisches Staatsorchester; Bayerischer Staatsopernchor; Inszenierung: Jürgen Rose; Chöre: Stellario Fagone; Philipp II. (König von Spanien): Dmitry Belosselskiy; Don Carlos (Infant von Spanien): Stephen Costello; Rodrigo (Marquis de Posa): Igor Golovatenko; Der Großinquisitor: Rafał Siwek; Ein Mönch: Alexander Köpeczi; Elisabeth von Valois: Ana María Martínez; Die Prinzessin Eboli: Clémentine Margaine; Tebaldo (Page Elisabeths): Mirjam Mesak; Der Graf von Lerma: Galeano Salas; Ein königlicher Herold: Galeano Salas; Stimme vom Himmel: Jessica Niles; Flandrische Deputierte: Christian Rieger, Oğulcan Yilmaz, Thomas Mole, Daniel Noyola, Roman Chabaranok, Gabriel Rollinson
Musik: 4****
Inszenierung: 4****
Als Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele 2000 hatte die Bayerische Staatsoper ihre Neuproduktion von Giuseppe Verdis Meisterwerk Don Carlo, in der fünfaktigen italienischen Fassung, herausgebracht. Die Premiere war damals auf geteilte Reaktionen beim Münchner Publikum gestossen. Neben den sehr heterogenen Sängerleistungen der Premierenbesetzung, wurde damals auch die Neuinszenierung des weltberühmten Bühnenbildners Jürgen Rose kritisiert. Einzig die musikalische Leitung des damaligen Generalmusikdirektors Zubin Mehta stiess auf ungeteilte Zustimmung. Vielen im Münchener Publikum war noch Otto Schenks detailverliebte Vorgänger-Inszenierung im Gedächtnis, in der bis in die frühen 90er Jahre die renommiertesten Sänger dieser Zeit (u.a. Nikolai Ghiaurov, José Carreras, Piero Cappuccilli, Katja Ricciarelli, Mirella Freni und Agnes Baltsa) für glanzvolle Opernabende gesorgt hatten. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie bei der Premiere, Roses Konzept von allen Seiten abgestraft wurde. Die fast den ganzen Abend lang gleichbleibende schwarze Guckkastenbühne, stiess einerseits beim mehrheitlich konservativen Stammpublikum auf wenig Gegenliebe, während andererseits eine realistisch dargestellte Prozession während der Autodafé-Szene, mit dem Auftritt von Kindern in goldenen Engelskostümen, für Spott und Hohn beim lokalen Regietheater-freundlichen Feuilleton sorgte. Nun haben sich aber bekanntlich mehr als zwanzig Jahre später die Zeiten – insbesondere in Bezug auf die Opernregie- geändert. Was einst die Gemüter erregte, hat sich angesichts immer weiter ausufernder Regie-Entgleisungen als tragende Säule des Repertoires bewährt – auch wenn diese nur selten dem Publikum präsentiert wird. Das ist geradezu bedauernswert, denn diese Produktion stellt mittlerweile die einzige sehenswerte Verdi-Inszenierung an der Bayrischen Staatsoper dar.
Roses Inszenierung fokussiert sich ganz auf die Musik und die Sänger. Der dunkle Einheitsraum verändert sich dabei vor allem durch Lichteffekte und nur wenige Requisiten. Ein paar Kerzen für die Szenen im Kloster, einige Stühle für die Gartenszene und ein einfaches Bett, in dem der einsame König sein Schicksal beklagt, genügen, um Verdis Musik zu ihrer Geltung zu verhelfen. Auch die von Rose entworfenen Kostüme sind zwar ebenfalls überwiegend dunkel gehalten, jedoch aufwändig gearbeitet und verorten das Geschehen in der Zeit um 1560, als die Inquisition in Spanien jeglichem Andersdenken mit Vernichtung drohte. Da ist es nur konsequent, dass in diesem düsteren Spanien Farben vor allem den Angehörigen des Klerus vorbehalten bleiben, wobei der Regisseur die Brutalität der Inquisition, in der äussert realistisch gezeigten Ketzerverbrennung, schonungslos vor Augen führt.
Rose erzählt die Geschichte verständlich, geradlinig, und ohne jegliche Um-Interpretation. Schön anzusehende und ästhetisch geglückte Momente sind dabei der Aufmarsch des Hofstaats im Fontainebleau-Akt, Ebolis Schleierlied und besonders das hereinstürzende Volk während des Volksauftands, bei dem, wie ein Hoffnungsschimmer, plötzlich ein weisser Hintergrund-Prospekt grell aufleuchtet. Auch die Schlussszene, wenn tatsächlich der Mönch mit Kaiserkrone aus dem Dunkel tritt, um Carlo Libretto-gemäss vor dem Zugriff des Grossinquisitors zu retten, rundet Roses Inszenierung auf gelungene Weise ab. Und doch – trotz all dieser Qualitäten der Inszenierung- ermüdet das Auge des Zuschauers im Verlauf des langen Abends, für den man sich am Ende dann doch etwas mehr optische Abwechslung gewünscht hätte….
Auch in dieser Inszenierung waren während des letzten Jahrzehnts immer wieder Star-Sänger engagiert worden. Zuletzt hatten so an der Bayerischen Staatsoper u.a. Jonas Kaufmann und Anja Harteros als unglückliches Liebespaar die Herzen des Publikums gewonnen. Auch die Produktion gewann vor dem Hintergrund dieser musikalischen Steigerung über die Jahre deutlich an Zuspruch.
So freute man sich auch dieses Mal auf die anstehende Wiederaufnahme, auch wenn nun auf dem Besetzungszettel die ganz grossen Namen fehlten. Das tat der Qualität der Aufführung jedoch keinen Abbruch, man erlebte eine Vorstellung, die wegen ihrer Musikalität und Intensität noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Stephen Costello sang den unglücklichen spanischen Infanten mit Leidenschaft und geschmeidigem, sicheren und in der Höhe strahlendem Tenor.
Dies wurde insbesondere in den zahlreichen Ensembles wie dem Liebesduett «Di qual amor, di quant`ador», dem berühmten Freundschaftsduett «Dio, che nell`alma infondere» oder dem in dramatischer Wucht zugespitzten Terzett «Trema per te» deutlich. Da bedauerte man einmal mehr, dass dieser Titelheld nur eine kurze und relativ undankbare Arie unmittelbar am Beginn der Oper hat. Ana Maria Martinez war als Elisabetta di Valois eine Sopranpartnerin auf Augenhöhe. Die Stimme der sympathischen Sängerin sprach in allen Lagen ausgezeichnet an und überzeugte mit ihrer dunklen klangvollen Färbung und einem schönen Vibrato. Gerade in dem zentralen Quartett «Ah! Sii maledetto sospetto fatal» im vierten Akt, einem absoluten Höhepunkt der Oper, begeisterte sie mit zart fliessenden Bögen.
Umso unverständlicher war daher ein einzelner, aber lauter Buhrufer, der sich am Ende der mit grosser Innigkeit vorgetragenen Vanità-Arie zu Beginn des fünften Aktes zu Wort meldete. Igor Golovatenko überzeugte als Rodrigo mit elegantem, sicher geführtem Verdi-Bariton mit seiner ausgezeichneten italienischen Gesangstechnik und berührte in seiner Sterbensszene zutiefst.
Einen fulminanten Auftritt bot Clémentine Margaine als Prinzessin Eboli. Die Sängerin bot einen farbigen, voluminösen und gleichzeitig stets kontrollierten Mezzosopran, dem sowohl die schwierigen Koloraturen des Schleier-Liedes, als auch die dramatische Wucht des «Oh don fatale» keinerlei Schwierigkeiten bereiteten und mit ihren fast unerschöpflichen stimmlichen Mitteln ein Rollenportrait zeichnete, wie man es bei dieser anspruchsvollen Partie selten erlebt. Dmitry Belosselskyi besitzt für den einsamen König Filippo II. den erforderlichen nachtschwarzen Bass, mit einem etwas knorrigen Timbre, das dem Charakter jedoch durchaus gut bekommt. Auch wenn man manche Phrasen der grossen Szene «Ella giammai m`amò» auch schon etwas kultivierter vorgetragenen gehört hat, gelang es dem ukrainischen Sänger ausgezeichnet, die Einsamkeit und das Misstrauen dieses vielschichtigen Charakters musikalisch berührend zu formen. In der gespenstisch-düsteren Szene mit dem Grossinquisitor lieferte er sich ein aggressives musikalisches Duell mit dem für diese dämonische Rolle fast zu elegant singendem Rafał Siwek. Balsamisch-warm gerieten die ruhig fliessenden Kantilenen des sich später als Karl V. offenbarenden Mönchs, in der herausragenden Interpretation von Alexander Köpeczi. Mirjam Mesak als Page Tebaldo und Galeano Salas in der Doppelrolle des Grafen Lerma und des königlichen Herolds komplettierten das hochkarätige Ensemble, während der glockenhelle Koloratursopran von Jessica Niles den Opfern der Inquisition als Voce dal Cielo aus dem Off mit ihrem tröstlichen musikalischen Thema himmlischen Frieden versprach.
Grossartig hat sich in den letzten Jahren das musikalische Niveau des Chores unter der Leitung von Stellario Fagone entwickelt. Das wurde durch die Genauigkeit und Transparenz in den komplexen Chorszenen der Oper deutlich. Da war das chromatisch anmutende «Inni di festa» im Fontaineblau-Akt ebenso klanglich überwältigend gestaltet, wie der berühmte prächtige Autodafé-Chor «Spuntato ecco il dì», als auch die eruptiven Chor-Einsätze während des Volksaufstandes. Unter der Leitung des jungen Dirigenten Andrea Battistoni klang das Bayerische Staatsorchestsr düster, hart und unerbittlich. Da wurde auch in Verdis schönsten Melodien die Herausarbeitung von Dissonanzen nicht gescheut, was viel Spannung erzeugte und der Partitur gut bekam. Am Ende dieses mitreissenden viereinhalbstündigen Opernabends, feierte das applausfreudige Publikum alle Mitwirkenden geradezu überschwänglich.