Aida von minderwertiger Qualität

Wie abgehoben und dekadent die Kulturbetriebe auch in der Corona-Pandemie agieren wurde einem mit Schrecken bewusst, als man den lange erwarteten Live-Stream der Aida Premiere der Pariser Nationaloper verfolgte. Dabei schüttelte der Rezensent während der Aufführung, obwohl völlig ausgehungert nach Kultur, nur noch ungläubig den Kopf und fragte sich während der Übertragung vor leerem Haus mehrfach, ob keine Oper, nicht besser sei als das, was die Pariser Nationaloper bereits vor Wochen mit viel Tamtam als großes Star-Theater angekündigt hatte. Wieviel Millionen Schulden hatte der scheidende Pariser Intendant Stephane Lissner seinem Nachfolger Alexander Neef hinterlassen, bevor er, um bei Claus Guths La Boheme-Vokabular zu bleiben, nach Neapel zu neuen (Un-)Taten abgespaced war? Waren es 50 Millionen Euro, oder gar nur 40? Hatte Neef es sich nicht auch zum Ziel gemacht, den pünktlich zur Corona-Krise tief in der finanziellen Misere steckenden Opernbetrieb in Paris, der seine Glanzzeiten längst hinter sich gelassen hat, endlich wieder zu Erfolgen zu führen? Das Vertrauen des Publikums nach vielen herben Enttäuschungen der letzten Jahre wieder zurück zu gewinnen?

Aber nein. Es sollte anders kommen. Man engagierte als Regisseurin Lotte de Beer, die frischgebackene künftige Intendantin der Wiener Volksoper. Dass De Beer trotz ihrer “Lehrjahre” bei Personen wie Peter Konwitschny fähig ist, im Einklang mit der Musik zu inszenieren hat sie mehrfach bewiesen, wie z.B. als sie in München vor einigen Jahren auf hervorragende und einfühlsame Weise Puccinis gesamtes Trittico zum Leben zu erweckte.

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Leider entschied sich De Beer jedoch nun für einen anderen Weg. Was sie und ihr Bühnenbilder Christof Hetzer vor leerem Auditorium auf die Bühne der Pariser Oper wuchteten, ging nicht nur inhaltlich völlig an der Musik Giuseppe Verdis genialer Oper Aida und dem großartigen Libretto von Antonio Ghislanzoni vorbei, sondern war von derartiger minderwertiger Qualität, dass man sich fragte, wie um Himmels Willen, ein neuer Intendant, dem das Wasser wirklich bis zum Halse steht, so etwas zulassen konnte. Die im Vorfeld der Online-Premiere  getätigten – und von Opera Gazet bereits kommentierten – sachlich zum Teil völlig falschen Aussagen von Frau de Beer zu lesen wurde man schnell müde.

Die üblichen Themen

Es handle sich um Kolonialismus, Rassismus, Sexismus… Die üblichen Themen eben, welche heute in aller Munde sind. Sinn ergab es während des über dreistündigen Abends kaum einen. Demzufolge befinden wir uns bei Frau De Beer natürlich nicht in einem legendenumwobenen Ägypten zur Zeit der Pharaonen, wie es der eigentliche Schöpfer der Aida-Geschichte, der Archäologe Auguste Mariette, bei seinen Ausgrabungen antiker Stätten im Ägypten des 19. Jahrhunderts im Sinne hatte. Stattdessen befinden wir uns irgendwo in einem völlig wirren Nirgendwo, es wird etwas auf der Bühne gezeigt, bei dem eigentlich nur noch Verdis Musik stört. Jorine van Beeks Kostüme sind dem entsprechend ähnlich wirr, wie das “Konzept” der Frau De Beer. Amneris und Radames tragen Kostüme des 19 Jahrhunderts, der Sekt-schlürfende Chor in seiner Belle-Epoque Robe wirkt fast so kitschig wie der Hofstaat in den alten Kaiserin Sissi-Filmen  – wobei dieser Vergleich eigentlich eine Beleidigung für diese nicht unumstrittene und häufig parodierte Filmserie mit Romy Schneider ist.

Aber damit nicht genug. Frau De Beer hatte sich nämlich auch noch vorgenommen zusätzlich Anthony Mingellas Met-Inszenierung von Madama Butterfly nachzuahmen. So werden Aida und Amonasro über weite Strecken des Abends von einem schwarzgewandeten Puppenspieler in einer Art Theater auf dem Theater Situation gespielt, was der dramatischen Konfrontation zwischen Aida und Amonasro unfreiwillig komische Züge verleiht. Zu Beginn der Oper durfte der in Militär-Uniform gekleidete Radames – gähnend langweilig – die zunächst in der Vitrine eines Museums (hach wie neu!) ausgestellte Puppe der Aida ansingen, welche wohl nicht zufällig entfernt an die Nanas der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle erinnerte.

Kolonialer Fetischist

Radames als kolonialer Fetischist also, der eine Puppe einer echten Frau (Amneris) vorzog. Jedenfalls durfte Sondra Radvanovsky, welche die Aida in schwarzem Hosenanzug sang, nur noch ihre Stimme dieser Puppe leihen, was sich bei der ohnehin schon nicht vorhandenen Personenführung noch als zusätzlich problematisch und stimmungstötend erwies. Eine Tempelszene mit Priestern in Zylinder und Frack, sowie einem Totenschädel- Ritual (Wohl dem Münchner Freischütz abhandengekommen?), einem Hofstaat der Amneris in weissen Unterröcken und eine über-aktionistische sich  platt an Gesellschafts- und Kriegskritik quer durch die Epochen ab arbeitende Triumph-Szene, gehörten zu den zahlreichen Unzulänglichkeiten, die der Zuschauer an diesem Abend ertragen durfte.

Erst am Ende, wenn Radames in düsteren Katakomben voller Skelette eingemauert wird, kam für einen kurzen Moment so etwas wie Atmosphäre auf, die jedoch auch hier durch die Doppelung von Aida mit ihrer Puppe wieder völlig zunichte gemacht wurde. Zu Guter Letzt durfte Fetischist  Radames im Sterben der Puppe seiner Träume noch an die Brüste fassen, während die “richtige Aida” einfach nach hinten abging.

Leider sah es jedoch musikalisch bei dieser Fernsehübertragung nur wenig besser aus. In der Titelrolle stand mit Sondra Radvanovsky eine äußerst erfahrene Aida-Interpretin auf der Bühne. In einem Facebook-Post unmittelbar vor der Premiere hatte sie sich für ihre Teilnahme an dieser Inszenierung fast schon entschuldigt und diese wunderbare Sängerin blieb dann auch mit der Funktion, ihre Stimme einer Puppe leihen zu müssen, deutlich unter ihren Möglichkeiten. Radvanovsky klang matt, belegt und unbeteiligt. Darunter hatte vor allem die grosse Nilarie zu Beginn des dritten Aktes zu leiden. Erst am Ende der Oper gelang es ihr auch musikalisch den Todesengel zu beschwören, welcher das unglückliche Liebespaar von Erde und Tal der Tränen erlösen wird. Ob dieser Todesengel in Amneris vorweggenommen wird, wenn sie am Ende des zweiten Akts im weissen Engelskostüm mit Flügeln (aus dem Beate-Uhse Fetisch-Katalog?) erscheint, bleibt jedoch eines der Geheimnisse der Regisseurin. Obwohl optisch so völlig verunstaltet machte Ksenia Dudnikova das Beste daraus und gab mit robustem technisch einwandfrei geführtem Mezzosopran eine in jeder Hinsicht hervorragende und leidenschaftliche Amneris.

An Leidenschaft mangelte es auch dem steif und wenig präsent agierendem Jonas Kaufmann. Diesen brachte bereits das anspruchsvolle Rezitativ vor “Celeste Aida”  an seine stimmlichen Grenzen. In der anspruchsvollen Arie klang sein gehypter Tenor oft matt und glanzlos, im Duett des dritten Aktes mangelte es ihm an Wärme und Süße, welche diese Rolle eben auch erfordert. Stattdessen klang Kaufmann an diesem Abend häufig in der Intonation gaumig und schien sich mit dem italienischen Libretto bei der Artikulation schwer zu tun. Stimmlich einwandfrei gab Ludovic Tezier den Amnosro, war jedoch ebenfalls dazu degradiert einer Puppe seine Stimme zu leihen. Soloman Howard beeindruckte in mit sonorem Bass als Pharaoh, der Ramfis von Dmitry Belosselsky blieb dagegen weitgehend blass, sodass die sonst vor Spannung berstende Gerichtsszene in ihrer Wirkung verpuffte. Aufhorchen ließ der Koloratursopran von Roberta Mantegna als Sacerdotessa. Während der Chor durchweg strahlend und glanzvoll agierte, gelang es Michele Mariotti am Pult nicht, die von Verdi geforderten Gegensätze zwischen laut, martialisch und leise, zurückgenommen und lyrisch zu betonen. So blieb die Orchesterleistung auch an diesem Abend ein  zusammenhangloser Flickenteppich, der trotz einiger stimmungsvoller Momente zu keinem durchgehenden Spannungsbogen zusammenfand.

Da der Abend vor leerem Haus stattgefunden hatte, kann man sich nur denken, wie das leidenschaftliche Pariser Publikum im Saal reagiert hätte. Indes wird es schwierig werden, sich mit solchen Aufführungen nach dem Ende des Lockdowns, wenn Namen wie Kaufmann oder Radvanovsky abgereist sind, wieder bei einem kenntnisreichen Publikum zurückzumelden. Die Pariser Opera hat trotzihrer hohen Schulden mit dieser Produktion keine nachhaltige Investition getätigt.

Kann jemand beziffern wie viel Geld dieses mal wieder zum Fenster hinausgeworfen wurde?

Marco Ziegler


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Marco Aranowicz

EDITOR-IN-CHIEF

MARCO ARANOWICZ IS BASED IN ZURICH. HE IS GOING TO THE OPERA SINCE THE AGE OF TEN, AND HE LIVES FOR THE GREAT ITALIAN OPERA REPERTORY.

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