Idomeneo in Berlin

IDOMENEO

Idomeneo (KV 366, dazu Ballettmusik KV 367) ist eine Tragédie lyrique (Originalbezeichnung: „Dramma per musica“) in italienischer Sprache und in drei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart auf ein Libretto von Giambattista Varesco. Uraufgeführt wurde sie am 29. Januar 1781 im Münchener Residenztheater.

19-03-2023

MUSIKALISCHE LEITUNG: Simon Rattle; INSZENIERUNG: David McVicar; IDOMENEO: Andrew Staples; IDAMANTE: Magdalena Kožená; ILIA: Anna Prohaska; ELETTRA: Olga Peretyatko; ARBACE: Linard Vrielink; OBERPRIESTER DES NEPTUN: Florian Hoffmann; DIE STIMME: Jan Martiník; KRETERINNEN, TROJANER: Marie Sofie Jacob, Ekaterina Chayka-Rubinstein, Johan Krogius, Friedrich Hamel; STAATSOPERNCHOR; STAATSKAPELLE BERLIN

Music: 3,5*
Regie: 4*


IDOMENEO

Zu einem in jeder Hinsicht schönem, im positiven Sinne gediegenen Opernabend, geriet die Premiere von Wolfgang Amadeus Mozarts 1781 in München uraufgeführter Opera Seria  Idomeneo an der Berliner Staatsoper. Die Neuinszenierung hätte bereits im Frühjahr 2020 über die Bühne gehen sollen, musste jedoch Corona-bedingt verschoben werden.

Schwere Koloraturen

Dabei richtete sich das zentrale Interesse der Aufmerksamkeit auf das Dirigat von Sir Simon Rattle, der am Pult der Berliner Staatskapelle erneut bewies, welch brillantes Dirigentenstück, Mozarts Werk darstellt. Dabei zeigte sich, dass Mozarts reich instrumentierte Musik auch ohne den effekthascherischen Einsatz von Originalinstrumenten bestens funktioniert. Rattle animierte mit gefühlsbetonten, satt klingenden Streichern und festlich einsetzenden Blechbläsern sowie Pauken das Orchester zu Höchstleistungen. Dabei reizte er zum Teil die ganze Bandbreite möglicher Lautstärken gekonnt aus, was sich in einer Spannung widerspiegelte, die den ganzen Abend über anhielt.

Mozart schrieb für den Kreter-König Idomeneo einen Part, der vokal kaum anspruchsvoller sein könnte: die Rolle erfordert in ihrer  grossen Länge das ganze Spektrum an musikalischen Ausdrucksformen, Dramatik und schwerste Koloraturen, die insbesondere in der zentralen Arie “Fuor del mar” gefordert werden. Die größten Tenöre des 20 Jahrhunderts haben die Partie stets als große Herausforderung betrachtet.

Idomeneo
Andrew Staples (Idomeneo), Movement Group. Credits Bernd Uhlig.

Andrew Staples hell timbrierter Tenor verfügt über dieses Spektrum nur bedingt. Sein etwas eindimensional geführter Tenor erweckt über weite Strecken des Abends den Eindruck, die Stimme sitze zu wenig im Körper, wobei der ein oder andere Ton fahl klingt. Dennoch beeindruckt Staple durch seine virtuose Fähigkeit, die schwierigen Koloraturen mit Leichtigkeit zu singen, sein fast schon expressives Darstellungsvermögen vermochte insbesondere in den Rezitativen des dritten Akts zu berühren. Die Partie des Idamante war mit Magdalena Kozena besetzt, die mit warmen makellos geführten Mezzosopran ein rundum berührendes Rollenportrait des kretischen Prinzen und eigentlichen Helden der Oper zu zeichnen, der in seiner Trauer über die Zurückweisung durch seinen Vater auf faszinierende Weise beeindruckte. Als gefangene Prinzessin Ilia fand Anna Prohaska in ihrer todtraurigen einleitenden g-Moll Klage “Padre germani addio” zu berührender Innigkeit, während sie mit warm fliessenden Es-Dur Bögen in “Se il padre perdei” für sich einnehmen konnte, um im dritten Akt auf wunderbare Weise, die lieblichen Zephyr-Winde “Zeffiretti” unter einem stimmungsvollen Rosen-Regen mit zarten Kantilenen beschwor.

Idomeneo
Anna Prohaska (Ilia), Movement Group. Credits Bernd Uhlig.
Idomeneo
Olga Peretyatko (Elettra). Credits Bernd Uhlig.

Wunderbar wie die Stimmen der Kozena und Prohaska zu dem zarten Liebesduett in A-Dur, Mozarts Tonart der Liebe verschmolzen. Olga Peretyatkos volumionös dramatischer Sopran ist der Prinzessin Elettra schon fast entwachsen, das lyrisch angelegte „Idol mio” lag ihr deutlich besser, als die dramatischen Passagen des “Tutte nel cor mi sento” und des “D`Oreste, d`Ajace” am Ende der Oper. Und trotz aller Einwände fanden alle vier Solisten in dem berühmten Quartett “Andro ramingo e solo” auf eine berührende Weise zusammen, die zutiefst zu berühren vermochte und bei dem die Zeit still zu stehen schien! Eine Luxusbesetzung stellte der junge Linard Vrielink als Arbace dar, der mit seinen beiden langen und anspruchsvollen Arien, warm strömendem kultiviertem lyrischen Tenor zu begeistern vermochte, während Florian Hoffmann als autoritärer Oberpriester des Neptun mit markantem  Tenor beeindruckte. Das galt auch für die voluminöse Bass-Stimme von Jan Martinek als Orakel, der mit Ehrfurcht gebietenden Tonfall zu Posaunenklängen das Lieto Fine der Oper einleitete. Ausgezeichnet und klanggewaltig präsentierte der Chor (Einstudierung Martin Wright) das Mozarts Requiem vorwegnehmende “O voto tremendo”, sowie den prächtigen Schlusschor “Scend`Amor”.

Idomeneo
Andrew Staples (Idomeneo). Credits Bernd Uhlig

Regisseur David McVicar steht stets für geschmackvolle und ganz aus der Musik heraus entwickelte Inszenierungen. So enttäuschte er auch dieses Mal nicht. Auf der schlichten geschmackvollen Sandbühne von Vicky Mortimer, mit ihrem sandigen an die griechische Tragödie gemahnenden Boden, entwickelte der Regisseur das Drama unter einem gewaltigen symbolischen drehbaren Totenschädel auf ruhige und bewegende Weise ganz aus der Musik heraus. Da wurde nichts verfremdet oder umgedeutet. Die wunderschönen aufwändig-archaisch anmutenden Kostüme von Gabriele Dalton vereinten dabei archaische, griechische Mythologie mit Elementen der Entstehungszeit  der Oper und asiatisch inspirierten Details und kreierten so eine eigene Welt. Sehr geschmackvoll präsentierte sich auch die klassische Choreographie von Colm Seery. Erst am Ende,  dringt dabei gleissendes Licht auf die Bühne, während Idomeneo selbst von Arbace und dem Volk genötigt in der Versenkung verschwindet. Nach der völlig am Werk vorbei gehenden und einen politischen Skandal auslösenden Produktion vor eineinhalb Jahrzehnten von Hans Neuenfels an der Deutschen Oper Berlin eine wahrlich erfreuliche Entwicklung zurück zu den Ursprüngen!

Fazit: Ein wunderschöner Opernabend, an dessen Ende alle Beteiligten grossen Applaus erhielten, in den auch das Regieteam mit einbezogen wurde, wobei Simon Rattle enthusiastisch gefeiert wurde.

  Marco Aranowicz

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Marco Aranowicz

EDITOR-IN-CHIEF

MARCO ARANOWICZ IS BASED IN ZURICH. HE IS GOING TO THE OPERA SINCE THE AGE OF TEN, AND HE LIVES FOR THE GREAT ITALIAN OPERA REPERTORY.

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Willem
Willem
1 Jahr zuvor

Met veel plezier lees ik de recensies. En de ⭐️ is ook weer vermeld.