NABUCCO in Genf

Nabucco


Musikalische Leitung: Antonino Fogliani; Regie: Christiane Jatahy; Chorleitung : Alan Woodbridge; Nabucco : Nicola Alaimo; Abigaille : Saioa Hernandez; Zaccaria :  Riccardo Zanellato; Ismaele : Davide Giusti; Fenena: Ena Pongrac; Anna : Giulia Bolcato; Abdallo :  Omar Mancini; Il Gran Sacerdote : William Meinert;
Besuchte Vorstellung: 11. Juni 2023, Grand Théâtre de Genève
Muziek: 5*****
Regie: 4****

Der Hauptgrund für unser Online-Magazin Opera Gazet, diese Aufführung im Grand Théâtre de Genève zu besuchen, war das Dirigat von Antonio Fogliani, welcher ein ausgewiesener Spezialist für die italienische Oper im Allgemeinen und für Belcanto Opern im Besonderen ist, was sich auf unzähligen Mitschnitten auf dem Label Naxos überprüfen lässt. Hierbei sei als ein Beispiel unter vielen, auf seine Aufnahme der Semiramide von Gioachino Rossini verwiesen, welche unter den erhältlichen Aufnahmen genannter Oper als die musikalisch ausgereifteste und aussagekräftigste Interpretation und daher leicht als Referenzaufnahme gelten kann.

Was Antonio Fogliani musikalisch aus dem Orchestre de la Suisse Romande, dem Chœur du Grand Théâtre de Genève und dem Solistenensemble herausholte, war ein Genuss sondergleichen. Nachdem man sich daran gewöhnt hatte, geradezu veristische musikalische Interpretationen des Nabucco zu Gehör zu bekommen, war es ohrenöffnend, eine belcantistische Herangehensweise zu hören, was eigentlich nur natürlich ist, angesichts der Tatsache, dass der frühe Verdi aus der weiteren Entwicklung seiner Vorläufer, Bellini und Donizetti, entstanden ist.

Die Inszenierung von Christiane Jatahy, mit dem Bühnenbild von Thomas Walgrave und Marcelo Lipiani und den Kostümen An D’Huys war äusserst reich an kreativen und kunstvollen Einfällen. Eine erste Überraschung erfolgte, als man den Saal des Grand Théâtre de Genève betrat. Man sah sich mit zwei riesigen Spiegeln konfrontiert, einer gegenüber dem Saal und der andere Spiegel schräg unter der Decke hängend. Die beiden Spiegel wurden im Verlauf der Oper immer wieder verschoben, mit grossem Effekt, so dass optisch sehr ästhetische und eindrucksvolle Bilder entstanden, beispielsweise im zweiten Teil, als Abigaille mit einem riesigen Rock gekleidet auf der Bühne stand, es jedoch auf dem vertikal stehenden Spiegel schien, als würde sie inmitten einer riesigen Blume stehen.

Nabucco
Nabucco. ©Carole Parodi

Zu einem anderen Zeitpunkt wurden die Spiegel gänzlich weggeklappt, so dass man die grosse Leere der riesigen Bühne des Grand Théâtre de Genève vor sich hatte, so z.B. zu Beginn der Wahnsinnsszene des Nabucco im 4. Teil, bei welchem Nabucco sein Rezitativ aus der grössten Entfernung bzw. Tiefe der Bühne begann und sich im Laufe seines Rezitativs auf den Bühnenrand bzw. in Richtung des Publikums zu bewegte, um dort seine grosse Arie zu singen.

Eine weitere Überraschung erfolgte, als im langsamen Teil des Eröffnungschors sich im Zuschauerraum Sänger aus den Sitzreihen des Publikums erhoben, so dass man in einem veritablen Klangmeer badete.

Es gab zwei Kameramänner, welche die Sänger aus der nächsten Nähe filmten, was dann auf einer grossen Leinwand im Hintergrund projiziert wurde und ermöglichte, die Regungen und die Emotionen der Sängerinnen wie durch eine Lupe zu sehen.

Das Eindringen in den Tempel in Jerusalem, bzw. der Auftritt Nabuccos gegen Ende des 1. Teils, erfolgte nicht über die Bühne, sondern über den Zuschauerraum, in den die Männer mit Taschenlampen eindrangen.

Aufgrund dieser Vielzahl an sehr wirkungsvollen Momenten, war man äusserst neugierig, wie das Regieteam die Szene im zweiten Teil, als ein Blitzschlag die Krone vom Haupt Nabuccos schlägt, lösen würde. Jedoch war genannte Szene vergleichsweise unspektakulär, so senkte sich lediglich ein Lichtdach von der Decke der Bühne über dem Kopf Nabuccos.

Nabucco
Nabucco. ©Carole Parodi

Obwohl die Inszenierung von der im Libretto vorkommenden Zeitumgebung und Ort losgelöst war, erschien dies dem Libretto gegenüber nicht respektlos, da die Personenführung klar dem Libretto folgte und die Handlung gut nachvollziehbar blieb. Auch der Umstand, dass der Chor und die Solisten kontemporäre Alltagskleidung trugen, war nicht störend, wobei dies teilweise den Eindruck einer sehr gut laufenden Generalprobe ohne Kostüme erweckte. Irritierend war, dass Abigaille im 2. Teil eine Zigarette rauchte, wobei man sich um die Stimme, Luftkapazität und Gesundheit der Sängerin Sorgen machte.

Die Inszenierung war dem Sänger gegenüber respektvoll, schien diese in der Verkörperung ihrer Rollen zu unterstützen und ihnen den nötigen Freiraum zur Gestaltung zu lassen. Man bekam den Eindruck, dass sich alle auf der Bühne wohl fühlten, entspannt und frei agierten, vielleicht mit einer kleinen Ausnahme, nämlich als Zaccaria in seiner ersten Szene während dem Singen für einen kurzen Moment eine bestimmt mehrere Kilo schwere Filmkamera auf den Schultern tragen und hierzu auch laufen musste, was den Gesang für einen kurzen Moment unstet wirken liess und zudem nichts zur Handlung beitrug.

Irritierend war, den Chor am Anfang des 3. Teils nicht singen zu hören, und dass man nach der Einleitung des Orchesters direkt in das Duett von Abigaille und Nabucco überging. Auch der Schluss folgte nicht dem gewohnten Verlauf. So folgte nach der Schlussarie von Abigaille ein stilfremdes, jedoch wirkungsvoll eine mystische Atmosphäre entstehen lassendes «Intermezzo Sinfonico», komponiert, nicht wie zuerst angenommen von Luciano Berio, sondern vom Dirigenten selbst, um schliesslich in einer a Capella Version des «Va Pensiero» zu enden, zu welchem sich der Chor im ganzen Saal auf allen Balkonen der Oper verteilte und welches dermassen klangintensiv war, dass man die aus allen Richtungen kommende Vibration des Chorgesangs am ganzen Körper spürte und man eine Gänsehaut bekam.

Nabucco
Nabucco ©Carole Parodi

Allen Sängern war die Belcanto Erfahrung gemein, was sich auf die musikalische Gestaltung aller Rollen positiv auswirkte. Nicola Alaimo sang die lyrischen Stellen wunderbar phrasierend und anrührend, wobei man sich bei den lauten Stellen etwas mehr Durchschlagskraft wünschte, wobei dasselbe für den Zaccaria von Riccardo Zanellato gelten kann, wobei dessen «Tu sul labbro» sehr innig gelang. Saioa Hernandez hatte keinerlei Mühe die technischen Schwierigkeiten ihrer Rolle zu meistern, musste zu keinem Zeitpunkt schreien oder unter Druck singen, wie man dies bei dieser Rolle so häufig hört, und klang zum Schluss der Oper so, als könne sie noch stundenlang weitersingen. Die Cabaletta gelang ihr besonders gut, wobei sie den Aufstieg zum C’’’ mit dem folgenden Lauf nach unten über zwei Oktaven in einem Atem ausführte, jedoch ohne Triller. Leider wiederholte sie die Cabaletta nicht. Davide Giusti sang einen szenisch und auch klanglich sehr einnehmenden Ismaele mit wohlklingender Stimme und strahlenden Spitzentönen. Ena Pongrac begann ihre grosse Arie im 4. Teil auf einem höheren Ton als üblich, wobei geschmackvolle Variationen folgten. Die weiteren Solisten Giulia Bolcato, Omar Mancini, William Meinert trugen ihren Teil zur sehr gelungenen Vorführung des Nabucco bei.

Das Publikum war begeistert und spendete grosszügig allen Beteiligten Applaus und Bravorufe, insbesondere auch der Regisseurin Christiane Jatahy. Man darf von einem triumphalen Erfolg sprechen.

Christian Jaeger

 

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Christian Jaeger

REVIEWER

Christian Jaeger has a passion for the operas of 19th-century Italian composers, is always amazed at how innovative Gluck and Cherubini sound, and loves repertoire companies.

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