Don Carlos. Oper in fünf Akten von Giuseppe Verdi, Libretto von Joseph Méry, Camille du Locle, nach Friedrich Schiller. Besuchte Vorstellung: Theater Basel, 13. Februar 2022. Rezensent: Marco Aranowicz.
Don Carlos
Musikalische Leitung: Michele Spotti; Elisabeth von Valois: Yolanda Auyanet; Philippe II: Nathan Berg; Don Carlos: Joachim Bäckström; Rodrigue, Marquis von Posa: John Chest; Der Grossinquisitor: Vazgen Gazaryan; Prinzessin Eboli: Kristina Stanek; Ein Mönch: Andrew Murphy; Thibault: Nataliia Kukhar; Stimme vom Himmel: Álfheiður Erla Guðmundsdóttir; Graf von Lerme: Ronan Caillet; Flämische Gesandte: Jasin Rammal-Rykała, Kyu Choi, Félix Le-Gloahec, Andrei Maksimov, Yurii Strakhov, Tan Jiacheng; Chor des Theater Basel; Extrachor des Theater Basel; Sinfonieorchester Basel; Inszenierung: Vincent Huguet.
Musik: 3,5*
Inszenierung: 2*
Die Premiere, der mit Spannung erwarteten Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Don Carlos am Theater Basel, gesungen in der originalen französischen Sprache geriet leider enttäuschend. Das lag neben der nicht zünden wollenden Regie, leider zum Teil auch der musikalischen Interpretation.
Der mittlerweile an der Pariser Oper, sowie den Staatsopern von Berlin und Wien arbeitende Regisseur Vincent Huguet, einem Assistenten von Patrice Chéreau, gab im Programmheft ein äußerst kluges und interessantes Interview, zu Verdis am häufigsten überarbeiteten Werk, wobei er den Fokus auf die historischen Verhältnisse, die Beziehungen der Figuren untereinander, sowie das Verhältnis von König und Großinquisitor legt. Dabei gelang es dem Regisseur jedoch nur teilweise, seine Gedanken überzeugend umzusetzen. Der renommierte Bühnenbildner Richard Peduzzi hatte dafür eine karge, jedoch atmosphärische und ästhetische Szenerie entworfen, in der man diese Oper grundsätzlich gut hätte spielen können und die den Sängern viel Freiraum gegeben hätte. Leider entschied sich der Regisseur jedoch dafür, die Oper auf der Bühne auf pseudo-psychologische Weise aufzubereiten, was zahlreiche störende Ideen und Eingriffe zur Folge hatte.
So begegnen wir bereits zu Beginn des Fontainebleau-Akts Don Carlos und Elisabeth beim Liebesspiel mit anschliessendem Schokoladenfrühstück auf einem eleganten Bett im Wald von Fontainebleau. Wären da nicht Verdis Musik und die entlarvenden Übertitel, würde man glauben, man sitze in einer Aufführung des Rosenkavaliers. Auch im weiteren Verlauf des Abends, passieren immer wieder unnötige und störende Irritationen. So ging in dieser Inszenierung die Rolle von Elisabeths Pagen Thibault, in der sonst stummen Rolle der Gräfin von Aremberg auf. Da Elisabeth diese nach ihrer Verbannung vom Hof, aus Protest auf den Mund geküsst hatte, wurde die Gräfin zur Strafe während des Autodafé-Bildes als Opfer der Inquisition in einem Käfig der Verbrennung zugeführt. Gleichzeitig wurde man jedoch das Gefühl nicht los, dies sei letztlich aus der Sicht der Regie lediglich deshalb geschehen, um Thibaults gesangliche Einwürfe in diesem Bild erhalten zu können, was bei einer bloßen Verbannung der Gräfin Aremberg vom Hofe so nicht möglich gewesen wäre. Auch die Séance, welche Philippe gemeinsam mit Posa und Eboli (!) während seiner grossen Arie, in der der König normalerweise seine Einsamkeit beklagt, zelebrierte, wirkte nicht nur störend, sondern führte Musik und Libretto abermals ad absurdum. Der letzte Akt, welcher in dieser Inszenierung erneut im Wald von Fontainebleau und nicht im Kloster spielte, degradierte zudem die Funktion des Mönchs, sowie dessen Erscheinen am Ende als Karl V. zur Bedeutungslosigkeit. Dies war extrem bedauerlich – hatte Verdi doch in den Jahren 1883/84 bei seiner Umarbeitung der Oper mit der Streichung des Fontainebleau-Akts für die berühmte vieraktige Mailänder Version alles getan, um dieser Figur mehr dramaturgisches Gewicht zu geben. Auch eine immer wieder auftauchende junge Prinzessin, die Tochter von Elisabeth und Carlo oder Philippe (was bewusst offen bleibt), gehörte an diesem Premierenabend zu dem unglücklichen Sammelsurium von Kuriositäten. Letztlich führte der Regisseur in dieser Inszenierung Solisten und Chor, gekleidet in die leider ebenfalls verunglückten, angedeutete Historie und Moderne vereinenden Kostümen von Camille Assaf, eher zurückhaltend an der Bühnenrampe.
Joachim Bäckström verkörperte Verdis unglücklich liebenden Infanten als Antihelden im Lederanzug, was ein wenig an Darstellungen von Prinz Hamlet erinnerte. Zwar besitzt er einen baritonal timbrierten Tenor, blieb jedoch in der Titelpartie insgesamt zu eindimensional. Die stimmliche Süße und Wärme, die diese Partie neben heldischem Aplomb erfordert, blieb der Sänger ebenso schuldig, wie die musikalische Verkörperung der spannenden Wandlung, welche dieser Charakter durchmacht. So gelang dem Tenor zwar seine Auftrittsarie «Fontainebleau! Forêt immense et solitaire» recht gut, im weiteren Verlauf flüchtete sich der Sänger jedoch in ein Dauerforte, das den spanischen Infanten über den Verlauf des langen Abends nur bedingt glaubwürdig erscheinen ließ. Nathan Berg hatte bei dieser Premiere als spanischer König Philippe II. sein Rollendebüt gegeben und bewältigte die Rolle mit markantem nachtschwarzen Bass.
Dort jedoch, wo Verdi diesem einsamen und zerrissenen Charakter einige der bewegendsten Kantilenen geschenkt hat, die je für eine Oper geschrieben wurden, gelingt es dem Sänger musikalisch nicht, den Zuhörer zu berühren oder das Schicksal dieses Monarchen glaubhaft zu machen. Da verfehlte die grosse d-Moll Klage des Königs «Elle ne m`aime pas`», bei der sonst die Zeit still zu stehen scheint, vieles an ihrer sonst so mitreißenden Wirkung. Aufhorchen ließ bei den Herren hingegen der junge John Chest als Marquis de Posa, der mit technisch hervorragend geführtem, weich timbrierten Bariton alle Register zog, um in der vielleicht erhabensten und schönsten Bariton-Rolle aus Verdis Werk zu punkten. Das gelang nicht nur in einer erschütternd vorgetragenen Sterbensszene. In der Rolle der Königin Elisabeth, konnte Yolanda Auyanet gewonnen worden, die die Rolle bereits in der französischen Fassung in Liège gesungen hatte. Auyanet besitzt einen robusten Sopran, der in der Höhe gelegentlich zur Schrille neigt, jedoch in der Lage ist, die so ergreifenden Legati in Elisabeths berühmter Arie zu Beginn des 5. Aktes mit schwebender Leichtigkeit zu singen. Dennoch hat sie ihre Stimme nicht immer unter Kontrolle. So zeigt sich insbesondere in den dramatischen Ensemble-szenen immer wieder ein ausgeprägtes Tremolo, dass die Leistung der sympathischen Sängerin ein wenig schmälert. Kristina Stanek dagegen gelang mit der Prinzessin Eboli – trotz unglücklicher Kostümierung und zahlreichen fragwürdigen Regie-Ideen – ein fulminantes und mitreißendes Rollenportrait, wobei ihr die Koloraturen des Schleierlieds ebenso meisterlich gelangen, wie die dramatischen Ausbrüche einer verzweifelten Frau beim «Oh don fatal». Vazgen Gazaryan präsentierte einen bedrohlichen, und gleichzeitig elegant singenden Grossinquisitor, dessen grosse Szene mit dem König wahrlich durch Mark und Bein ging, während der Auftritt von Andrew Murphy als Mönch leider Regie bedingt, kaum zur Geltung kam. Nataliia Kukhar als Gräfin Aremberg, Ronan Caillet als Graf Lerma und Alfheidur Erla Gudmundsdottir als Stimme vom Himmel rundeten das Solisten Ensemble auf hohem Niveau ab.
Stimmstarker Chor
Ausgezeichnet und stimmstark sang der Chor des Theaters Basel in der Einstudierung von Michael Clark seine ausgedehnten Szenen, sei es als spanischer Hofstaat, Mönche oder rebellierendes Volk und begeisterte mit dem strahlend präsentierten Autodafé-Chor «Ce jour heureux est plein d’allegresse». Leider fiel jedoch ein Teil dieses Chors einem ausgedehnten und willkürlichen Strich, der im Übrigen auch die gesamte Bühnenmusik betraf, zum Opfer.
Im Übrigen war man während der gesamten Aufführung, mit der gewählten Strichfassung nicht so recht glücklich. Da wurde einerseits viel selten gespielte Musik wieder aufgeführt, andererseits zahlreiche dieser Momente nur unvollständig präsentiert. So etwa im Finale des vierten Aktes. Hier gelangt nach Posas Tod nur ein Teil der Szene zwischen Philipp und Carlos zur Aufführung. Das berühmte, den Reiz dieser Szene ausmachende Lacrimosa-Thema, das Verdi auch in seinem Requiem verwendete und in dem der König um seinen ermordeten Vertrauten trauert, wurde leider einfach weggelassen…
Am Pult des Sinfonieorchesters Basel sorgte der junge italienische Dirigent Michele Spotti für eine gefühlvolle und leidenschaftliche Interpretation von Verdis mitreißender Partitur. Da waren die einzelnen Instrumentengruppen hervorragend aufeinander abgestimmt, sodass von den die Oper eröffnenden Jagdhörnern bis hin zum in dieser Fassung leise verklingenden Schlussmusik, ein wunderbarer Spannungsbogen präsentiert wurde.
Trotz der genannten Einschränkungen hatte das Publikum den über vier Stunden dauernden Opernabend sichtlich genossen, und spendete am Ende viel Applaus, der nur von leisen Missfallsbekundungen für die Regie getrübt wurde.
Ich hätte für die Inszenierung nur einen Punkt gegeben. So ein Mist.