RIGOLETTO
Rigoletto von Giuseppe Verdi. Melodramma in drei Akten. 1851. Libretto von Francesco Maria Piave, nach dem Stück Le Roi s’amuse (Der König amüsiert sich) von Victor Hugo. Uraufführung im Teatro La Fenice, Venedig, am 11. März 1851.
Musikalische Leitung: Thomas Wise, Inszenierung: Vincent Huguet, Herzog von Mantua: Pavel Valuzhin, Rigoletto, sein Hofnarr: Nikoloz Lagvilava, Gilda: Regula Mühlemann, Giovanna, Gildas Gesellschafterin: Frauke Willimczik, Graf von Monterone: Andrew Murphy, Graf Ceprano: Sono Yu, Gräfin Ceprano: Camille Sherman, Marullo, ein Kavalier: Kyu Choi, Borsa, ein Höfling: Lulama Taifasi, Sparafucile, ein Mörder: Jasin Rammal-Rykała, Maddalena: Sophie Kidwell, Ein Gerichtsdiener: Kyu Choi, Chor des Theater Basel, Sinfonieorchester Basel
Besuchte Vorstellung: 30. November 2023, Theater Basel
Musik: 4*
Regie: 4*
Der Hauptgrund für Opera Gazet, sich diese 2. Vorstellung der Wiederaufnahme des Rigoletto am Theater Basel anzusehen, war die Gelegenheit, Regula Mühlemann in einer abendfüllenden Oper erleben zu können. Dies kommt in der Schweiz leider viel zu selten vor, da Frau Mühlemann seit einigen Jahren schon an vielen europäischen Bühnen und Konzerthäusern eine gern gesehene und gern gehörte Künstlerin ist. Das Opernhaus, an welchem man Regula Mühlemann bisher in den meisten Rollen hat erleben dürfen, ist wohl die Wiener Staatsoper. Hier verkörperte sie Rollen wie Susanna (Le Nozze di Figaro), Adina (L’elisir d’amore), Blonde (Die Entführung aus dem Serail) und gestaltete auch eine unwiderstehlich komische Adele (Die Fledermaus), was sich auf YouTube überprüfen lässt. Auch möchten wir ihre exemplarische Pamina an den Salzburger Festspielen 2022 nicht unerwähnt lassen. Unter den mittlerweile vielen Videos auf YouTube, welche zu unserem Glück die grosse Kunst Regula Mühlemanns dokumentieren, möchten wir auf ihre wunderbare Darbietung von Mozarts «Exsultate Jubilate», ihre Belcanto-Kunst in Donizettis «Prendi, per me sei libero» (L’elisir d’amore) und auf ihre vollendete, dramatische Deklamation und Erzählkunst in Schuberts Erlkönig (in der effektvollen Orchesterversion von Hector Berlioz, mit dem berückend aufspielenden Bruckner-Orchester Linz und Markus Poschner) hinweisen.
Das Bühnenbild des Basler Rigoletto ist eine Attraktion für sich und schon ausreichend Grund, sich diese Produktion anzusehen. Es wurde vom französischen Star-Innenarchitekten Pierre Yovanovitch, einem Zögling von Pierre Cardin, erschaffen und besticht durch grosse schwungvolle Linien mehrerer konzentrischer Schalen, welche auf raffinierte Weise verschoben werden, um dann für jede Szene einen neuen Raum zu schaffen, beispielsweise den imposanten Festsaal im Palast des Herzogs oder auch die bedrängende Enge in der Schenke Sparafuciles. Potenziert wurde das visuelle Spektakel durch die hervorragende Beleuchtungskunst des Lichtdesigners Cornelius Hunziker. So wurden beispielsweise einzelne Schalen mit verschiedenen Farben beleuchtet oder mit roten Blitzen, wie in der Gewitterszene von Gilda, Maddalena und Sparafucile, was eine sehr beklemmende Stimmung erzeugte. Leider fand im 1. Akt kaum eine Veränderung des Bühnenbilds statt, sprich vom Festsaal des Palasts des Herzogs zum Haus von Rigoletto. So schien es, dass Rigoletto in ähnlichem Luxus lebte wie der Herzog; man fragt sich, wieso man das Bühnenbild der «engen» Schenke Sparafuciles im 3. Akt nicht auch für das Haus Rigolettos im 1. Akt verwendet hat, was mehr Sinn ergeben hätte und auch ein Gefühl der Transition in eine neue Szene erzeugt hätte.
Einheitlicher wäre gewesen, wenn auch die Kostüme von Pierre Yovanovitch erschaffen worden wären, da wir davon ausgehen, dass diese dann den Effekt des Bühnenbilds auf angemessene Weise ergänzt hätten. Die Kostüme von Clémence Pernoud waren einerseits übertrieben verspielt (Kostüme der Festbesucher im Palast des Herzogs), andererseits wirkten sie so, als wären sie von «Uniqlo» (Trainingsanzüge des Herzogs und von Marullo im 2. Akt); bei anderen Kostümen wiederum schien es sich um Geschäftskleidung zu handeln (Giovanna). Sinnlos wirkte der Aufmarsch von Yogakursteilnehmerinnen während der Arie des Herzogs «parmi veder le lagrime» im 2. Akt. Die gefühlsvolle Darbietung Pavel Valuzhins wurde zu einem Soundtrack für die Übungen der zu Unrecht im Mittelpunkt stehenden Yogakursteilnehmerinnen. Auch die ungelenken Tanzbewegungen der Festteilnehmer im 1. Akt zur Musik der (leider ab Band kommenden) Bühnenmusik («Banda») hätte wohl sorgfältiger choreographiert werden müssen, um nicht allzusehr mit dem hochästhetischen Bühnenbild zu kontrastieren, da dies etwas den Eindruck erweckte, dass man die Statisten irgendeines Dorftheaters bemüht hätte. Um die Aufzählung der Entbehrlichkeiten zu komplettieren, sei noch die Statistin während des Quartetts erwähnt, welche sich zeitgleich des Gesangs im Hintergrund aufhielt, sowie der Umstand, dass Gilda während des Quartetts vom Herzog umgarnt wird und sie sich dann sogar umarmen, während Magdalena und Rigoletto daneben am Tisch sitzen, wobei gemäss Libretto eigentlich Gilda das untreue Verhalten des Herzogs heimlich durch ein Fenster beobachten sollte. Sinn machte das soeben Aufgezählte ohne weitere Erläuterungen nicht, wobei in der Einführung leider kein Wort hierüber verloren wurde.
Nun mag es überraschen, dass man die Inszenierung von Vincent Huguet, einem ehemaligen Assistenten von Patrice Chereau, dennoch als gelungen bezeichnen kann, nämlich wegen der sehr sensiblen, differenzierten und sorgfältigen Einstudierung der Hauptrollen, durch welche er es schaffte, Rigoletto und Gilda als vielschichtige Individuen darzustellen, mit ihren liebenswerten, jedoch auch egoistischen Seiten, durch welche beide in der Oper selten erlebte, realistische Konturen erhielten. In der Tat meisterhaft! So brillierte Nikoloz Lagvilava in der Rolle des Rigoletto nicht nur wegen seines sehr schönen Verdi-Baritons, sondern auch durch seine grossartigen schauspielerische Qualitäten, mit einer unter die Haut gehenden Intensität, beispielsweise in seinem grossen Rezitativ oder in seiner grossen Szene im 2. Akt. Regula Mühlemann in der Rolle der Gilda wusste bestens auf die Dynamik von Nikoloz Lagvilava zu reagieren und so entstand zwischen den beiden eine mitreissende, berührende Energie, beispielsweise im grossen Duett im 1. Akt bei der Stelle «Oh quanto dolor! che spremere sì amaro pianto può? Padre, non più, calmatevi». Das Duett der beiden im 2. Akt dürfte wohl als Höhepunkt der Aufführung bezeichnet werden, kulminierend in der atemberaubend vorgetragenen Stretta des «Sì, vendetta, tremenda vendetta», wobei Regula Mühlemann kurz vor Schluss ein glanzvolles Es in den Saal hinaussang.
Bei Frau Mühlemanns grosser Arie, dem «Caro nome», konnte man sich von ihren ausgezeichneten technischen, gestalterischen und schauspielerischen Qualitäten überzeugen. So seien die perfekt ausgeführten Triller, die blitzsauberen Koloraturen, die mühelos gesungenen Legato-Bögen, der scheinbar endlose Atem und die intonationsreinen Intervallsprünge im Mittelteil der Arie genannt, welche Regula Mühlemann über die Bühne tänzelnd und sich im Kreis drehend mit verblüffender Leichtigkeit und Genauigkeit ausführte und dies alles mit ihrer wunderschön perlenden, klaren Stimme. Beeindruckend auch ihre Professionalität, mit welcher sie den Moment überbrückte, als ihr die Worte entfielen bei der Stelle «V’ho ingannato…colpevole fui…L’amai troppo…ora muoio per lui!”, um sich dann schnell wieder zu fangen und in der gewohnt zauberhaften Weise weiterzusingen, als wäre nichts geschehen. Und just zu diesem Zeitpunkt wird man sich auch gewahr, dass es am Theater Basel wohl keinen Souffleur gibt.
Pavel Valuzhin gestaltete die Rolle des Herzogs auf eine seltsame, da nicht unbedingt zur Rolle passende, sympathisch-melancholische Weise, sodass die Gestalt des draufgängerischen, immer frohen Frauenhelden nicht recht rüberkam. Dennoch konnte man sich über eine gesanglich solide Leistung freuen, mit sicheren, beeindruckenden Spitzentönen, beispielsweise ein knalliges hohes Des, zusammen mit Regula Mühlemann, am Schluss des «Addio! speranza ed anima». Seine Cabaletta «Possente amor mi chiama» wurde leider nicht wiederholt und der Schlusston war come scritto.
Jasin Rammal-Rykała als Sparafucile wirkte bei seinem zurückhaltenden Aufritt im 1. Akt etwas brav, sodass das Schurkische an seiner Rolle wenig rüberkam; Er schien jedoch für seinen Auftritt im 3. Akt wie ausgewechselt, mit der richtigen Portion Anrüchigkeit und Machismo, welche diese Rolle benötigt.
Sophie Kidwell war eine äusserst attraktive, erotische Maddalena, welche ihren Auftritt mit ihrer voluminösen, samtig-geschmeidigen und elegant geführten Stimme zu einem starken Moment werden liess. Wir freuen uns schon, Sophie Kidwell in einer Hauptrolle am Theater Basel zu erleben. Der Graf von Monterone, dargestellt durch Andrew Murphy, hätte vielleicht etwas wütender und eindringlicher sein können, aber war doch ganz in Ordnung. Lulama Taifasi in der Rolle des Borsa hatte zwar nur einen kurzen Auftritt, wusste jedoch mit seiner Bühnenpräsenz und seinem komischen Talent einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Frauke Willimczik (Giovanna), Sono Yu (Graf Ceprano), Camille Sherman (Gräfin Ceprano), Kyu Choi (Marullo / Gerichtsdiener) komplettierten das Ensemble.
Der Chor des Theater Basel unter der Leitung von Michael Clark sang kraftvoll-engagiert, wobei das «Zitti, ziiti» präzis und mit viel Dynamik vorgetragen wurde.
Eher uninspiriert und tempomässig äusserst angetrieben war im 1. Akt das Dirigat von Thomas Wise, sodass die Sänger dem Orchester geradezu «hinterherrennen» mussten, beispielsweise im «Questa o quella» des Herzogs oder zu Beginn des grossen Duetts von Rigoletto in Gilda «Figlia! Mio padre!». Nach der Pause hatte sich dies stark gebessert, sodass vermutet werden könnte, dass die Sänger ihm dies zurückgemeldet haben. Das Symphonieorchester Basel spielte trotz aller Schnelligkeit stets mit grösster Präzision und Präsenz und dessen klangliche Wucht in der Sturmszene war besonders fesselnd.
Das Basler Publikum am besagten Abend schien etwas müde und mässig reaktiv, sodass der Applaus jeweils mit einer gewissen Latenzzeit gespendet wurde, doch gewann man beim Schlussapplaus den Eindruck, dass der Rigoletto dem Publikum gefallen hat, wobei durchaus mehr Bravorufe hätten fallen dürfen.
Zusammenfassend verliess man die Oper mit einem zufriedenen Gefühl und dem Eindruck, dass man doch einige der Regiesubtilitäten Vincent Huguets erneut erkunden möchte, sprich, dass man durchaus Lust hätte, diesen Rigoletto erneut zu sehen, was wohl für diese Produktion spricht.
Christian Jaeger