Der Freischütz in Köln

Der Freischütz von Carl Maria von Weber.  op. 77 JV 277. Romantische Oper in drei Akten. Libretto von Johann Friedrich Kind. Kölner Philharmonie, 2 Mai 2022. Konzertante Aufführung.
Yannick Debus – Bass; Matthias Winckhler – Bass; Polina Pastirchak – Sopran; Katharina Ruckgaber – Sopran; Dimitry Ivashchenko – Bass; Magnus Staveland – Tenor; Torben Jürgens – Bass; Max Urlacher – Speaker; Zürcher Sing-Akademie; Sebastian Breuing – Einstudierung; Freiburger Barockorchester; René Jacobs – Dirigent
Musik: 5*
Drama: 3*
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Der Freischütz in der Kölner Philharmonie

 Selbstverständlich gibt es den Teufel

Keine Kölner Opernspielzeit ohne Carl Maria von Webers Freischütz. Das galt nach der Erstaufführung am 4. November 1822 durchgehend bis zum Zweiten Weltkrieg. So erinnert sich Starbariton Josef Metternich an das „belebte Wolfsschluchtgestein“ einer Inszenierung von Walter Felsenstein im alten Kölner Opernhaus am Habsburgerring. Und wir dürfen uns bis heute erfreuen am auf Schellack überlieferten Agathen-Jubelton von Kölns Primadonna Elsa Oehme-Förster. Eine Kölner Gesamtaufnahme aus der Nachkriegszeit unter Erich Kleiber mit Elisabeth Grümmer, Rita Streich, Hans Hopf zählt bis heute zu den beliebtesten Einspielungen. Im Repertoire der Kölner Oper ist das Werk allerdings nach einer völlig missglückten Produktion seit 2014 nicht mehr vertreten. Umso mehr Freude, Dankbarkeit und Jubel für die konzertante oder sagen wir semiszenische Aufführung unter René Jacobs in der Kölner Philharmonie am 2. Mai 2022.

Die unermessliche Tiefe des Waldes

Im Trio der deutschen Waldopern steht Der Freischütz geschichtlich an erster Stelle. Richard Wagner, der 1872 in Köln die Freischütz-Ouvertüre unterbricht, um dem Orchester zu erklären, wie man es richtig mache, wird vier Jahre später im 2. Akt seines Siegfried zu ähnlichen Klanggemälden wie Weber finden. Doch erst Humperdinck schafft es in Hänsel und Gretel und Königskinder dieses verschleierte und rätselhafte Rauschen, diese unermessliche Tiefe des Waldes und diesen religiös anmutenden Frieden erneut durchgängig heraufzubeschwören.

Weber wird kein zweiter Wurf wie der Freischütz gelingen. Seine Euryanthe, sein Oberon sind zweifelsohne großartige Werke, mit letzterem wurde übrigens der Nachkriegsbau der Kölner Oper eingeweiht, doch dieses, nennen wir es „seelische Erschauern“ wird nur beim Freischütz derart großzügig und beglückend geschenkt: Kaum erklingt die Adagio Einleitung der Ouvertüre, umfängt einen das Goethesche „Gott in der Natur“, Baudelaires „Die Natur ist ein Tempel“. Umso mehr, wenn René Jacobs das Freiburger Barockorchester derart einfühlsam dirigiert. Die Themen und Melodien klingen bekannt und doch wieder – wie bei jeder Jacobs-Interpretation – komplett neu. Jacobs lädt ein, die uns bekannte, säkularisierte Welt zu verlassen und man folgt ihm freudig, reist in eine Welt, die einerseits noch voller Rätsel und andererseits voller Gewissheiten ist: Selbstverständlich gibt es den Teufel, gibt es Dämonen und den Schutz mittels Weihwasser gegen deren Tücken. In diesem Kontext sind die von Johann August Apel verschriftlichte Sage vom Freischützen, Friedrich Kinds Libretto vom „tugendhaften Max“, der sich der Hilfe finsterer Mächte bedient um „Agathe, das wunderliche Mädchen“ zu gewinnen und dank eines heiligmäßigen Eremiten knapp an der Katastrophe vorbeischrammt, absolut glaubwürdig, berührend und kathartisch.

Der Freischütz
René Jacobs ©Philippe Matsas

Jacobs versöhnt Kind und Weber

René Jacobs nimmt die Geschichte ernst, er schreibt nichts um, er streicht nichts – wie es jüngst auf der Kölner Einspielung unter Bruno Weil passiert ist. Im Gegenteil. Kreativ und unaufdringlich untermalt er den von Weber, auf Rat seiner Gattin und zum Kummer des Librettisten gestrichenen und damit nicht komponierten Prolog des Eremiten mit Motiven aus Musik-Nr. 2 und dem Finale. Folgerichtig wertet er auch die Figur des Dämons Samiel auf. Unter Verwendung von Apels Ursprungstext lässt er ihn wie einen selbstverliebten Regisseur das Geschehen zynisch kommentieren und rezensieren, boshaft über Unschuld und Religion kichern und entlarvt zugleich dessen kriecherische Angst davor, seinem eigenen Anspruch bzw. dem des Teufels nicht gerecht zu werden.

Großartig, mit welcher Präsenz Max Urlacher bereits vor dem ersten Klingelzeichen in das Auditorium stiert, wie er das eintrudelnde Publikum kalt fixiert, wie er während der gesamten Aufführung mit belegter Stimme röchelt, kreischt, hohnlacht und dabei noch über den Boden kriecht. Ein echter Abgesandter der Hölle, ein Wiedergänger, der Abgründe öffnet und einen das Gruseln lehrt.

Dem ihm verschriebenen Kaspar von Dimitry Ivashchenko gelingt es – und das geschieht selten in der Aufführungspraxis – unser Mitleid zu wecken. Ivashchenko zeichnet den Söldner und Kriegsverbrecher nicht als klischeehaften Bösewicht, sondern als gebrochenen Menschen, der sich wohl letztlich dem Bösen zugewandt hat, um selbst im 30-jährigen Krieg zu überleben. Er und Urlacher ergänzen sich in Interpretation und Ausdruck vortrefflich als voneinander abhängiges Duo und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie den an Gott zweifelnden Max zu Fall bringen.

Der Freischütz
Dimitry Ivashchenko Foto Cyril Cosson ©Dimitry Ivashchenko - Cyril Cosson
Der Freischütz
Yannick Debus ©TACT Internationaal Art Management

Magnus Staveland bringt die Ängste Maxens, seine düsteren beinahe self fullfilling prophecies in aller Tragik rüber. Sein „Durch die Wälder, durch die Auen“ ist voller Wehmut ob des verlorenen Glücks und seine Reue vor dem Landesfürsten über die Fehlentscheidung voller Zerknirschung. Überhaupt, der Landesfürst: Christian Immler bleibt im Programmheft ungenannt und verdient es nicht nur deswegen, hier umso mehr hervorgehoben zu werden. Er gibt uns nach all den, seit der 1985er Wiedereröffnungsproduktion der Semperoper, schon obligatorisch als dekadent und borniert gezeichneten Adelsgewächsen, endlich noch mal einen Ottokar, der beim Volk beliebt ist. Wenn er entschlossen „So eile, mein Gebiet zu meiden“ schmettert und kurz darauf eben jenen Befehl zurücknimmt und sich uneitel der Autorität des Eremiten beugt, dann versteht man auch warum.

Glaubwürdigkeit

Torben Jürgens als Eremit hat es schwer. Wie so oft, wirken die Guten im Vergleich zu den Bösen fade. Da braucht es schon sehr viel an Beseeltheit, um diese Klippe zu umschiffen. Im Prolog merkt man Distanz zu der Rolle. Im Finale dagegen umso mehr Glaubwürdigkeit. Polina Pastirchak hat als Agathe dieselben Schwierigkeiten zu meistern: Glaubwürdigkeit ist das A und O für diese Rolle. Umso mehr als die legendäre Elisabeth Grümmer eine wahre Inkarnation der Agathe war. Stets aufs Neue ist man beim Hören ergriffen von dieser Seele, die ihre „fromme Weise“ hin „zum Sternenkreise“ singt. Pastirchak gelingen mit ihrem klangschönen Sopran sehr oft ähnliche Klangwunder. Ihre Atemtechnik ist ähnlich transparent, die Konsonanten ähnlich flüssig, das Legato unschuldig und rein. „Leise, leise, fromme Weise“ hatte in der Lauterkeit viel von Grümmer und man hätte den Schnarcher im Block C am liebsten so gar nicht leise und fromm vor die Philharmonietüre gesetzt.

Doch so glaubwürdig Pastirchak gesanglich klingt, in den Dialogen vollzieht sich das Glaubenswunder nicht. Gerade, weil sich das Frauenbild derart gewandelt hat, braucht es dann doch die alte Sprechkunst um solche leidensfähigen Charaktere wie Agathe mit Leben zu erfüllen. Das Gleiche gilt für die Figur des Ännchen, die zwar schon emanzipierte Züge zeigt, aber in ihrer kokett-mädchenhaften Art auch schnell als nicht mehr zeitgemäß abgetan wird. Katharina Ruckgaber betonte das Verspielte und Schelmische der Rolle, aber auch sie war in den Dialogen eine Frau von heute.

Großartig bei Stimme waren Yannick Debus als spöttischer Schützenkönig Kilian und Matthias Winckhler als Agathes vielleicht etwas zu jugendlicher Vater Kuno. Ihm erfindet Jacobs ein archaisch anmutendes Strophenlied hinzu. Basierend auf Schuberts Trinklied aus dem Singspiel „Des Teufels Lustschloss“ darf Kuno nun, wie es der Librettist geplant hatte, gesanglich die Legende vom Probeschuss vortragen und muss sich nicht mehr in einem langen Monolog ergehen, der meist eh gestrichen wird. Der Chor fiel entsprechend begeistert ein. Die Zürcher Sing-Akademie kann nicht genug gelobt werden für ihre punktgenauen Einsätze, für ihre Spielfreude und das ohne ironische Brechung vorgetragene Jägerlied.

Der Freischütz
Freiburger Barockorchester ©Annelies van der Vegt

Zeit ist reif für eine szenische Erneuerung

Christa Ludwig hat einmal gesagt, den Freischütz solle man nur noch konzertant geben. Nun, diese semiszenische Aufführung mit ihren zusammengesuchten Kleidungsstücken hätte es mehr als verdient, komplett in Szene zu gehen. Jacobs hat den Freischütz wie ein Hörspiel aufbereitet. Doch umso mehr bedauert man die optischen Spirenzchen: Eine Pistole für den ersten Schuss, pantomimisches Hämmern, ein Kölsch für Max… Lustig und störend zugleich. Dieser Freischütz verdient ein optisch gleichwertiges Pendant.

Christoph Molitor

Der Freischütz
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