Die Zauberflöte in Köln

Die Zauberflöten-Inflation in Köln

In einem Zeitraum von über 220 Jahren wurde Mozarts Zauberflöte 15 mal neuinszeniert in der Domstadt. Das scheint auf den ersten Blick nicht besonders viel, wenn man aber sieht, dass allein fünf davon in die letzten 20 Jahre fallen, dann wundert einen das schon.

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Die Zauberflöte. Musik von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791). Eine deutsche Oper in zwei Aufzügen. Libretto von Emanuel Schikaneder. Szenische Einrichtung nach einer Konzeption von Michael Hampe in deutscher Sprache. Uraufführung 30. September 1791, Freihaus-Theater auf der Wieden, Wien. Besuchte Vorstellung: 18. Oktober 2020. Oper Köln.

Pamina: Aoife Miskelly
Tamino: Martin Piskorski
Die Königin der Nacht: Antonina Vesenina
1. Dame: Claudia Rohrbach
2. Dame: Regina Richter 
3. Dame: Judith Thielsen
Papageno: Matthias Hoffmann
Papagena: Maike Raschke 
Sarastro: Lucas Singer 
Sprecher und 1. Priester: Stefan Hadžić 
Monostatos: Ján Rusko 
2. Priester: Martin Koch
1. Geharnischter: Young Woo Kim
2. Geharnischter: Sung Jun Cho
Drei Knaben: Solisten des Knabenchores der Chorakademie Dortmund
Chor: Chor der Oper Köln

Musikalische Leitung: Christoph Gedschold
Orchester: Gürzenich-Orchester Köln

Szenische Einrichtung: Michael Hampe

 

Musik: [star rating=“4″]
Regie: [star rating=“5″]

Ein kleiner Exkurs in Kölner Zauberflötengeschichte

Kölns erstes Theater in der ehemaligen Schmier-, heute Komödienstraße, wurde wechselnd von Wandertruppen bespielt. Es ist nicht mehr nachzuweisen, ob die Kölner Erstaufführung der Zauberflöte am 23. April 1794 oder am 29. April 1796 stattfand. Obwohl für das erstgenannte Datum angekündigt, lassen sich keine Premierenberichte finden. Es ist wohl davon auszugehen, dass auf Grund des Einmarschs französischer Truppen keine Premiere stattgefunden hat. Fest steht, dass das Theater in diesen Spielzeiten von der emsigen Böhm’schen Truppe gepachtet war und die Zauberflöte ab 1796 fest im Kölner Repertoire – auch anderer Truppen – verankert ist.

1828 wird das baufällige Theater abgerissen und innerhalb eines Jahres ein klassizistischer Bau auf demselben Grundstück errichtet. Der brennt im Jahr 1869 „während der Vorbereitungen zu einer glänzenden Neuinszenierung der Zauberflöte“ (Herman Kipper, „Festschrift zur Eröffnung“, 1902) ab. In der Glockengasse entsteht ein neues Stadttheater. Erbaut von Julius Raschdorff in prachtvoller Neo-Renaissance, wird es 1872 eröffnet und markiert den Start der ersten wirklichen Blütezeit des Kölner Theaters. Die Zauberflöte ist ab der ersten Saison im Repertoire. Unter der Intendanz von Julius Hoffmann wird ab 1881 dann ein Mozart-Zyklus erarbeitet und die Zauberflöte mit Dekorationen aus Wiener Ateliers neu einstudiert.

Mit der Eröffnung des Opernhauses am Habsburgerring wird 1902 das Theater in der Glockengasse zum reinen Schauspielhaus und die Kölner kommen in den Genuss einer neuen Zauberflöte. Die Bühnentechnik von Rosenberg war damals die beste in ganz Deutschland und wurde ausgiebig genutzt: Das Flugwerk schwebte, die Schlange ringelte sich und die Feuer- und Wasserprobe erzeugte mittels einer Dampfmaschinerie prächtiges Illusionstheater. 1923 gab es dann eine neue Produktion, die das ägyptische Dekor stilisierte. Und eine dritte im Jahre 1931, die mit Projektionen arbeitete. Ein paar Namen dieser drei Inszenierungen seien genannt: Wanda Achsel, Claire Dux und Elsa Oehme-Foerster als Pamina, Peter Anders und Helge Rosvaenge als Tamino, Klemperer am Pult.

Zauberflöte
©Paul Leclaire

 Nach der Kriegsbeschädigung des Opernhauses im Jahre 1944 dient die Aula der Universität bis 1957 als Spielstätte und bietet bereits 1946 eine neue Zauberflöte. Die erste Zauberflöte im neuen Opernhaus am Offenbachplatz ist dann Chefsache: Im Eröffnungsjahr 1957 inszeniert Intendant Herbert Maisch im klassischen Bühnenbild von Lois Egg märchenhaftes mit Elisabeth Grümmer, Erika Köth und Anton Dermota. Rezensenten und Publikum sind begeistert von dem Theaterzauber, der sich da entfaltete und somit nahtlos an die werktreuen drei Produktionen im alten Kölner Opernhaus anknüpft. 1967 gibt es eine Neuinszenierung von Ladislav Stros unter Kertész. Kein Erfolg. Fünf Jahre später ist sie bereits Geschichte und einer neuen Interpretation unter Jean-Pierre Ponnelle gewichen. Wieder mit Kertész am Pult.

Die Ponnelle-Inszenierung kommt anfangs nicht sonderlich gut bei den Kölnern an. Kritisiert wird das für damalige Verhältnisse nüchterne Dekor. Mit der Zeit entwickelt sich diese Produktion aber zu einem Publikumsliebling in Kölns 2. Mozart-Zyklus. Dieser wird unter dem neuen Intendanten Günter Krämer 1995 entsorgt. Was kommt, das ist eine ideologisch verkniffene Zauberflöte, inszeniert von Andreas Homoki in langweilig schräg gestellten Wänden.

Zauberflöte
©Paul Leclaire

Im Jahre 2008 sorgt dann Peer Boysen mit merkwürdigen Parallelbesetzungen im Spiel – trotz fantasievoller Kostüme – für heftige Buhrufe zur Premiere. Die Inszenierung verschwindet noch schneller in der Versenkung als ihre Vorgängerin. Im Jahr 2010 beginnt die bis heute anhaltende Sanierung des Opernhauses und damit gibt es auch wieder eine neue Zauberflöte: in der Aula der Universität. Jener Interimsspielstätte aus der Nachkriegszeit. Die Kritik legt sie dem Publikum ans Herz, auch wenn sie nicht aufsehenerregend wäre. Vor allem die Kostüme von Susanne Füller werden bemängelt. Für Aufsehen sorgte die Pamina von Mojca Erdmann, die inzwischen in Wien, Salzburg und Mailand brilliert.

2014 spielt man im Musical Dome bereits eine neue bzw. eine aus Straßburg übernommene Zauberflöte von Mariame Clément.  Und der Rezensent Christoph Zimmermann befindet angesichts der immer kürzer werdenden Abstände zwischen den Neuproduktionen ganz richtig: „Mit Mozarts Zauberflöte läuft es nicht so gut in Köln.“ Er lehnt auch diese Version als misslungen ab. Das Kölner Publikum hat ebenfalls herzlich wenig Freude an dem abgestürzten Flugzeug im Grasmeer.


Alles auf Anfang: Hampe übernimmt

Zauberflöte, Hänsel und Gretel, Carmen, Tosca und Bohème sind Dauerbrenner und garantierten für lange Zeit selbst in den merkwürdigsten Produktionen ein volles Haus. Offensichtlich hat sich das geändert. Eingedenk dessen setzt Kölns Intendantin Meyer jetzt auf einen ihrer Vorgänger: Michael Hampe, der die Geschicke der Kölner Oper von 1975 bis 1995 höchst erfolgreich geleitet hatte. Unter ihm war die Kölner Oper zeitweise zum best besuchtesten Haus in Deutschland aufgestiegen. Eine Blütezeit, wie es sie so durchgängig in Köln nur von 1881 bis 1903 unter Julius Hofmann und von 1911 bis 1928 unter der Intendanz von Fritz Rémond gegeben hatte.

Der 85-jährige Hampe steht den Liebhabern klassischer Inszenierungen für solides, weitgehend werktreues Theater, den Anhängern des Regietheaters für gepflegte Langeweile. Genug Grund, mich auf den Besuch zu freuen. Und ein Blick auf die Szenenfotos mit Palmenwäldern, Sternenhimmel und Feuersbrunst steigert die Vorfreude zusätzlich. Zu verdanken ist dieser der Kölner Bühne lange abhold gebliebene Naturalismus dem Bühnen- und Kostümbildner German Droghetti. Und ihm ist auch die Produktion gewidmet: Droghetti starb am 16. Juni mit 62 Jahren an den Folgen der Pandemie.

Glaubwürdig

Während seiner Intendanz ließ es sich Hampe nicht nehmen, als Erzähler der Zauberflöte in einer von ihm adaptierten Version für Kinder aufzutreten.  Aus der Corona-Not eine Tugend machend, fungiert nun hier der 2. Priester als Erzähler, was bei anderen Rezensenten überhaupt nicht ankommt, vom Publikum aber dankend angenommen wird. „Ich habe zum ersten Mal verstanden, dass Sarastro ein Freund von Paminas Vater war“, hörte ich es hinter mir flüstern.  Martin Koch spricht angenehm verständlich. Wohl-timbriert und besser betonend als so mancher Hörbucheinsprecher. Man lauscht ihm gerne. Zumal die Texte nicht launig modernisiert sind – wie es ganz schrecklich 2011 beim Humperdinck’schen Dornröschen in München der Fall war – sondern im Sprachstil überwiegend dem Schikaneder-Libretto angepasst.

Überhaupt gebührt dem gesamten Ensemble ein großes Lob für die glaubwürdig deklamierten Texte. Eine große Spielfreude kommt da über die Rampe, wie ich sie lange bei keiner Zauberflöte mehr erleben durfte. So können auch die politisch heute inkorrekten Passagen durch bewusste Wortdehnungen, Pathos und Pausen richtig eingeordnet werden.

Edler Klang

Musiziert wird auf hohem Niveau: Das Gürzenich-Orchester spielt unter Christoph Gedschold eine edel klingende Zauberflöte, ohne Angst vor Pathos. Die Sängerinnen und Sänger danken es ihm: Einhergehend mit Hampes Personenregie und Droghettis Kostümen dürfen Pamina und Tamino auch klanglich ihre blaublütige Abstammung bei würdevollen Tempi unter Beweis stellen. Martin Piskorski ist mit beherrscht zurückhaltender Gestik ein Tamino wie aus dem Adelslexikon. Er macht die piefigen Viskose-Varianten der zwei Vorgängerinszenierungen vergessen und rückt damit die Kritik des Sprechers, einen Prinzen aufzunehmen, wieder in den richtigen Zusammenhang. Indisponiert hatte Piskorski am Aufführungstag manchmal Probleme mit der Höhe. Dass er die Rolle dennoch deckend beherrscht, bewies er nicht zuletzt 2016 an der Mailänder Scala, wo er international auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Aiofè Miskelly ist eine mädchenhafte Pamina, deren „Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden“ an die Nieren geht. Erster Liebeskummer ist eben etwas, was man nie vergisst. Dass Miskelly es schafft, in den folgenden Szenen die Pamina gereifter zu zeichnen, ist anrührend und folgerichtig wird sie zum Schluss in den an sich frauenfeindlichen Kreis der Eingeweihten aufgenommen. Ja mehr noch, ihr und Tamino wird das Macht-und Gerechtigkeitssymbol des Sonnenkreises übergeben. Sarastro – obwohl mit Lucas Singer noch jung an Jahren – dankt in Hampes Inszenierung ab. Singer wünscht man sich als Gegenpol zur machtgierigen Königin der Nacht von Antonia Vesenina etwas stimmgewaltiger. Die dreht nach anfänglicher Unsicherheit auf dem Silbermond nämlich derart auf, dass jede Koloratur einem abgeschossenen Giftpfeil gleichkommt.

Zauberflöte
©Paul Leclaire

Der Papageno von Matthias Hoffmann gewinnt im Lauf der Vorstellung zusehends an Sicherheit. Auch er noch jung an Jahren und mit Freude bei der Sache. Wie er dem sich selbständig drehenden Glockenspiel ein „Halt’s Maul“ entgegenbrummt und beschwipst ein „Mädchen oder Weibchen“ herbeisehnt, das hat Charme und ist fernab jeder Peinlichkeit. Seine Papagena hat ebenfalls sichtlich Spaß an ihrer Charade als alte Vettel und lohnt ihm die Treue mit zuckersüßem, wenn auch etwas leisem, Sopran. Etwas mehr an Bedrohlichkeit in der Stimme hätte man sich von Ján Rusko als Monostatos gewünscht.

Gänzlich aus dem Ensemble besetzt sind die drei Damen: Claudia Rohrbach, Regina Richter und Judith Thielsen singen als liebeshungrige Amazonen wie aus einem Guss. Ensembletheater hat eben seine Vorteile. Das dachte man auch bei den beiden Geharnischten von Young Woo Kim und Sung Jun Cho, die von hohem Felsen warnen. Bei soviel homogener Dunkelheit in der Stimme, fragt man sich, wie viele Prüflinge die beiden schon verbrennen oder ertrinken sehen mussten.

Ganz hervorragend die namentlich nicht genannten drei Knaben, Solisten des Knabenchores der Chorakademie Dortmund. Ebenfalls völlig im Einklang sind sie die Publikumslieblinge. Der perfekt eingestimmte Chor singt coronabedingt vom Band, was einem aber gar nicht auffällt, wenn man es nicht wüsste.

Zauberflöte
©Paul Leclaire

Krachbunte Fantasywelten

Dass mit Hampe ein Altmeister inszeniert, merkt man durchgehend. Ebenso, dass ihm die Zauberflöte eine Herzensangelegenheit ist, die er einem jungen Publikum nahebringen möchte. Absolut konsequent zeichnet er die Figuren und ihre Konstellationen so, wie es sich Mozart und Schikaneder gedacht haben. Er versteht es ebenso Spannung aufzubauen als auch der Komik Tribut zu zollen. Hampe erzählt keine neue Zauberflöte. Wozu auch? Das Stück funktioniert so, wie es ist und das Publikum es liebt und angesichts der vielen jungen Besucher zukünftig wohl auch lieben wird. Sein Ausstatter Droghetti bebildert ihm das mit einem psychodelischen Farbenrausch: Dank der Adaption von Darko Petrovic und der Videoinstellationen von Thomas Reimer funkeln die Sterne, wandert der Mond und vertreiben die Sonnenstrahlen gleißend das Dunkel der Nacht. Arg bunt ist das Ganze schon manchmal und fügt sich auch nicht immer nahtlos mit den gebauten Elementen zur Einheit. Man fühlt sich an Lara Croft erinnert, wenn da der Sonnenkreis in gläserner Pyramide strahlt. Und die praktikablen Tempelchen mit vergoldeten Profilleisten ziehen im Vergleich mit Schinkel’scher Aufführungstradition leider den Kürzeren. Die Kostüme beweisen da mehr Stilsicherheit und Eleganz. Vor allem das durch und durch bedrohlich schwarze Gewand des Monostatos, der selbstverständlich ohne Blackfacing auftritt, dafür aber eine schwarze Maske trägt. Verblüffend der Effekt, wenn er dieselbe abnimmt und um Paminas Liebe buhlt.

Und die Tierwelt? So wie die Videoinstallationen an das Musical Anastasia erinnern, so denkt man bei flatternden Vögeln, kriechendem Krokodil und stampfenden Nashorn an König der Löwen. Den Raptor hätte es jetzt nicht unbedingt gebraucht. Aber die Kinder freut es. Also Fazit: Diese Zauberflöte dürfte endlich wieder länger im Repertoire der Kölner Oper verbleiben und dasselbe mit dem so zur Verfügung stehenden Geld um Stücke bereichert werden, die ewigst nicht in Köln gegeben wurden: Königskinder, Schwanda, Afrikanerin oder Königin von Saba zum Beispiel.

Christoph G. Molitor


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