WAGNER IN ZÜRICH
Fünf Stunden voller Begeisterung
Richard Wagner (1813-1883). Erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen. Libretto von Richard Wagner. Besuchte Vorstellung: Première, Oper Zürich, 18. September 2022.
Musikalische Leitung: Gianandrea Noseda; Inszenierung: Andreas Homoki; Siegmund: Eric Cutler; Hunding: Christof Fischesser; Wotan: Tomasz Konieczny; Sieglinde: Daniela Köhler; Fricka: Patricia Bardon; Brünnhilde: Camilla Nylund; Helmwige: Sarah Cambidge; Gerhilde: Julie Adams; Ortlinde: Justyna Bluj; Waltraute: Anna Werle; Siegrune: Simone Mc Intosh; Rossweisse: Susannah Haberfeld; Grimgerde: Freya Apffelstaedt; Schwertleite: Nana Dzidziguri; Philharmonia Zürich; Statistenverein am Opernhaus Zürich
Musik: 5*
Regie: 4,5*
Mit einer fulminanten und rundum gefeierten Premiere der Walküre ging der neue Ring des Nibelungen am Opernhaus Zürich in die zweite Runde. Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda erzeugte bereits im schlank musizierten d-Moll Streicher-Tremolo des Gewitter-Vorspiels eine elektrisierende Spannung, die sich durch den ganzen Abend ziehen sollte. Der großartige Dirigent führte die bestens disponierte Philharmonia Zürich mit einer Leidenschaft und Farbigkeit durch Richard Wagners monumentale Partitur, die einem schlicht den Atem stocken ließ. Da faszinierten das feierliche Walhall-Motiv, sowie der düster-martialische Auftritt Hundings, dem Noseda, das in seiner ganzen Süsse ausgekostete Liebesmotiv der Wälsungen-Zwillinge gegenüberstellte. Auch die dumpfen verhängnisvollen Tuben-Klänge der Todesverkündung, den berühmten Walkürenritt oder die flirrenden Töne des Feuerzaubers an der Oper, waren mit einer Hingabe und einem Detailreichtum musiziert, wie man sie in den letzten Jahren selten gehört hat.
Tomasz Konieczny verkörperte mit edel klingendem, jedoch gleichzeitig markantem Bariton den Göttervater Wotan, wobei er in seiner ausgedehnten Erzählung in der Mitte des zweiten Aufzugs auf erschütternde Weise die Zerrissenheit dieser vielschichtigen Figur zum Ausdruck brachte. Camilla Nylund, die Ende August noch bei einer konzertanten Aufführung des ersten Aufzuges beim Lucerne Festival, noch die Sieglinde gesungen hatte, gab bei dieser Premiere ihr Rollendebüt als Brünnhilde.
Mit strahlendem hochdramatischen und allen Lagen klangvollen Sopran begann die großartige Sängerin ihren Part mit lustvollen Hojotoho-Rufen. In der zentralen Szene mit Wotan und der darauffolgenden Todesverkündung zeigte sie dagegen eine eher introvertierte und gerade dadurch zutiefst berührende Rollenentwicklung, der man gebannt folgte. Die berühmte Todesverkündung “Siegmund! Sieh auf mich!” geriet dabei zu einem musikalischen Augenblick, in dem die Zeit still zu stehen schien. Der mit strahlender Höhe und unerschöpflich wirkendenden Reserven gesungene Jubel vom “Hehrsten Helden der Welt” war ein weiterer, unvergesslicher Höhepunkt dieser exemplarischen Rolleninterpretation. Auch Daniela Köhler interpretierte die Sieglinde mit fast unerschöpflichen Kraftreserven, wobei die große Erzählung des ersten Aufzugs und Sieglindes Verzweiflung auf der Flucht vor dem Duell, eindringliche Zeugnisse großer Gesangskunst darstellten. Dies traf auch auf Eric Cutler zu, dessen im italienischen Belcanto geschulter Tenor sich weiterentwickelt hat und der nun das für den Siegmund erforderliche Volumen besitzt, ohne seine Herkunft aus diesem Stimmfach verleugnen zu müssen. Da begeisterte er zum einen mit den voll lyrischem Schmelz vorgetragenen Kantilenen der “Winterstürme”, zum anderen mit den dramatischen Passagen, wie etwa den beeindruckend gesungenen Wälse-Rufen.
Gleichzeitig spielte er auch szenisch, diese von Wagner als reine Lichtgestalt angelegte Partie auf mitreißende Weise. Finster und voller bedrohlicher Schwärze sang Christof Fischesser im imposant archaischen Pelzkostüm den Hunding, während Patricia Bardon eine zutiefst menschliche und verletzliche Fricka mit üppigem, jedoch leicht belegt klingendem Mezzosopran verkörperte. Musikalisch strahlend und voller Spielfreude hatte das Opernhaus Zürich zudem das im dritten Aufzug auftretende Walküren-Oktett besetzt.
Die Inszenierung von Opernhaus Intendant Andreas Homoki vertraute ganz auf die Sogkraft von Richard Wagners Musik und die Stärke der Besetzung. Das schlichte weiße Drehbühnenbild von Christian Schmidt, das bereits im «Rheingold» verwendet wurde, kam auch beim ersten Tag des Bühnenfestspiels wieder zur Anwendung, wobei nun die für diese Oper erforderlichen Requisiten darin ihren Platz fanden. So sehen wir im ersten Aufzug die mächtige Weltesche und im zweiten Akt einen verschneiten, äußert stimmungsvoll geratenen Wald, durch den Siegmund und Sieglinde irren. Hier verkündet Brünnhilde dem Wälse den Tod, wobei ich mir in dieser Schlüsselszene eine etwas zurückhaltender eingesetzte Drehbühne gewünscht hätte. Im dritten Aufzug darf sich der Zuschauer an einem fantasievoll gestalteten Walküren-Felsen erfreuen, der zum Feuerzauber zu rauchen beginnt.
Die ebenfalls von Schmidt entworfenen Kostüme vermischen auf spielerische Weise die Entstehungszeit der Oper mit archaisch anmutenden Elementen und verleugnen den mythologischen Ursprung der Handlung nicht. In diesem gelungenen Ambiente, entwickelt Andreas Homoki seine empathische Personenregie mit vielen intelligenten und klug durchdachten Details. So wird bereits während des Vorspiels Wotan gezeigt, wie er das durch die Musik so eindrücklich geschilderte Unwetter heraufbeschwört, um so die schicksalhafte Begegnung von Siegmund und Sieglinde zu forcieren. Bewegend und liebevoll war zudem das Verhältnis von Wotan und Brünnhilde in den ausgedehnten Szenen des zweiten und dritten Aufzuges gezeichnet. Einziger wirklicher Kritikpunkt bleibt bei der Inszenierung für mich der Einfall, Wotan selbst – anstelle von Hunding – Siegmund mit seinem Speer zu erstechen zu lassen. Dies spitzt zwar die emotionale Notlage des Göttervaters drastisch zu, wäre jedoch in dieser Deutlichkeit und Brutalität nicht nötig gewesen.
Am Ende dieser insgesamt fünf Stunden dauernden, aber keine Sekunde lang wirkenden Premiere, herrschte im Publikum einhellige Begeisterung. Die Zürcher spendeten allen Sängern und dem Regie-Team dieses wunderbaren Abends enthusiastischen, lange anhaltenden rhythmischen Applaus, der beim Erscheinen von Camilla Nylund und Gianandrea Noseda zu stehenden Ovationen anwuchs.