Tannhäuser
Bayreuth 2023
Musikalische Leitung: Nathalie Stutzmann; Regie: Tobias Kratzer; Chorleitung: Eberhard Friedrich; Landgraf Hermann: Günther Groissböck; Tannhäuser: Klaus Florian Vogt; Wolfram von Eschenbach: Markus Eiche; Walther von der Vogelweide: Siyabonga Maqungo; Biterolf: Olafur Sigurdarson; Heinrich der Schreiber: Jorge Rodríguez-Norton; Reinmar von Zweter: Jens-Erik Aasbø; Elisabeth, Nichte des Landgrafen: Elisabeth Teige; Venus: Ekaterina Gubanova; Ein junger Hirt: Julia Grüter; Le Gateau Chocolat : Le Gateau Chocolat; Oskar: Manni Laudenbach; Der Festspielchor der Bayreuther Festspiele; Das Festspielorchester der Bayreuther Festspiele.
Besuchte Vorstellung: 16. August 2023, Bayreuther Festspielhaus
Musik: 5*****
Regie: 3***
Drag-Queen « Le Gateau Chocolat »
Die heuer zum vierten Mal gezeigte und für nächstes Jahr wieder geplante Inszenierung von Tobias Kratzer hatte 2019 Premiere und wurde vom damaligen Premierenpublikum mehrheitlich begeistert aufgenommen, wobei lautstark auch einige Buhrufe fielen für Tobias Kratzer und den damaligen Dirigenten Valéry Gergiev, bei ersterem wegen seiner unkonventionellen Inszenierung und bei letzterem aufgrund dessen Schwierigkeiten mit den besonderen Klangverhältnissen des Festspielhauses, nicht zuletzt ungenügender Probenarbeit bzw. Probenpräsenz geschuldet. Dennoch gehört dieser Tannhäuser seither zu den beliebtesten Inszenierungen an den Bayreuther Festspielen, für einige Festspielbesucher zu der mit Abstand besten unter der Festspielleitung von Prof. Katharina Wagner und Garant für ausverkaufte Vorstellungen. Auch bei dieser Vorstellung gab es nach jedem Aufzug begeisterten Applaus und doch auch gut hörbare vereinzelte Buhrufe, welche wohl ausschließlich der Inszenierung gedacht waren.
Die Vorzüge dieser Inszenierung sind ein hoher Unterhaltungswert, bedingt durch ein rasantes Tempo in den ersten beiden Aufzügen sowie den ungeheuren Reichtum an kreativen Ideen und Stilmitteln, wie die sehr gut gemachten Videoeinspielungen von Manuel Braun. So zeigt sich nach Öffnen des Vorhangs noch während der Ouvertüre eine riesige Leinwand, auf der ein Film gezeigt wird mit ästhetischen Luftaufnahmen der Wartburg, Thüringens Wälder und des Festspielhügels, welcher dann fließend übergeht zum eigentlichen Bühnengeschehen. So sieht man im eingespielten Film auf der Leinwand Tannhäuser und Venus in einem Kleinbus durch Thüringens Wälder fahren, wobei sich dann die Leinwand hebt und man beide im Bus fahrend auf der Bühne vorfindet, die Unebenheiten der Straße mit einem regelmäßig wiederkehrenden gemeinsamen Hüpfer imitierend. Als weiteres Beispiel eines fließenden Übergangs von Filmeinspielung zu realem Bühnengeschehen, der Moment, als man auf der Leinwand sieht, wie Venus mit ihrem Troß, der Drag-Queen « Le Gateau Chocolat » (sich selbst darstellend und im Verlauf der Oper verschiedene fulminante Roben tragend, Kostüme von Rainer Sellmaier) sowie dem Zirkusartisten «Oskar» (dargestellt durch Manni Laudenbach, mit einer Blechtrommel ausgestattet optisch dem Oskar aus der Romanverfilmung «Die Blechtrommel» von Volker Schlöndorff nachempfunden), ins Festspielhaus eindringt, mit dem Ziel, Tannhäuser zurückzuholen, um dann schließlich von der Seite die Bühne zu betreten und im Verlauf einen riesigen Tumult verursachend, so daß die auf der Leinwand sichtbare Festspielchefin Katharina Wagner, zum Hörer greifen und die Polizei rufen muß, um auf der Opernbühne wieder Ruhe herzustellen.
Pilgerchor als Festspielpublikum verkleidet
Diese Szene gestaltet sich dank der lustigen Einlagen von Venus zu einem Höhepunkt der Inszenierung. So versucht sie beim Einzug der Gäste auf urkomische Weise, sich unauffällig bei den Damen des Chorus einzureihen, was ihr nicht gelingt, zumal ihre Mundbewegungen klar andeuten, daß sie den gesungenen Text des Chores nicht kennt und im Verlauf mehrmals falsch einsetzt, so auch bei der Stelle «Wolfram von Eschenbach beginne» (2. Aufzug, 4. Szene) der vier Edelknaben (hier vier Edeldamen), was zu großem Gelächter im Festspielhaus führte. Eine grosse Überraschung und visueller Höhepunkt im 1. Aufzug, 3. Szene, war, den Festspielhügel mit dem Festspielhaus auf der Bühne vorzufinden (Bühnenbild: Rainer Sellmaier) mit einem am Festspielhaus vorbeiziehenden Pilgerchor, unverkennbar als Festspielpublikum verkleidet, welches sich aufgrund des strahlenden Sommerwetters mit dem Programmbüchlein kühle Luft zufächelte. Die Inszenierung war dermaßen reich an weiteren Hinguckern und Anspielungen, daß diese einer eigenen Abhandlung bedürften.
Tannhäuser ein Clown
Nun mag dies alles sehr unterhaltsam und kurzweilig gewesen sein, jedoch läßt sich nicht ohne weiteres die ursprüngliche Handlung des Tannhäusers erkennen, sodass es einer kurzen Zusammenfassung der Tannhäuser-Adaptation von Tobias Kratzer bedarf. Für Tobias Kratzer ist Tannhäuser im 1. Aufzug ein Clown, welcher mit der Kleinkunsttheatergruppe von Venus, zu welcher noch die Drag-Queen « Le Gateau Chocolat » und der Zirkusartist «Oskar» gehören, in einem Kleinbus durch die Wälder Thüringens reist. Tannhäuser hat genug vom unsteten Leben als Clown und sehnt sich nach seinem früheren Leben als angesehener Opernsänger sowie nach seiner früheren Liebe, der Elisabeth, welche in der Handlung ebenfalls als Opernsängerin dargestellt wird. Der Weggang von Venus wird ihm erleichtert, als sie ihre Rechnung beim «Drive-in» des Burger King nicht bezahlen möchte und hierzu der Kassiererin des Burger King eine falsche Kreditkarte aushändigt und dann fliehen möchte, sich ihr jedoch bei der Ausfahrt des «Drive-in» ein Polizist in den Weg stellt, Venus diesen kurzerhand umfährt und tötet, was Tannhäuser nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Im 1. Aufzug in der 3. Szene wird dann Tannhäuser von einer Studentin, welche mit dem Fahrrad unterwegs ist (Ein junger Hirt), auf dem Boden liegend vorgefunden und zum Festspielhaus gebracht, wo er seine ehemaligen Opernsängerkollegen und die Opernsängerin Elisabeth, wiederfindet, welche ihn dazu motivieren, seiner früheren Tätigkeit als Opernsänger nachzugehen und an einer Vorstellung im Rahmen der Bayreuther Festspiele (ein Festspiel im Festspiel) mitzuwirken, was dann im 2. Aufzug im Stile einer gar altbackenen traditionellen Tannhäuser-Inszenierung gezeigt wird. Nun wird es für den Zuschauer schwierig, den weiteren Fortgang der Handlung mit der «Oper in der Oper-Handlung» auf sinnvolle Weise zu verknüpfen, wobei es hier hilfreich ist, die ursprüngliche Handlung gänzlich zu vergessen und auch nicht zu sehr auf den gesungenen Text zu achten. Im 3. Aufzug, welcher szenisch auf einem dunkel-abweisendem Schrottplatz bzw. in einem «Trailer-Park» spielt, findet man Wolfram im von Tannhäuser im 1. Aufzug getragenen Clownskostüm wieder, zusammen mit Elisabeth, und es kommt zwischen den beiden im Wohnwagen zum Coitus, was sich durch die offene Tür des Wohnwagens beobachten läßt. Im weiteren Verlauf ist es schwierig nachzuvollziehen, bei wem Tannhäuser in der neuen Handlung als geächteter Opernsänger nun in Rom vergeblich um Gnade hat bitten müssen. Tannhäuser findet dann Elisabeth blutüberströmt auf der Ladefläche im Wohnwagen mit aufgeschnittenen Pulsadern vor und nimmt sie in seine Arme. Ein tragisch-trauriger Anblick. Auf der Leinwand sieht man Tannhäuser mit Elisabeth innig verliebt und glücklich im Bus davonfahren, so wie es sich Tannhäuser gewünscht hätte. Ende der Oper.
Text nicht im Einklang mit der Handlung
Tobias Katzer hat dermaßen viel zur ursprünglichen Handlung dazugedichtet bzw. eine ganz neue Handlung erschaffen und sogar neue Charaktere und Rollen (« Le Gateau Chocolat » und «Oskar») hinzugefügt, daß die Filmeinspielungen unverzichtbar sind, ansonsten der Verlauf des Bühnengeschehens, bzw. die neu erdachte Handlung Kratzers keinerlei Sinn ergibt, zumal der gesungene Text größtenteils nicht im Einklang mit der neuen Handlung steht und es konstanter wohlwollender Bereitschaft seitens des Zuschauers bedarf, das Bühnengeschehen aus der Metaebene betrachten zu wollen, ansonsten sich eine Synthese zwischen Handlung, Musik und Text nicht herstellen läßt. Die von Kratzer angesprochen Themen und Aussagen haben durchwegs Gehalt und Relevanz, jedoch stellt sich die Frage, ob die Musik und der Text des Tannhäusers das passende Vehikel sind, um diese zu transportieren. Möglicherweise hätte Kratzer zur Erreichung einer Homogenität letztlich nicht nur Eingriffe in der Handlung, sondern auch im gesungenen Text vornehmen müssen, wobei dieser Schritt einem Sakrileg gleichkommen würde. Auch die Erhabenheit der Musik möchte über weite Strecken nicht zum Bühnengeschehen passen und wirkt im Bezug zur neu erdachten Handlung stellenweise ungelegen pathetisch. Der Inszenierung ist zugute zu halten, daß sie ein intimes Kammerspiel zwischen den Sängern und Schauspielern (« Le Gateau Chocolat » und «Oskar», beide exzellent in ihren Rollen) ermöglicht, welches tief gefühlte Momente und Stimmungen entstehen läßt. Es ist offensichtlich, daß die Sänger sich in ihren neuen Rollen wiederfinden, sich wohlfühlen und diese daher musikalisch ansprechend und in der Darstellung glaubhaft ausfüllen können, jedoch kann für den vereinzelten Zuschauer der Rahmen, in welchem die Sänger sich bewegen (Schrottplatz etc.), irritierend sein, da zum gesungenen Text keinen Bezug herstellend. Es muß dennoch festgehalten werden, daß sich die Inszenierung stets in einer real möglichen Welt bewegt, was für den Einzelnen eine Empathie mit den einzelnen Rollen vereinfacht, und als Gegenbeispiel Niemand als Ratte dargestellt wird oder Insektenflügel tragen muß, wie dies schon in anderen Inszenierungen an den Festspielen zu sehen war.
Aus musikalischer Sicht war die Aufführung ein Hochgenuß, zu beginnen mit dem herrlichen Dirigat von Nathalie Stutzmann, der weltbekannten Kontra-Altistin, welche unter anderem bei Hans Hotter Gesang studiert hatte. Das Dirigat von Nathalie Stutzmann, bzw. das hervorragende Spiel des Festspielorchesters zeichnete sich aus durch intuitiv passende Tempi und Dynamiken, durch klare musikalische Linien und einen warmen Gesamtklang, welches die Sänger und den fabelhaften Festspielchor (Chorleitung: Eberhard Friedrich) bei ihrem Vortrag trug und unterstützte und zu keinem Zeitpunkt zudeckte. Auch arbeitete Frau Stutzmann viele Details im Orchester heraus, beispielsweise bei den Bläsern, welche bei anderen Dirigenten gerne untergehen.
Als Tannhäuser zeigte Klaus Florian Vogt in dieser Inszenierung beachtliche schauspielerische Qualitäten, welche sich auf den Einspielungen in Nahaufnahme auf der Leinwand überprüfen ließen und absolut kinotauglich waren. Stimmlich glänzte er mit seiner leicht anmutenden, hellen Stimme, die sich jedoch mühelos bei lauten Stellen gegenüber dem Chor und dem Orchester behaupten konnte, den klaren gesanglichen Phrasen und seiner stets vorbildlichen Textverständlichkeit.
Ansteckende Spielfreude
Ekaterina Gubanova als Venus beeindruckte durch ihre ansteckende Spielfreude und ihrer voluminösen, verführerischen Stimme, wobei die Textverständlichkeit nicht immer gegeben war, was sich jedoch bei dieser Inszenierung nicht nachteilig auswirkte. Auch bei Elisabeth Teige in der Rolle der Elisabeth hätte die Textverständlichkeit besser sein können, jedoch schmälerte dies keineswegs die Wirkung ihrer effektvollen Interpretation. Die Stimme von Frau Teige ist kräftig, in der Höhe wunderbar frei strahlend und verfügt über ein faszinierendes, leicht nervös Vibrato, welches zur verletzlichen Ungestümheit der Elisabeth äußerst gut paßte.
Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach muß gepriesen werden für sein meisterhaftes Legatosingen, seine Phrasierungskunst, die vorbildliche Textverständlichkeit und nicht zuletzt für den Wohlklang seiner Stimme. Die kolossale Bühnenpräsenz von Günther Groissböck ließ keinen Zweifel aufkommen, wer in der Sängerhalle auf der Wartburg das Sagen hatte. Die Chefrolle stand ihm vorzüglich und er wußte dies stimmlich zu unterstreichen. Auch die weiteren Sänger gilt es zu loben, die elegante Stimmführung von Siyabonga Maqungo als Walther von der Vogelweide, die effektvolle «Wutrede» von Olafur Sigurdarson als Biterolf, die strahlend klare Stimme Julia Grüters in der Rolle des jungen Hirten, wie auch die Auftritte von Jorge Rodríguez-Norton als Heinrich der Schreiber, sowie Jens-Erik Aasbø als Reinmar von Zweter rundeten die starke Ensembleleistung ab.
Die wohl stets der Inszenierung geltenden wenigen Buhrufe gingen im tosenden, rhythmischen Schlußapplaus mit unzähligen lauten Bravorufen und Füßestampfen unter. Es wurde zu einem dieser magischen Abende, welche man sich an den Bayreuther Festspielen erhofft.
Christian Jaeger